Marc F. Bloom

Sustainable Impact


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      Stahlblauer Himmel erstreckte sich über der Plattform des Obser­vatoriums. Die vier Kuppeln der Teleskope strahlten in der Sonne. In der Ferne durchtrennten einige Kondensstreifen das perfekte Blau. Richard keuchte und zog die dünne Höhenluft in seine Lungen. Im kühlen Wind spürte er die Kraft der Sonnenstrahlen auf seiner Schädel­decke. Sein Blick folgte dem Verlauf der Zufahrtstraße, die sich mit wenigen breiten Kehren und langgezogenen Geraden den Berg hinaufzog. Für die knapp 300 Höhenmeter vom Basiscamp hatte er zwei Stunden gebraucht. Immer wieder musste er anhalten. Die extrem trockene Luft der Atacama mit teilweise nur zehn Prozent Luftfeuchtigkeit hatte seine Lunge ausge­trocknet. Atemlos griff er nach der Wasserflasche. Leer. Erst nach einigen weiteren tiefen Atemzügen nahm er die atemberaubende Fern­sicht wahr. Bis zum Horizont verliefen die sanft geschwungenen rot­braunen Bergketten. Im Westen endete der Blick auf einer anderthalb Kilometer tiefer gelegenen Wolkendecke, die sich regelmäßig beim Auf­treffen des kalten Humboldt-Stroms auf den warmen Küstenstreifen Chiles bildete. Dennoch bot die Atacama mit weniger als zehn Milli­metern Niederschlag im Jahr nur wenigen Kreaturen Lebensraum. Im Osten war in der Ferne ein schneebedeckter Vulkan zu erkennen. Der fast 200 Kilometer entfernte Gipfel des Llullaillaco überragte mit seinen 6.739 Metern die anderen Erhebungen der Region.

      Nach einer kurzen Verschnaufpause ging Richard zum Kontrollzentrum an der Südwest-Flanke des Plateaus. Es bestand aus zwei im Winkel von 120 Grad ausgerichteten Gebäudeflügeln, die durch einen von roten Stahlträgern eingerahmten Mittelbau verbunden waren. Das Gebäude bildete die Ecke des knapp 200 Meter durchmessenden künstlichen Plateaus, auf dem die vier großen Teleskope in optimierter Geometrie angeordnet waren. Im Zentrum befand sich in einem unterirdischen Tunnel die Optik des Interferometers, das die Einzelteleskope zu einem weit größeren Instrument koppelte. Vor dem Kontrollzentrum parkten viele Wagen, darunter einige Pick-ups, die für den Transport von Material und Gerätschaften zwischen den Teleskopen und dem Basiscamp genutzt wurden. Auf dem Weg zum Eingang fiel Richard eine Überwachungskamera auf, die aus einer gläsernen Halbkugel heraus den gesamten Parkplatz erfasste.

      An der Eingangstür stieß er mit Gerhard Boening zusammen. „Hallo Richard, wie geht’s? Du willst sicher zu Paul. Oben im Kontrollraum. Halt Dich einfach rechts und dann die Treppe rauf. Ich muss nach unten in die Elektronikwerkstatt.“ Mit angespannter Miene steuerte er auf einen abgestellten Kleinwagen zu.

      Richard betrat das Kontrollgebäude durch eine Lichtschleuse. Direkt hinter der Tür stand ein halbvoller Wasserspender im Halbdunkel. Nachdem er zwei große Becher in einem Zug geleert hatte, folgte er dem Gang nach rechts zur Treppe. Oben waren Stimmen zu hören. Lautlos folgte er den Stufen nach oben. In den vier Ecken des Raumes standen große, jeweils im rechten Winkel angeordnete Tische. Auf jedem der Pulte befanden sich acht bis zehn Monitore sowie eine Web-Kamera, davor standen jeweils vier Drehstühle. Die Steuerung der vier Teleskope. Zu dieser Tageszeit war der Kontrollraum nicht voll besetzt. An einem der Kontrollrechner stand Paul Rodriguez zusammen mit zwei anderen Männern, die Richard nicht kannte. Sie waren in eine intensive Diskussion vertieft. Immer wieder zeigten sie auf Zahlenkolonnen und Grafiken auf den Monitoren. Niemand von ihnen bemerkte Richards Anwesenheit.

      „Ray, wenn wir es nicht selber machen wollen, dann müssen wir uns eben jemanden suchen, das sagt auch Bill“, erklärte Paul Rodriguez.

      „Das kann er nicht ernst meinen“, erklärte der Angesprochene mit gedrückter Stimme.

      „Ganz bestimmt meint er das ernst. Wir müssen uns damit abfinden und es gemeinsam durchziehen. Schließlich haben wir auch alle gemeinsam davon profitiert“, entgegnete Rodriguez und warf sich auf einen der Drehstühle. Dann tippte er etwas in die Tastatur. Am Bildschirm wechselten die Grafiken.

      Richard wartete noch einen Moment und ging dann mit einem Räuspern zu den drei Männern. „Hallo Paul, störe ich Euch gerade bei einer wichtigen Sache?“

      Paul Rodriguez zuckte zusammen. Sein Gesicht war versteinert und für einige Sekunden starrten die drei Männer den Eindringling wortlos an. Dann sprang er vom Drehstuhl auf. „Aber nein, überhaupt nicht.“ Mit einem einnehmenden Lachen begrüßte er Richard. „Ich habe gar nicht gemerkt, dass es schon so spät ist. Schön, dass Du uns besuchst. Komm mit, wir machen einen Rundgang.“

      Dann wandte er sich noch einmal an die beiden anderen Männer: „Wir reden nachher weiter. In der Zwischenzeit könnt ihr schon mal die neuen Observation Blocks verdichten und mit der Kalibrierung abgleichen.“ Es kam zunächst keine Reaktion bis Paul seine Aufforderung noch einmal bedeutsam wiederholte. Dabei sah er einen der Männer, ein Asiat, den Richard zuvor noch nicht gesehen hatte, eindringlich an: „Hochverehrter John Lee! Die Observation Blocks verdichten und reduzieren!“

      Es dauerte eine Weile, bis der schmächtige Asiat mit schmalem Gesicht begriffen hatte, was Rodriguez von ihm wollte. „Ja klar, machen wir. Wenn Du zurück bist, haben wir die Daten fertig“, entgegnete er mit einem breiten Grinsen.

      „Paul, ich störe Euch auch wirklich nicht bei irgendetwas Wichtigem?“, hakte Richard noch einmal ein.

      „Aber nein.“ Rodriguez lachte. „Wir haben nur ein paar Messungen besprochen. Eine sehr interessante Entdeckung in unserem Sonnen­system. Wenn wir nachher noch Zeit haben, können wir uns die Daten gemeinsam ansehen.“

      „Sehr gerne. Ich bin gespannt. Ist das die Entdeckung, von der Du gestern gesprochen hast? Gibst Du mir einen Tipp?“

      „Nichts Systematisches – wir sind durch einen Zufall drauf gestoßen. Lass uns das später ansehen“, wich Rodriguez aus. „Komm jetzt, Du musst Dir unbedingt die Teleskope ansehen. Wir fangen unseren Rund­gang bei Yepun an.“ Dann griff er seine Jacke und lief die ersten Stufen vom Kontrollraum nach unten. „Hier, den müssen wir auf der Plattform tragen.“ Rodriguez drückte Richard einen Helm in die Hand und schob seinen eigenen höher auf die Stirn.

      „Yepun ist das vierte der großen 8,2-Meter Spiegelteleskope. Die Namen der Teleskope stammen aus der Sprache der Mapuche, ein Indio-Volk im Süden Chiles. Der Name Yepun bedeutet Abendstern. Bezeichnet also den Planeten Venus in unserem Sonnensystem“, begann Rodriguez seine Führung und spielte dabei mit den Münzen in seiner Hosentasche. Richard hatte natürlich alle verfügbaren Artikel und Fachbücher über das Paranal Observatorium gelesen. Er hielt es aber für unhöflich, die Ausführungen zu unterbrechen.

      Über das letzte Stück der Zufahrtstraße erreichten sie das künstlich angelegte Plateau, das durch Abtragen von 28 Metern des Gipfels geschaffen worden war. Das Plateau war zu dieser Tageszeit menschen­leer. Die Wissenschaftler schliefen nach einer durchwachten Nacht. Nach kurzem Fußmarsch kamen sie direkt vor Yepun zum Stehen. Die silbern glänzende Kuppel ragte acht Stockwerke in den makellosen Himmel. Paul Rodriguez lenkte den Blick vom Betonfundament hinauf zur Kuppelöffnung. „Die Außenhülle hat einen Durchmesser von etwa 30 Metern und ist fast ebenso hoch. Eine Klimatisierung hält die Temperatur konstant zwischen fünf und elf Grad Celsius. So können wir lokale atmosphärische Einflüsse auf die Teleskopstruktur und den Spiegel minimieren“, erklärte er mit monotoner Stimme.

      „Paul, bitte spann’ mich nicht länger auf die Folter. Lass uns rein gehen – Oder ist das ein Staatsgeheimnis?“, unterbrach Richard nun doch die Ausführungen mit einem Lachen.

      „Aber klar. Warum bin ich da nicht gleich darauf gekommen. Genau das ist die Lösung“, murmelte Rodriguez in Gedanken und starrte durch Richard hindurch. Dann machte er eine bedeutungsvolle Pause und Richard bildete sich ein, Erleichterung in seinem Gesichtsausdruck zu erkennen, wie nach der Lösung eines schwerwiegenden Problems.

      „Richard entschuldige bitte. Ich spule hier mein Politiker- und Touristen­programm ab und langweile Dich.“ Im nächsten Augenblick rannte er um den Kuppelbau zu einer großen zweiflügeligen Tür. Dort zog er seine Magnetkarte durch einen Kartenleser neben der rechten Tür. Das Schloss surrte und Paul Rodriguez zog die schwere Tür auf.

      „Welcome to our youngest and brightest son.” Mit einer Geste deutete er auf den hinter der zweiten Stahltür gelegenen Aufgang.

      „Vielen Dank“, stimmte Richard zurückhaltend ein und öffnete die zweite Tür der Luftschleuse. Dahinter war es merklich kühler und