Janine Zachariae

Lydia - die komplette Reihe


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      »Nein! Das darf nicht wahr sein! Nein, oh nein, nein, nein, nein.« Verwirrt über diesen Ausbruch, schaute sie ihn lange an.

      Er raufte sich die Haare, ging im Zimmer hin und her.

      »Lydia, wann hast du Geburtstag?«, wollte er wissen.

      »Am 7. April.«

      »Jahr?«

      »1993.«

      »Ach. Du. Scheiße!«, sagte er betont langsam. »Nein, nein, nein. Warum ist mir das nicht gleich aufgefallen? Ich bin so bescheuert«, stammelte Thomas.

      Fünf Minuten später stürmte Lydia Schaf in die Küche:

      »Ich bin ein Zwilling?« Alle mussten schlucken und tief Luft holen. Michael war in der Zwischenzeit auch angekommen.

      »Lydia, woher?«, fragte ihr Vater.

      »Tom!!«, meinte Steve erschrocken.

      »Dieser Bengel«, schrie Sascha.

      »Also stimmt es? Tom und ich sind Zwillinge? Aber wie? Wie ist das möglich? Wolltet ihr keinen weiteren Jungen mehr? Wolltet ihr meinen Bruder nicht mehr hier haben?«, fragte sie hysterisch und fluchte dabei.

      Sie waren alle geschockt, so kannten sie das Mädchen gar nicht und ihr Vater meinte nur:

      »Lydia beruhige dich!«

      Als es an der Tür klingelte, nutzte Michael die Gelegenheit, um kurz durchzuatmen. Familie Hafe ging ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei und Michael murmelte nur »Küche« und schlurfte ohne Elan hinter ihnen her.

      »Die Kinder sind klüger, als wir dachten, Sascha.«

      »Was geht hier vor? Tom?«, wollte Lydia wissen und musste ein paar Mal blinzeln, da Tränen ihr die Sicht verschleierten.

      »Ich bin zu meinen Eltern hin, um zu wissen, was Sache ist, und plötzlich sind sie aufgestanden und na ja, hier sind wir.« Er sah selbst mitgenommen aus, hatte rote, gequollene Augen. Lydia atmete tief ein und aus. Als sie merkte, dass ihre Stimme nicht mehr so wackelte, sagte sie:

      »Tom und ich haben ein Recht auf die Wahrheit! Wenn ihr uns nichts sagen wollt, seid ihr Feiglinge! Alle, wie ihr da steht!«

      »Was willst du wissen?«, wollte Herr Hafe wissen.

      »Gehen wir ins Wohnzimmer, da riecht es nicht so nach Essen und wir haben mehr Platz«, schlug Herr Schaf vor.

      Alle, bis auf Tom und Lydia, setzten sich aufs Sofa und in die Sessel. Sie sah zu Tom. Er wirkte sehr blass und niedergeschlagen.

      »Wir werden euch jetzt Fragen stellen, die uns nach und nach einfallen und ihr werdet sie offen und ehrlich beantworten! Aber wehe einer lacht, weil ich mich vielleicht nicht ordentlich ausdrücke.« Alle nickten. »Tom und ich sind Zwillinge?«

      »Ja!«, bestätigten sie etwas zögernd. Lydia nahm ihren neuen Bruder an die Hand, um ihm Mut zu machen. Sie drückte diese sanft und er lächelte sie kurz an, ehe sie weiter fragte: »Seit wann wisst ihr das?« Sie richtete die Frage an die drei Brüder. Steve ergriff das Wort:

      »Michael und ich haben es eigentlich gleich gewusst. Ich hab es nicht sofort verstanden, aber Michael wusste genau, was los war. Sam haben wir es erst vor einigen Jahren erzählt.«

      »Ihr habt mich die ganze Zeit über angelogen?«, stieß sie empört und verletzt aus.

      Es war, als würde sich ein Loch unter ihr auftun und sie verschlingen. Ihr ganzes Leben war eine Lüge?

      Sie sah Steve in die Augen und ließ nicht zu, dass er sich abwandte. Nein, sie musste wissen, was in ihm vorging. Dabei vertraute sie ihrem Bruder alles an. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander. Plötzlich fühlte sie sich verraten. Eine Stimme in ihrem Kopf sprach leise: ›Du hast es doch immer geahnt.‹Ahnte sie es wirklich? Tief im Inneren? Aber wer würde schon auf solche Gedanken kommen? Ja, sie war irgendwie schon immer anders als ihre Geschwister, aber auf eine so absurde Idee zu kommen ... Das übertraf ihr Vorstellungsvermögen.

      »Es war eine Lüge, die in deinem Interesse war. In eurem Interesse.«

      Tom funkelte alle böse an und fragte nun, wer adoptiert wurde.

      »Wie meinst du das, mein Schatz?«, hakte Franziska nach. Lydia zitterte. Tom merkte das und nun hielt er ihre Hand fester.

      »Na, ganz einfach: Wer brachte uns zur Welt? Wer wurde weggegeben, wer blieb?«

      Überall wurde es still, keiner rührte sich. Dann sagte Jochen Hafe: »Ihr seid beide adoptiert.«

      Den Teenagern wurde schwindlig. Steve bemerkte es und ging in die Küche, um beiden ein Glas Wasser zu holen.

      »Danke«, murmelten sie.

      »Natürlich! Ihr seid ja alle dunkelhaarig und keiner hat die gleiche Augenfarbe. Ihr habt auch eine andere Kinnpartie, die Nase ...«, bemerkte Tom aufgebracht.

      »Ja, so ist es bei meinen auch«, bestätigte Lydia. »Ich verstehe das alles nicht. Das passt nicht zusammen.« Lydia versuchte, das Puzzle zu vervollständigen. Eine andere Haarfarbe machte noch lange nicht den Unterschied, aber auf einmal kam sie sich einfach nur lächerlich vor.

      »Was denn?« Sie lächelte Steve an, sah dann aber wieder zu den Eltern.

      »Also: Ihr habt uns beide adoptiert. Gut. Wer ist dann aber die Mutter von Michael, Steve und Sam und warum ging sie?«

      »Der Mutter, von deinen Brüdern, ging es nicht mehr gut.«

      Die Jungs sahen sich an, als wäre es auch für sie etwas Neues.

      »Drei Mal im Jahr schickt sie mir ein Päckchen für die Jungs. Darin sind Kleinigkeiten und Geld. Eure Mutter will keinen Kontakt mehr zu euch. Sie hat euch lieb, aber sie konnte einfach nicht mehr.«

      »Was hat sie?«, wollte sie wissen.

      »Sie ging, weil sie sich neu verliebte. Sie hat wieder geheiratet, ihr Mann ist reich. Sie ist noch immer verheiratet. Hat eine neue Familie gegründet.« Das war zwar ein Schlag für alle, aber deutete nicht auf eine Krankheit hin. Im Gegenteil. »Lydia, du bist mit keinem von uns verwandt und Tom, du mit keinem aus deiner Familie«, fügte Sascha zu seiner Erklärung hinzu. Noch immer waren alle Kinder verwirrt.

      »Warum wurden wir getrennt und wie kommt es, dass wir so weit weg von einander aufgewachsen sind?«

      »Franziska und ich waren die Paten von euch. Shannon und James, eure Eltern, wollten, dass ihr in gute Hände kommt, sollte ihnen etwas passieren. Wir wuchsen im Grunde alle zusammen auf, gingen auf die gleiche Schule und auf dieselbe Uni.«

      »Shannon und James«, flüsterte Tom leise.

      »Ihr wart erst wenige Wochen alt, als sie bei einem Autounfall starben. In ihrem Testament war vermerkt, wer wen bekommt. Sie hinterließen euch eine Menge Geld, so dass eure Ausbildung abgesichert ist«, beendete Sascha seinen Satz. Und wieder an die Brüder gerichtet: »Eure Mutter war noch da. Daher war es kein Problem.

      Doch Lydia war keine zwei Monate bei uns, als sich meine Frau veränderte. Nina suchte bei mir Rat. Sie war verzweifelt, wollte mich nicht alleine lassen, war aber depressiv. Also ließ ich sie gehen. Sie brauchte Abstand. Ich nahm an, dass der Verlust ihrer besten Freunde sie so mitgenommen hatte.«

      Das war zu viel für alle. Nachdem jeder sich wieder etwas gefasst hatte, wollte Steve wissen, warum Familie Hafe überhaupt in ihr Nachbarhaus gezogen sind, wenn sie es doch geheim halten wollten. Das leuchtete nicht ein, denn sie hätten doch ahnen können, was es auslösen würde.

      »Wir dachten, es wäre gut, wenn sie sich langsam kennen lernen. Die Zeit war eigentlich reif dafür. Wir haben schon lange nach Arbeit hier Ausschau gehalten. Sascha und Michael fanden es auch eine gute Idee«, erklärte Herr Hafe.

      »Michael, du wusstest davon? Du wusstest, wer sie sind?«

      Er nickte und meinte: »Versteht mich nicht falsch. Aber ich dachte, es