Janine Zachariae

Lydia - die komplette Reihe


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      Sie brach weinend zusammen. Konnte nichts mehr sagen. Tom rannte aus dem Zimmer. Sie hörte, wie es an der Tür klingelte und ging die Treppen runter.

      »Lydia ist nicht da!«, hörte sie ihren Vater barsch reden.

      »Doch, sie ist da, ich weiß es ganz genau.«

      Steve eilte herbei.

      »Vater, ich kläre das.«

      Sascha war selbst fix und fertig. Er ging in die Küche, zu Sam zurück. Sie telefonierten gerade mit Michael.

      »Steve, was ist bei euch los?«

      »Lydia geht’s gut. Sie ist ab Montag nicht mehr hier«, erklärte er geknickt.

      »Ab Montag?« Er sah ihn fragend an und schüttelte verwirrt den Kopf. Montag? Das war schon sehr bald.

      »Ja, es ist ein Platz frei geworden, kurzfristig sozusagen. Sie kann dann ins Internat und dort den Sommer über wohnen.«

      »Die Ferien verbringt sie nicht hier?«, wollte Tom wissen. Er runzelte die Stirn, starrte Steve dabei aber an.

      Steve schmerzte es zutiefst. Er hasse sich selbst dafür. Hasste es, dass es soweit hat kommen müssen.

      »Nein. Sie wird dort Praktika machen und sich komplett auf die Schule einstellen.«

      »Was ist mit den Prüfungen?«

      »Dort ist es freiwillig, ob jemand seinen Realschulabschluss machen will, obwohl er sich auf das Abitur quasi vorbereitet, oder nicht. Es liegt also an ihr, ob sie die Mündlichen noch machen will«, stammelte Stephan. Ihm ging so viel durch den Kopf, dass er kaum einen klaren Gedanken oder gar Satz zu Stande bringen konnte.

      »Wo muss sie hin?«

      »Nach ... Bayern.« Steve machte eine kurze Pause, blickte kurz nach hinten und trat einen Schritt hinaus, sodass er die Tür etwas hinter sich schließen konnte.

      »Geh wieder in dein Zimmer, und versuche auf Lydia ein Auge zu werfen. Rede mit ihr und versuch sie zu beruhigen. Aber komme nicht noch mal her und verliebe dich nicht in sie!«, flüsterte er. Verwirrt sah Tom ihn an. »Ich weiß, sie mag dich sehr und du sie scheinbar auch.«

      Da Tom wusste, dass Stephen nichts mehr hinzufügen würde, fragte er:

      »Liegt es meiner Familie?« Steve schwieg, Tom aber glaubte, ein leichtes Nicken vernommen zu haben. »Ihr kennt uns doch nicht!«, flüsterte er.

      Steve war bereits im Begriff hinein zu gehen, als er noch einmal innehielt, Tom anschaute und kaum hörbar: »Wenn du wüsstest« sagte. Mit diesem Satz ließ er ihn stehen. Tom war verstört. Was wollte Lydias Bruder nur damit andeuten? Er ging zurück ins Haus.

      »Was ist denn los, Tom?«, wollte seine Mutter wissen. Er erzählte es ihr und bemerkte einen eigenartigen Gesichtsausdruck bei ihr.

       »Weißt du, was er meinte?«, fragte er sie anschließend. Ja, sie wusste es, sagte ihm aber nichts davon.

      Dabei wäre es sein Recht gewesen, es zu erfahren!

      Er ging in sein Zimmer. Seine Mutter atmete erleichtert aus.

      Sie hatte schon Bedenken, dass sich die Kinder so gut verstanden.

      »Lydia!«, rief er zu ihr.

      »Was war unten los? Warum durftest du nicht hoch? Warum ist Steve mit dir raus?«

      »Dein Bruder hat was Seltsames gesagt! Ich fragte, wann du weggehst und er meinte, schon am Montag fängst du in der neuen Schule an. Das bedeutet, du musst morgen los.«

      Lydia weinte immer noch und nickte zu dem, was er sagte.

      »Bayern!«, stieß er erstaunt hervor.

      »Hat er dir gesagt, wo genau?« Er schüttelte den Kopf.

      »Bayern, das wäre ja noch schön.«Sie machte eine Pause.

      »Eigentlich ist es schon fast in Österreich!« Das fünfzehnjährige Mädchen fasste sich an die Stirn. Sie fühlte sich kühl an, obwohl es warm war. Alles war zu viel für sie.

      »Was?!« Er war geschockt.

      »Psst! Versuch nicht zu laut schreien.«

      »Steve hat mich gebeten, auf dich aufzupassen.«

      »Wirklich?«, fragte Lydia verwundert.

      »Ja. Ich hab ihn auch gefragt, ob es an meiner Familie liegt.«

      »Das ist unmöglich, ihr wohnt doch erst seit Donnerstag hier.«

      »Na, das dachte ich mir ja auch, aber ich musste dennoch Nachfragen.« Er versuchte, sich selbst wieder zu fassen, und berichtete ihr von dem Gespräch und allem, was Steve zu ihm gesagt hatte. »Ich stand da wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dann hab ich meiner Mutter alles erzählt und sie hat auch so komisch reagiert!«

      »Tom, irgendwas stimmt hier nicht. Ich hab euch vorher noch nie gesehen und hab nie meine Familie über jemanden mit dem Nachnamen Hafe reden hören. Aber weißt du, manchmal hab ich so das Gefühl, sie verstummen, wenn ich ins Zimmer komme und überlegen sich schnell ein Thema. Mein Vater bekommt alle paar Monate ein Päckchen oder einen wichtigen Brief, den er behutsam weglegt.«

      Tom dachte nach. Hatte er schon mal etwas vernommen oder irgendwas gehört?

      »Du, Lydia ... dein Bruder meinte, ich darf mich nicht in dich verlieben. Wie meint er das?« Sie schaute ihn verblüfft mit ihren grünen Augen an und wusste nicht, was sie antworten sollte. Es war einfach alles sehr verwirrend, wie sollte sie nur damit zurechtkommen? Das war doch absurd. Warum sollte er sich nicht in die verlieben? Wieso dürften sie nicht zusammen sein? Um den Kopf wieder etwas klarer zu bekommen, beschlossen sie, einfach weiter in dem Buch zu lesen, welches sie am Abend zuvor schon begonnen hatten. Obwohl sie kaum gedanklich folgen konnten, worum es in diesem Buch eigentlich ging, tat es gut. Es war etwas Solides. Der Inhalt stand schon fest und würde sich nicht mehr ändern. Es war etwas, worauf sie sich verlassen konnten und so verbrachten sie einfach die nächsten Stunden damit und irgendwann folgten sie auch der Geschichte aufmerksam und lachten, wenn es passend war, oder wirkten überrascht, wenn es die Situation vorschrieb.

      Langsam begann es allerdings zu dämmern, doch sie wollten noch nicht aufhören. Nicht dieser Blase entkommen, die sie sich gerade aufgebaut hatten. Sie könnte jeden Moment platzten, wie eine Seifenblase im Wind.

      Irgendwann vernahm sie ein stumpfes Klopfen und registrierte, wie die Tür geöffnet wurde. Steve meinte, es sei Zeit fürs Abendessen, doch Lydia hatte keinen Hunger. Sie wollte doch nur hier sitzen und mit ihrem Freund Zeit verbringen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann müssten sie sich von einander trennen. Sie fragte sich, ob sie eine Zukunft gehabt hätten oder ob er einfach nur ein guter Freund geworden wäre ...

      »Du musst was essen!«, meinte Steve und blickte zwischen Lydia und Tom hin und her. Kurz schien es Lydia, als würde ihm etwas in den Sinn kommen. Ein neuer Gedanke oder eine Erkenntnis, doch dann schaute er wieder nur sie an.

      »Ja, ja. Irgendwann. Geh!«, schrie sie und Stephen schloss leise die Tür hinter sich, unsicher, was als Nächstes passieren würde.

      *

      »Sie will nicht herunterkommen«, sagte Steve zu den anderen, als er die Küche betrat.

      »Arme kleine«, meinte Sam betrübt und schüttelte den Kopf und doch ... Es wurde Zeit für die Wahrheit, das war auch ihm bewusst.

      Sascha zuckte mit den Schultern und sprach: »Sie sollte sich lieber bald daran gewöhnen. Stephen, wenn sie bis heute Abend nicht runterkommt, wirst du noch einmal mit ihr reden und du hilfst ihr beim Packen. Auf dich wird sie hören.«

      »Ich will sie aber nicht Verletzten.«

      »Möchtest du, dass ich es mache?«

      *