Oliver Trend

Gebrochenes Schweigen


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ein und schließt sie behutsam hinter sich. Mal sehen, was meine Karten dazu verraten! Die Berichte meiner fleißigen Schatten kenne ich ja bereits!

      Berlin. Als ich vorhin im Bad war, um mich etwas frisch zu machen – mein verkrüppeltes Selbst, mein Gesicht mit dem störenden roten Feuermahl am linken Ohr, angewidert im Spiegel betrachtete, geschah es; gerade in dem Augenblick, als ich wieder in meine altbekannte Lethargie zurückfallen wollte, mir einredete, alles wäre nur schlichte Einbildung – offenbarte sich mir die verstorbene Seele: mit einem kalten Grinsen im faltendurchzogenen Gesicht, welches ihre obere Zahnreihe zum Vorschein brachte. Ihr groteskes Angesicht sprang förmlich aus dem Spiegel heraus auf mich zu. Ihr Gekicher hörte sich an, als würde Schleifpapier grob aneinander gerieben. Bildete mir gar ein, ihren fauligen Atem wahrzunehmen – ein schwerer Geruch nach Verwestem, der mich das zuvor eingenommene Frühstück hochwürgen ließ, während ich reflexartig vom geschmolzenen Quarzsand zurückschreckte. Mein Herz hämmerte fest in meinen Kopf, als ich ihre raue Stimme in mir vernahm: Schreibe … schreibe … jetzt! Schreibe … schreibe … jetzt … schreibe, schreibe! Polterten ihre Worte fordernd in meinem Schädel.

      Ich rollte benommen weiter vom Spiegel weg und heulte fürchterlich. Schrie und verfluchte die Seele, die mich in meinem verkrüppelten Körper und meinem Geist gefangen hält.

      „Was willst du? Oh, du verfluchtes, gottloses Gespenst, lass mich in Ruhe!“, kreischte ich mit überdrehter Stimme in das leere Bad, was mir selbst noch mehr Gänsehaut bescherte.

      „Ich will sterben, verstehst du? Mir ist deine Lebensgeschichte scheißegal, kapierst du? Lass mich endlich in Ruhe!“ Ich suchte hektisch den kleinen Raum ab, ohne die geringste Spur von diesem grausamen Wesen zu entdecken! Trotzdem spürte ich deutlich ihre Anwesenheit, die sich unendlich tief anfühlende Kälte, die stets von ihr ausgeht, wenn sie zugegen ist! Die Luft, die ich des Schreckens wegen nicht mehr aus meinen gefüllten Lungen weichen lassen konnte, drängte – wollte wieder heraus. Aber ich ließ es nicht zu. Stattdessen konzentrierte ich mich auf meinen unregelmäßig galoppierenden Herzschlag.

      Denk nicht mal dran! Fuhr mich die raue Stimme brüsk in mir an. Du wirst schreiben … schreiben … nichts als schreiben!

      Als ich panisch zum Spiegel hochblickte, zeigte er erst ein gewohntes Bild, als sie plötzlich nochmals kurz darin aufblitzte – unheilvoll, dämonisch! Der Drang, auszuatmen, gewann überhand, ich pustete laut zischend aus. Schweiß brannte in meinen Augen, ich wischte ihn unbeholfen aus den Augenhöhlen.

      JETZT! Hallte die Stimme befehlend in meinem Schädel, dass ich glaubte, er würde jeden Moment unter enormen Schmerzen bersten. Anstelle meines Hauptes barst keine Sekunde später der Spiegel mit einem furchtbar lauten Knall. Unzählige Splitter wurden durch das Bad geschleudert und hagelten gegen den Emaillebelag der Badewanne, die glasierten Wandplatten und mich.

      Ich schlug voller Panik die Hände vor den Kopf und kreischte eingeschüchtert: „Aufhören, aufhören …! Bitte, bitte – ich … ich tue, was du willst!“, während ich meinen Oberkörper, soweit ich das in meiner Situation noch vermochte, in die Rollstuhllehne drückte.

      „Ich tue, was du willst!“, wisperte ich, als die Splitter wie von Geisteshand ihre Wucht verloren und kraftlos auf den Plattenboden prasselten.

      „Ich tue, was du willst!“, hörte ich meine jämmerliche Stimme, wie sie resigniert im Badezimmer verklang, „ich tue, was du willst!“

      Ich weiß! Donnerte es hallend in meinem pochenden Schädel, sodass ich meine Hände ruckartig an meine Ohren schlug.

       Ich weiß, Kleines! Und jetzt, schreibe … schreibe … schreibe!

      So sitze ich wieder – nachdem ich meine Schnittwunden versorgt habe – an meinem Schreibtisch, wie schon die letzten Stunden, und tue, was von mir verlangt wird: Ich schreibe!

      3

      Iglesia del Cielo, Kolumbien. Am fünften Tag weckten mich zwei junge Soldaten in der Früh und brachten mich in einen Raum oben im Ostturm, in dem General Morillias mit ernster Miene auf mich wartete. Er saß hinter einem großen Holztisch, rauchte eine dicke Zigarre und blies genüsslich den würzigen Rauch aus.

      Ich betrat müde und mit einem unbeschreiblich flauen Gefühl den Raum und wurde von den Soldaten auf den Stuhl dem General gegenüber platziert. Über ihm hing ein Bild von Präsident Pèrez. Mein Herz raste. Onkel Salvatore erzählte mir oft von den Methoden der staatlichen Truppen, wie sie Menschen, Frauen und Kinder wie mich, zum Reden brachten.

      Aber ich war tapfer und betete zu Gott, dass er mir die Kraft geben mochte, die ich brauchte, um alles hier zu überleben. Es war ein Gebet, welches mir Schwester Lucia vor zwei Tagen beigebracht hatte. Schließlich geschah einem nichts im Leben, was nicht von Gott gut geheißen wurde. So glaubte ich es damals aus ganzem Herzen.

      Währenddessen wurde die Tür hinter mir von den beiden Soldaten geschlossen, ich hörte, wie sie davor Stellung bezogen.

      Der General durchbohrte mich mit seinen stechenden Augen. „Wie heißt du, bonita?“

      Ich wusste, wenn ich leben wollte, durfte ich ihm nicht sagen, wer ich war – dass Salvatore de la Sourca mein Onkel war, den er vor fünf Nächten brutal ermorden ließ – ihn, wie das ganze Dorf!

      „Willst du es mir nicht verraten?“, fuhr er fort, ohne seine Stimmlage zu ändern. Er machte auf mich einen gütigen Eindruck. zumindest im Augenblick, was, wenn ich im Nachhinein so bedenke, sehr widersprüchlich war! Er sog abermals genüsslich an seiner Zigarre und blies den Rauch aus.

      „Meinen Namen kennst du bestimmt!“, er beugte sich ein wenig zu mir nach vorne, sodass der Stuhl unter seinem Gewicht ächzte und lächelte: „Nun möchtest du bestimmt wissen, wie es dazu kommt, dass ich mich in einem Kloster aufhalte, nicht?“, er blinzelte mir dabei zu und wartete auf meine Antwort.

      Ich nickte verlegen, während sein Lächeln breiter wurde.

      „Gut, dann will ich dir eine Geschichte erzählen, meine, wenn du so willst“, er kaute auf der Zigarre herum und schien einen Moment zu überlegen, ehe er sie behutsam in den Aschenbecher auf dem Tisch legte und sich wieder zurücklehnte. Nachdem er den grauen Rauch aus seinem Mund gepustet hatte und gerade beginnen wollte, klopfte es hohl an der Tür.

      Morillias hielt augenblicklich inne und schaute zur Tür. „Si, entre!“, meinte er darauf deutlich strenger, und einer der Soldaten trat ein, der vor der Tür Wache hielt.

      Er marschierte großen Schrittes zum General hinter dem Tisch und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

      Dieser nickte nachdenklich.

      Da hörten wir, wie plötzlich ein Flugzeug über die Festung hinweg flog.

      „Coño!“, fluchte der General gefährlich leise, schnappte mit einer schnellen Bewegung nach seiner glimmenden Zigarre. „Joder, la puta mierda … diese verfluchten Hunde!“, schoss aus seinem Stuhl hoch und verließ eilends mit dem Soldaten den Raum, ohne weiter auf mich zu achten.

      Sekunden später hockte ich alleine drin, angespannt lauschend, wie unzählige Kampfstiefel auf die Dielenbretter und Steinplatten trafen. Ein matt hallendes Geräusch machte sich im Turm breit. Ich war vor Angst erstarrt. Erst viele Minuten später, als eine Ratte, so groß wie mein Unterarm, links von mir auf dem Boden entlanghuschte, konnte ich mich wieder bewegen. Ich stand mit einem Ruck auf und rannte kreischend aus dem Raum, mit der keimenden Furcht in mir, dass ich nicht mehr lange lebte. Tränen rollten mir von den Wangen, während ich zur Wendeltreppe hastete.

      Abermals dröhnten die Propeller des Flugzeuges über mir, ich vernahm Gewehrsalven, und eine Heidenangst erfasste mich. Ich stürzte in meiner Panik und schlug mir die Knie auf dem kalten Steinplattenboden auf.

      „Alle Soldaten an die Waffen, wir werden angegriffen!“, lärmte des Generals tiefe Stimme durch die an den Wänden angebrachten Lautsprecher.

      Darauf