Ralph Kloos

KOLONIE 7


Скачать книгу

ja trotz mittlerweile tausender veröffentlichter Privatfotos nicht viel mehr hergab, als das was ja schon nach wenigen Stunden bekannt wurde, war das Groß der Artikel von extrem spekulativer Natur.

      Insider wussten von Röntgenaufnahmen zu berichten, die nur aussagten, dass der Würfel offensichtlich hohl war und keine weiteren Überraschungen oder gar geheime Nachrichten enthielt. Kasha musste lächeln. Aha - so versuchte man also jetzt eine falsche Fährte zu legen; denn was sie vor ihrem Essen an wirklichen Röntgenaufnahmen gesehen hatte, sprach eine ganz andere Sprache. Wahrscheinlich hätte sie es nicht anders arrangiert. Was sollte man den Menschen auch erzählen, wenn man selbst auf höchster wissenschaftlichen Instanz kaum etwas Verwertbares vorzuweisen hatte?

      Da sie langsam angenehm müde wurde, las sie nur noch ein paar Blogs, die angeblich alle den Schlüssel des Geheimnisses erklären konnten, aber außer jeder Menge religiöser Vergleiche mit sonstigen Bibel- und Koran-Passagen fanden sich nur die üblichen Weltverschwörungsfantasien mit den irrwitzigsten Theorien.

      Die Facebookseite des Goldenen Würfels auf der Webseite der Sorbonne hatte bereits 390 Millionen „Likes“ in knapp 20 Tagen eingesammelt und so würde sie wahrscheinlich schon in wenigen Wochen Lady Gaga vom ersten Platz der Klick-Hitparade verdrängen.

      „Alles Paparazzi“ dachte sich Kasha noch und schlief zufrieden ein. Sie war noch nie mit der First Class geflogen und sie genoss die angenehme Reise. Nach einem erholsamen Schlaf wurde sie kurz vor der Landung in Paris mit einem Glas Champagner geweckt, fühlte sich fit und war einfach nur noch neugierig. Professor Leclerc hatte seinen Assistenten Prof. Francois Michels zum Airport geschickt, der mit einem Schild auf die Kollegin aus den Staaten wartete.

      Da Kasha bereits wusste, dass man in der Sorbonne nur einen Dummy ausstellte, ging es direkt nach Rambouillet zum abgeschirmten Original des Würfels. Schon auf der Fahrt diskutierten beide die verschiedenen Aspekte, die den Fund so außergewöhnlich machten und da sich Kasha gerne durch die Euphorie des französischen Kollegen anstecken liess, war sie nun wirklich ungeduldig. Bevor sie jedoch ins Allerheiligste eingelassen wurde, musste sie sich fotografieren lassen und etwas warten, bis ihr fälschungssicherer Zugangsausweis fertig gestellt war.

      Dann endlich fuhr man sie mit einem Elektromobil geschlagene fünf Minuten, bis sie endlich vor einer mächtigen Aufzugstür zum Stehen kamen. „Jetzt sind wir dann wirklich gleich da“ lächelte Professor Michels, der sich angesichts der attraktiven Kollegin geradezu umbrachte vor Charme. Nach dem Ausstieg aus dem Fahrstuhl waren es nur noch wenige Meter bis zur bewachten Schleuse, denn jetzt endlich waren sie auf der tiefsten Ebene - im Hochsicherheitstrakt, der im Falle eines Krieges als „kleiner Plenarsaal“ vorgesehen war.

      Scherzhafter weise hatten die Franzosen den zentralen Bunker-Saal, in dem der goldene Würfel stand, „Oval-Office” genannt, obwohl er gar nicht oval, sondern in Wirklichkeit ein halbrunder Tunnel war. In der Mitte hatte man den goldenen Würfel auf ein hydraulisches Podest gestellt und jede Menge sensorischer Messgeräte um ihn herum aufgebaut.

      Als Kasha endlich vor ihm stand war sie einfach nur fasziniert. Ehrfurchtsvoll streckte sie ihre Hand nach dem schimmernden Metall aus und berührte erstmals die einmalige Struktur des Kubus. Sanft strich sie in die verschiedenen Ein- und Ausbuchtungen und versuchte sich vorzustellen wodurch sie wohl entstanden sein könnten. Noch nie hatte sie ein derartiges Gefühl überkommen, irgendwie empfand sie instinktiv, dass dieses Metall zwar aus dem chemischen Element Gold bestand, aber was auch immer die atomphysischen Anomalitäten hervorgerufen hatte, war einfach unerklärlich. Da sie sich ja seit Jahren mit den spekulativen Möglichkeiten über den Einsatz und die Funktion von perfekter Nanomaterie beschäftigt hatte, waren ihr natürlich tausende von Anwendungsmöglichkeiten in den Sinn gekommen, aber dass dieser Kubus aus solch einem Material bestehen könnte, erschien ihr dann doch mehr als unwahrscheinlich.

      Andererseits war die Sachlage so unerklärlich, dass man alle alten Denkblockaden durchbrechen musste. Aber wenn eine außer-irdische Zivilisation bereits die Fähigkeit hätte und diese Technologie verwenden würde - warum dann dieser seltsame Würfel? Und seit wann war er bereits auf der Erde?

      Kasha bezweifelte auch sofort, dass das Metall aus einer irdischen Förderstätte stammte - aber das ließ sich ja leider nicht verifizieren.

      Jeder auf der Erde geförderte Nugget Gold wies aufgrund seiner ortstypischen Lage gewisse Verunreinigungen im Metall auf, die es nachträglich ermöglichten, zu bestimmen, wo dieses Gold auch gefunden wurde, aber ohne eine Materialprobe war diese These weder zu beweisen noch zu halten.

      Im Moment waren also nur dann neue Erkenntnisse über die Herkunft zu erwarten, wenn die zweite Unterwasserexpedition etwas Neues ans Tageslicht bringen würde.

      Da ein ganzes Stockwerk des Schlosses mit Gästezimmern ausgestattet war, bezog sie im zweiten Stock des Gesinde-Hauses einen wunderschön eingerichteten Raum mit eigenem Bad im Renaissance Stil. Dann sichtete sie erst einmal alle vorhandenen Daten und Videoaufnahmen und checkte ihre E-Mails. Schließlich vereinbarte sie noch eine mitternächtliche Video-Konferenz mit einem ihrer ehemaligen Kollegen am CERN und da sie sowieso nicht schlafen konnte, loggte sie sich mit einem speziellen Zugang auf den Server der Deep Search One ein, die vielleicht schon morgen Nacht an der Fundstelle der Galeone sein würde.

      Die Webcam, die oberhalb der Brücke montiert war, übertrug den Blick über den Bug, der bei dem satten Swell tief in die stürmische See eintauchte und alle paar Sekunden meterhohe Gischtfontänen über das gesamte Vorderschiff spritzte.

      Kasha hatte eine konkrete Ahnung, dass sie bei diesem Seegang schon längst der Seekrankheit zum Opfer gefallen wäre. Sie war Tänzerin, turnte für ihr Leben gerne und hatte auch keinerlei Höhenängste, wenn sie mit den Schweizer Kollegen die Berghänge im Pulverschnee herunter gerast war. Aber andauernd schwankendes Wasser konnte sie einfach nicht beherrschen. Sie bevorzugte eindeutig festen Boden unter den Füssen und bewunderte alle Menschen, die anscheinend problemlos mit dem Geschaukel umgehen konnten.

       Der Archivar

      Paolo Casanate hatte nur 10 Minuten mit dem Heiligen Vater geredet und war dennoch innerlich tief bewegt - denn obwohl sein Anliegen wohl durchaus als äußerst unangenehm für seinen obersten Dienstherr zu betrachten war, hatten ihn die tröstende Worte des Papstes innerlich aufgerichtet.

      Die Reaktion von Franziskus erschien dem Archivar aus-gesprochen logisch, nachvollziehbar und angesichts der historischen Hinweise auch irgendwie unvermeidbar, denn mit den heutigen Methoden der forensischen Spurenauswertung war es wahrscheinlich wirklich nur eine Frage von Zeit und vereinter Kombinationskraft, bis ein schlauer Forscher die wahren Zusammenhänge der damaligen Schiffspassage und ihrer Hintermänner aufdecken würde.

      Fast gemeinsam entstand im Gespräch der alten Kirchenmänner der Gedanke, erstmals in der Geschichte der Kurie progressiv mit einer derartigen Angelegenheit umzugehen, und so beschloss der Papst die Audienz mit einem eindeutigen Auftrag: „Ihr müsst für uns alle Spuren von damals suchen und die Beweise sichern. Ihr nehmt deshalb die erste Maschine nach Mexico-City und begebt Euch danach, so schnell Ihr könnt, in das Kloster von Cochabunbala in den Anden. Wenn es wirklich Aufzeichnungen über diese längst vergessene Geschichte gibt, dann müsst Ihr sie schnell finden und zu uns bringen. Möge Gott mit Euch sein.“

      Paolo Casanate hatte noch nie mit dem Papst über seine einmalige Arbeit geredet und er war sich auch ziemlich sicher, dass er unter Papst Benedikt kaum diesen direkten Weg gewählt hätte, aber jetzt war ein Lateinamerikaner Pontifex Maximus, der ja automatisch ein anderes Interesse an der Kultur seines eigenen Kontinents haben musste. Die Tatsache, dass Paolo nun wirklich seinen persönlichen Befehl ausführen durfte, machte ihn sehr stolz.

      Er ahnte, dass die anstehende Reise nicht das ganze Geheimnis des Würfels aufdecken würde. Trotz seines langen Lebens im Vatikan und seiner jahrzehntelangen Arbeit mit dem einmaligen Archivbestand war Paolo Casanate ein wacher und kritischer Geist geblieben und er ahnte nichts Gutes.

      Vielleicht wäre es sogar wirklich besser gewesen, die Sache einfach auf sich zukommen zu lassen - andererseits war die Gefahr einfach zu groß, dass die Wahrheit schon bald unter Wasser gefunden