Marc F. Bloom

Sustainable Impact


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Sonnenaufgang erfüllte den Himmel mittlerweile mit allen Rot-Tönen und Richard überhörte das dumpfe Knattern in der Ferne. Langsam kam es immer näher und durchdrang dann seine Gedanken. Ein Erdbeben, wie es die Erde hier oben in den Anden regelmäßig erschüttern lässt. Doch der Boden war absolut ruhig. Jetzt erst konnte er das lauter werdende Geräusch deuten. Ein Helikopter. Eilig stieg er in seine Jeans und Trekkingschuhe und rannte nach draußen. Der schmale Gang zwischen den Containern fühlte sich an wie ein Kühlhaus. Die Haut auf Richards Schädeldecke zog sich zusammen und der Wind durchdrang sein Hemd.

      „Hey, Richard pass auf, dass Du Dich nicht erkältest.“ Carlotta Cassini machte Streckübungen am Geländer. In ihren eng anliegenden schwarzen Joggingsachen und den zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren sah sie umwerfend aus.

      „Carlotta, wer kommt da?“ Richards Atem blies Nebelschwaden in die kalte Morgenluft.

      „Das ist George Brighton“, antwortete Carlotta außer Atem.

      “George wer?“ Doch Carlotta war schon zu dem zentralen Platz im Basiscamp gelaufen und reagierte nicht mehr.

      Carlotta war eigentlich viel zu attraktiv für eine Astronomin. Am Abend zuvor hatte sie kühl und sachlich gewirkt. Richard hatte sich nicht getraut, sie anzusprechen. Doch von den anderen hatte er einiges über sie erfahren. Sie kam aus einfachen Verhältnissen und war auf dem Bauernhof ihrer Eltern in einem kleinen Dorf in der Nähe von Turin aufgewachsen. Zur Astronomie war sie eher unbeabsichtigt gekommen. Bevor sie begann, sich für Jungs zu interessieren hatte sie ihre Zeit meist mit den anderen Jugendlichen beim Abhängen auf der Hauptstraße des kleinen Dorfes verbracht. Mit vierzehn verliebte sie sich in einen zwei Jahre älteren Jungen, der dieselbe Schule besuchte. Aber der schien sie gar nicht zu bemerken, obwohl sie schon damals vielen ihrer männlichen Altersgenossen den Kopf verdreht hatte. Lawrence war mit seinen Eltern aus den USA nach Turin gekommen. Er verbrachte seine gesamte freie Zeit mit dem Bau von Teleskopen und der Beobachtung von Sternen. Und er ging einmal im Monat zum astrono­mischen Kolloquium nach Turin. Das hatte Carlotta herausgefunden als sie ihm an einem nasskalten Winterabend heimlich vom Haus seiner Familie bis zum Planetarium gefolgt war. In der nächsten Woche hatte sie sich ein Herz gefasst und ihn angesprochen. Mit Fragen, die sie aus einem Astronomie-Buch in der Schulbücherei hatte, hatte sie ihn in ein Gespräch verwickelt. In den folgenden Wochen trafen sie sich immer wieder und unterhielten sich lange über die Sterne, die Unendlichkeit des Universums und den Sinn des Lebens. Langsam entwickelte sich eine Freundschaft und Carlottas Interesse für die Astronomie. Lange hatte Richard über Carlottas Geschichte gegrübelt. Und er musste immer wieder daran denken, mit welcher Vertrautheit und zugleich merkwürdigen Distanz Carlotta und Paul sich am Abend begegnet waren. Als eine Windböe zwischen die Container fuhr, eilte Richard in sein Zimmer zurück, um Carlotta wenige Augenblicke später mit seiner Fleece-Jacke bekleidet auf den großen Platz zu folgen. Über dem Landeplatz an der Nordseite des Basiscamps schwebte eine schwarze 17 Meter lange Bell / Augusta AB139 ein. Der wendige sechssitzige Helikopter wirbelte den rotbraunen Staub der Atacama in die klare Morgenluft.

      „Carlotta. Wer ist dieser Brighton? Müsste ich den kennen?“, wollte Richard wissen als er den Landeplatz erreichte. Carlotta lachte und hielt die Hand schützend über ihre Augen. Die Rotoren des landenden Helikopters drückten die Luft mit hoher Geschwindigkeit gegen die Wartenden. „George Brighton ist ein großer Freund und Förderer des Paranal“, schrie Carlotta gegen den ohrenbetäubenden Lärm der Tur­binen an. Richard verstand kein Wort, aber er bemerkte ihren Gesichts­ausdruck. Für den Moment musste er es auf sich beruhen lassen. Rot­brauner Sand wirbelte weiter in die Luft. Auch Richard hielt sich die Ohren zu und wandte den kahlen Kopf schützend zur Seite.

      In diesem Moment eilte Guido Hubner zum Landeplatz. Der Direktor der Europäischen Südsternwarte war ein stattlicher, hochgewachsener Mann, der die Fünfzig hinter sich gelassen hatte. Er hatte in Göttingen und München Physik studiert und war über mehrere Stationen bei der ESO gelandet. Seit vier Jahren leitete er das Paranal und das La Silla Observatorium der Europäischen Südsternwarte in Chile. In La Silla hatte er vor über zwanzig Jahren seine Doktorarbeit geschrieben. Damals hatte er Fehringer kennengelernt, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Genau dieser Verbindung, so war sich Richard sicher, hatte er die Bewilligung seines Antrags auf Beobachtungszeit zu verdanken.

      Der Rotorenlärm wurde immer lauter. Der Helikopter schwebte nur noch wenige Meter über dem Boden. Das Fahrwerk war ausgefahren und die Räder berührten den Boden. Dann kippte der Pilot die Rotorblätter und der Helikopter sackte in die Federung des Fahrwerks. Freundlich grüßte er die Wartenden durch seine getönte Kanzel, während er die Knöpfe am Steuerpult bediente.

      Durch die zwei hinteren Fenster konnte Richard einen schlanken Mann mit grauen Haaren und getönter Brille erkennen. Er trug nur ein hellblaues Hemd mit einer kleingemusterten Krawatte. Richard schätzte ihn auf Mitte Fünfzig.

      Guido Hubner eilte gebückt zum Helikopter und öffnete die Tür. „Willkommen Mister Brighton. Schön, Sie wieder bei uns begrüßen zu können. Hatten Sie einen guten Flug?“

      „Gut. Danke! Was macht die neue Anlage?“

      „Die Solaranlage ist im vergangenen Monat ans Netz gegangen“, schrie Guido Hubner gegen das Geräusch der runterfahrenden Turbinen.

      Brighton sprang aus der Kabine und landete mit einem Ausfallschritt auf dem staubigen Boden. Dann zog er sein dunkelblaues Jackett über. Beim Verlassen des Landeplatzes legte er Hubner, wie unter alten Freunden, die rechte Hand auf die Schulter.

      „Prima, das ist gut. Lassen Sie uns die Anlage gleich ansehen. Außerdem habe ich von den letzten Entdeckungen gehört. Da möchte ich mehr drüber erfahren.“ Brighton verlor keine Zeit. Die beiden Männer entfern­ten sich vom Helikopter und Brighton begrüßte die wartenden Wissen­schaftler und Ingenieure mit Handschlag und wechselte ein paar Worte mit ihnen. Brighton gab Richard einen festen Händedruck und erkundigte sich nach seinen Forschungsschwerpunkten. „Ich werde in den kommen­den Wochen mein Modell zur Planetenbildung aus einer protoplane­tarischen Scheibe als Nachweismethode für erdähnliche Planeten in bereits entdeckten Exoplaneten-Systemen weiterentwickeln“, erklärte Richard.

      „Du arbeitest mit dem PRIMA-System?“ Richard nickte. „Hervor­ragende Datenquelle für die Bewegungsparameter. Bessere Daten bekommst Du nirgends sonst.“

      Richard war überrascht. „Ich weiß. Aus den ermittelten Bewegungspara­metern und einer Simulation der Planetenformationsprozesse will ich Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit erdähnlicher Planeten ziehen.“

      „Spannend. Viel Erfolg“, antwortete Brighton. „Welche Pläne hast Du nach dem Abschluss Deiner Arbeit?“

      Richard schluckte. War das nur eine Höflichkeitsfloskel? „Ich träume von einer Post-Doc Stelle. Am Observatorium oder beim MPI. Ist aber schwer, dort unterzukommen.“

      „Wir sollten dann unbedingt miteinander sprechen…“ Brighton verabschiedete sich und ließ Richard staunend zurück.

      Das klang wie ein Angebot. Wahrscheinlich bildete er sich das aber nur ein. Sie kannten sich doch erst wenige Augenblicke.

      Dann steuerten Brighton und Hubner auf das Verwaltungsgebäude zu, während sich die anderen in Richtung Kasino in Bewegung setzten.

      „Carlotta, warte bitte! Wer ist dieser Mann? Der ist doch kein Wissenschaftler. Warum kennt er sich so gut aus?“

      Carlotta strahlte. „Der ist klasse.“ Sie machte eine Pause und ihre Augen glänzten. Dann sah sie Richard wieder an. „Ich kenne ihn seit einem Jahr. Damals kam er auch mit dem Heli.“

      „Nun sag’ schon, was will er hier? Und was macht er, wenn er sich nicht für unsere Arbeit interessiert?“, bohrte Richard.

      „Brighton“, fuhr Carlotta endlich fort, „ist ein sehr erfolgreicher Unter­nehmer. Ich glaube, er gehört zu den fünf reichsten Amerikanern. Früher hatte er mehrere Firmen. Vor einigen Jahren hat er sich aber ganz aus dem Geschäft zurückgezogen. Und gibt sein Geld für viele gute Projekte aus.“

      „Auch