Oliver Trend

Gebrochenes Schweigen


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unsere Attentäter! Wir tun es vielleicht nicht offenkundig, doch wir tun es! Wie glauben Sie, lässt sich heute Macht gewinnen – und erhalten? Geld alleine reicht da bei Weitem nicht! Glauben Sie allen Ernstes, dass Ihre früheren Aufträge nicht oft Vorbereitung dessen waren, was Sie mir jetzt bigott vorwerfen wollen?“ Der alte Mann kichert belustigt, „lächerlich!“

      „Das habe ich nicht gesagt!“, protestiert Faretti fauchend.

      „Nein, aber gedacht! Nun“, schmatzt der Alte, „ich bin nicht für Ihre Moral zuständig, sondern Sie selbst, Señor Faretti!“ Merklich kühler fährt er fort: „Und jetzt erklären Sie mir freundlicherweise, weshalb Sie Señora Ortiz nicht wie befohlen töteten?“, er zeigt mit seiner Hand auf die linke Schulter: „Stattdessen haben Sie sich anschießen lassen, wie ich hörte und sehe!“

      Faretti reibt sich mit den Fingerknöcheln das Kinn. Gedanken rasen durch seinen Kopf; er versucht krampfhaft, die Worte des Patrons zu verarbeiten! Von seiner Stirn perlt Schweiß, obschon es hier drin nicht sonderlich warm ist.

      „Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Haben Sie Ihre Zunge heruntergeschluckt oder warum antworten Sie mir nicht? Ich mag es nicht, auf etwas warten zu müssen!“

      „Ich“, keucht Faretti mit gedämpfter Stimme, „war nicht schnell genug, Señor! Dieser Makler zog schneller als ich und schoss mir zweimal in die linke Schulter, dann sind sie abgehauen, verschwunden … alle beide!“ Dabei sucht er den Augenkontakt zu Melidas. Jetzt bin ich dran, das glaubt er mir nie! Was habe ich mir nur dabei gedacht, noch einmal herzukommen?

      „Verschwunden, hä!“, knurrt der alte Mann ärgerlich, „nachdem Sie sich haben anschießen lassen … von einem Makler!“, er hebt mahnend seinen Zeigefinger, „Sie machen zu viele Fehler! Zuerst stoßen Sie Señora Vélez aus dem Fenster, und jetzt das!“

      „Es war ein Unfall, verdammt noch mal!“, insistiert Faretti wütend! „Das habe ich Ihnen schon mehr als ein Dutzend Mal erklärt!“

      „Das hätte aber nicht passieren dürfen!“, konstatiert Melidas ungerührt, „Sie wissen um die Wichtigkeit dieser Angelegenheit – um die Macht des Amulettes und deren Attribute! Und was tun Sie? Sie lassen sich anschießen, statt Ihren Auftrag auszuführen!“

      „Es tut … tut mir leid, Señor … ich habe einen Augenblick nicht aufgepasst!“

      Der Alte richtet sich, so gut er es noch vermag, auf und dreht sich schlurfend Richtung Tür. Dabei keucht er, als wäre er eben um das Anwesen gerannt.

      „Sofía hat Ihnen bestimmt mitgeteilt, dass Sie morgen nach Berlin fliegen werden. Hernando wird Sie vor der Abreise über alles Nötige instruieren. Ich rate Ihnen dringend, sich keinen weiteren Fehler zuschulden kommen zu lassen!“, Melidas steht schwankend unter dem Türrahmen und schürzt seine Oberlippe, dann schmatzt er überlegend. „Wenn Sie den Auftrag nicht vermasseln, können Sie anschließend hier Ihre Wunde kurieren lassen.“ Er zögert merklich, fügt barsch hinzu: „Und lassen Sie gefälligst die Finger von Sofía, sie ist nichts für Sie! Suchen Sie sich eine Dame Ihres Formats, klar!“ Mit diesen Worten verlässt er mit staksigen Bewegungen das Quartier, ohne sich nochmals umzudrehen.

      Faretti hockt noch immer kerzengerade auf dem Bett, Wut wallt in ihm auf. Seine pochende Schulter ignoriert er.

       Ich hasse ihn! Ich hasse diesen alten, runzligen Kerl! Aber immerhin hat er mich nicht durchschaut, und ich weiß jetzt, wo die Reise hingeht! Wenn es so bleibt, habe ich nach dem Auftrag genügend Zeit, um zu verschwinden! In Berlin habe ich einige wertvolle Kontakte, von denen La Fraternitis nichts weiß!

      „Hoffe ich zumindest!“

      Der Drang, sich in Luft aufzulösen, ist so stark, wie noch nie zuvor in seinem Leben, doch er wiedersteht ihm und legt sich wieder hin. Sein Körper ist gespannt, als erwarte er im nächsten Augenblick einen heimlichen Angriff, doch nichts dergleichen geschieht. Seine Gedanken kommen langsam zur Ruhe, er lauscht nach einer Weile seinem Atem, dem einzigen Geräusch hier.

      Nach und nach versinkt er in Erinnerungen an die Zeit in Sizilien, als er als mittelloser Bursche einem gutgekleideten Mann die Brieftasche klauen wollte und ihn dieser dabei erwischte. Doch anstatt ihn der Polizei zu übergeben, reichte er ihm etwas zu essen. Er erinnert sich daran, wie der mysteriöse Mann ihn eine ganze Zeitlang mit sich nahm, ohne ihm je seinen Namen zu verraten. Nach etwa einem Jahr des Handlangens, dessen Lohn ein Platz zum Schlafen und regelmäßiges Essen war, reisten sie zusammen nach Spanien, genauer gesagt, nach Katalonien. Es war das erste Mal, dass ich ein anderes Land betrat und auch kennenlernte. Damals war ich schwer beeindruckt von der ganzen Geheimniskrämerei, dem gehobenen Auftreten von Señor Melidas, der über alles Bescheid zu wissen schien! Dem sichtlichen Reichtum der Loge und der Macht, die sie besaß. Plötzlich war aus mir jemand geworden, dem Reisen rund um den Globus bezahlt wurden, für den die Welt nicht mehr unerreichbar groß, sondern zahlbar klein geworden war! In meiner Naivität dachte ich doch allen Ernstes, das Leben sei ab nun perfekt! Endlich waren da Leute, die an mich glaubten, die mir eine Ausbildung ermöglichten. Bilder, wie er damals stolz vor der Privatschule La Fraternitis stand, zusammen mit einer kleinen Klasse von Kindern, die ein ähnliches Schicksal zu erzählen hatten, wie er. Einige von ihnen schafften gar den Sprung zur Uni, nennen sich heute stolz Mitglieder La Fraternitis. Der Rest, zu dem auch er gehörte, wurde von der Loge zu einem Eignungstest geladen, wo ausgewählte Mitglieder alle nach strengen Kriterien prüften, zu was sie taugten, ob sie für La Fraternitis einen Nutzen besaßen oder nicht. Damals war ich etwa dreizehn, vierzehn vielleicht! Niemand von uns verstand wirklich, was da genau passierte und was das für unsere Zukunft bedeutete! Die Mitglieder behandelten uns stets freundlich, und …, ich muss zugeben, korrekt! Wir bekamen immer reichlich zu essen. Ich glaubte doch allen Ernstes, die schlechten Jahre seien vorüber! Faretti blinzelt und öffnet seine Augen, stiert in die Dunkelheit.

       Ich wünschte, er hätte mich nie zur Mutter und Tochter von Sofía geschickt, dann wäre alles in Ordnung! Leider werden Wünsche nicht einfach so erfüllt, weswegen dies meine letzte Nacht hier ist … in diesen kalten und zugleich schützenden Gemäuern.

      Während der Alte zurück in seine Gemächer schlurft, sinnt er über seine getroffenen Entscheidungen nach: Darüber, ob es richtig war, Faretti mit den Aufgaben um Sofías Familie zu betrauen, ihn zur Tochter und Mutter zu schicken?

      Die Aversion gegen süße Düfte, die Sofías Tochter an den Tag legte, brachte mich auf Faretti. Er schien damals geradezu prädestiniert für mein Vorhaben zu sein. Melidas kann sich noch gut daran erinnern, wie schnell sich die Meinung von Carmens Psychiater änderte, wie sich ein gierendes Glitzern in seine Augen stahl, ein selbstgerechtes Grinsen auf die Lippen, als ihm eine halbe Million geboten wurde, damit er die gewünschten Informationen preisgab. Melidas grinst mephistophelisch. Anschließend klappte alles, wie ich es plante! Jetzt allerdings scheint der Wurm in der Sache zu stecken … Wie es so schön heißt! Allerdings muss ich eingestehen, dass ich wusste, dass es so kommt …, sogar darauf hin gearbeitet habe!

      Schon so lange bereitet er seinen eigenen Tod vor. In aller Stille und Heimlichkeit. Er will endlich sterben können, jedoch ohne dabei gleich sein Vermächtnis zu Fall zu bringen. Dummerweise kann Faretti ihm mit seinem Wissen gefährlich werden, auch wenn er höchstens entfernt erahnen kann, was Melidas wirklich vorhat.

      Es besteht die Gefahr, dass er mit Sofía das Gespräch suchen wird, und sie mein Vorhaben sabotieren! Er denkt an den kleinen Raum mit den zahlreichen Bildschirmen. Wenn sie sich näher kommen, wird er es ihr garantiert erzählen! Das darf unter keinen Umständen geschehen. Er schmatzt nachdenklich, erinnert sich an den renitenten Tonfall, der ihm vorhin bei Faretti aufgefallen war. Es wird Zeit, dass er von der Bildfläche verschwindet, mit all den kleinen Geheimnissen, die er indirekt für mich hütet! Leider kann ich ihn mir nicht so einfach entledigen, wie ich es gerne wollte … noch nicht. Erst muss er noch etwas für mich beschaffen. Ich habe nur ihn; es ist wichtig, damit mir das Ganze gelingen kann! Er kichert heiser, ein stockendes Hüsteln folgt. In der Zeit seiner Abwesenheit wird mir La Fraternitis in Venezuela bestimmt Bericht erstatten. Sofía