Ralph Kloos

KOLONIE 7


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sah selbst KC ein und sah im Geiste schon seinen Anteil an der potentiellen Bergungsbeute davon schwimmen. Da ja bereits weltweit mit der Entdeckung Promotion gemacht worden war, musste schleunigst diskutiert werden, wie man mit der neuen Situation öffentlich umgehen sollte. Aber die ultimative Materialprobe stand noch aus, denn mittlerweile hatten ein paar Soldaten ein auf einer Lafette montiertes Sturmgewehr in Position gebracht. Mit dem eingebauten Ziellaser wurde ein Einschlag-winkel am der äußersten unteren Ecke des Würfels markiert. Hinter der avisierten Einschlagstelle wurden mehrere Kevlar-Absorber aufgestellt und der gesamte Boden wurde mit reißfester transparenter Folie ausgelegt, um eventuell davon springende Teile des Würfels aufzufangen.

      Wieder wurden die drei High-Speed-Kameras justiert und getriggert: Sobald der Abzug elektronisch gezündet wurde, zeichnete jede Kamera mit unglaublichen einer Million Bildern pro Sekunde auf. Aus Sicherheitsgründen mussten alle den großen Raum verlassen und konnten das Ergebnis nur im Kontrollraum in der Etage Zwei ansehen.

      Trotz der Entfernung war der Knall des ersten Schusses bis dorthin unangenehm laut zu hören. Es dauerte ein paar Minuten, bis die Rechner die aufgenommenen Bilder in das Filmformat umgewandelt hatten. Alle standen mit offenem Mund und sahen das Ergebnis aus drei verschiedenen Perspektiven:

      Wie in Trance bewegte sich das sichtbar verlangsamte Vollmantelgeschoss, vergrößert in Zehntelmillimeterschritten, über den Bildschirm. Es dauerte nervenaufreibende 30 Sekunden bis die Spitze des Projektils auf das glänzende Gold des Würfels traf.

      Doch anstelle ein Stück herauszusprengen, beulte sich die Struktur für eine Zehntausendstel Sekunde leicht ein, um dann wieder, wie Gummi, zu ihrer ursprünglichen Form zurück zu schwingen. Das Geschoss mit einer Aufprallenergie von 19000 Joule pro Zentimeter wurde wie ein Ping-Pong-Ball nach hinten geschleudert und verformte sich dabei zu einem pilzförmigen Artefakt, das nicht mehr viel mit der geometrischen Perfektion eines Projektils gemeinsam hatte. Wie nach der Auswertung des Videos nicht anders zu erwarten, gab es auf der gesamten Folie nirgendwo auch nur einen winzigen Spreißel Gold zu finden bzw. zu analysieren und so wurden die Geheimnisse des Goldenen Würfels von Stunde zu Stunde obskurer und unerklärlicher.

      „Außerirdisch“ war KCs einziger Kommentar und irgendwie klang er fast traurig. „Aber wenn es schon mindestens seit 400 Jahren - wenn nicht noch viel länger hier gelandet ist, dann kann das Teil ja wohl kaum so gefährlich sein, dass die hier Bonanza spielen müssen.“

      Jottape wusste ziemlich genau, was jetzt angesagt war: Sie würden eine zweite Expedition mit der Deep Search One ins Zielgebiet unternehmen, denn es musste unbekannte Anhalts-punkte geben, wie die Galeone unterging, bzw. wer die Ladung wo und unter welchen Umständen an Bord genommen hatte? Was war der Zielhafen? Und warum waren die Soldaten im Schiff nicht mehr in der Lage, sich zu retten oder zumindest den Laderaum zu verlassen?

      Fragen über Fragen und da sich einige der Antworten wohl nur in Spanien einholen ließen, war es an KC ins historische Nautik-Archiv nach Sevilla zu fliegen. Wieder waren es Franck Gotties alte Beziehungen, die sofort ein Treffen mit der Direktorin des Institutes ermöglichten und so machte sich der korpulente Nerd auf den Weg nach Sevilla - nicht ohne sich vorher noch ein paar exquisite kulinarische Tipps von einem der spanischen Wissenschaftler einzuholen. Schließlich war er heute noch nicht einmal zu seinem opulenten Frühstück gekommen.

      Währenddessen machte sich Jottape auf, um im Office seiner Bergungsgesellschaft den Einsatzplan für die kommende Expedition klar zu machen. Wenn Sie das Heck und die fehlenden Kanonen finden wollten, dann mussten sie einen größeren Umkreis um die Fundstelle absuchen und dafür auch mehr Zeit einplanen. Über die Anzahl der Kanonen ließ sich normalerweise mehr über den Schiffstyp heraus bekommen, denn es war bei der Lage des Bootskörpers kaum anzunehmen, dass die Aufbauten noch in irgendeiner Form existierten.

      Viel wahrscheinlicher wäre die Ortung des Ankers, der normalerweise den Namen des Schiffes trug. Als sich die beiden von Professor Leclerc verabschieden wollen, hören sie gerade noch, wie er sich am Telefon von seinem Gesprächspartner verabschiedete: „… und bitte schicken Sie mir den oder die Beste, denn dieses Rätsel ist zu groß für eine Zweitbesetzung. Wir sehen uns dann in Genf.“

      „Das war mein Kontakt beim LHC in der Schweiz, denn die Fakten die wir jetzt zusammenhaben können nur eines bedeuten: Dieser Kubus besteht aus reinstem Gold - das ist aber auch schon alles, was wir wissen und es kann nur eine Möglichkeit geben die atomphysikalischen Besonderheiten dieser Materie zu erklären. Es muss eine Art interner atomarer Verbindungen geben, von deren Wirkungsweisen wir nicht den Hauch einer Idee haben - nur, dass es sie geben muss, denn sonst könnten wir dieses Phänomen nur noch mit Hexerei oder Zauberei erklären.

      „Da wir anscheinend nicht in der Lage sind, eine Material-probe zu nehmen, um diese im LHT in Genf mit Protonen zu beschießen, müssen wir zumindest theoretische Überlegungen über die Besonderheit des Materials anstellen. Besorgen Sie bitte die Informationen aus der Meerestiefe und wir werden unser Bestes geben, um unseren Teil der Aufklärung zu leisten“.

      Eine halbe Stunde später klingelte bei Dr. Kasha Muratti das Telefon und da sie fließend französisch sprach, musste Professor Leclerc nicht einmal seinen schrecklichen amerikanischen Akzent an ihr ausprobieren.

       Schloss Rambouillet

      Die Tatsache, dass aus einem archäologischen Fundstück plötzlich ein Staatsgeheimnis geworden war, hatte zur Folge, das man den original Würfel auf keinen Fall einfach öffentlich ausstellen konnte. Andererseits war es durch die frühe Veröffentlichung der ersten Bilder unmöglich, den gesamten Vorfall zu vertuschen. Deshalb wurde von „ganz oben“ beschlossen, den Würfel „eins zu eins“ zu reproduzieren und das Original lieber an einen militärisch kontrollierten Standort zu verlegen.

      Etwa 55 Kilometer südwestlich von Paris entfernt lag der kleine Ort Rambouillet, der auf den ersten Blick keinerlei militärische Infrastruktur hatte - nur ein berühmtes Schloss mit dem gleichen Namen existierte. Dieses Schloß wurde erstmals im Jahr 1375 erwähnt und entwickelte sich unter König Ludwig XVI zu einer Art Nebenresidenz, denn Versailles lag ja genau auf halber Strecke nach Paris. Auch Napoleon zog sich gerne in diese abgeschiedene Idylle zurück und benutzte Rambouillet ebenfalls als Jagd- und Lustschloss.

      Im Jahr 1975 fand im Schloss Rambouillet eines von vielen Gipfeltreffen von nationalen Konzernen und internationalen Banken statt, bei der sogar der Vorläufer der G8 ratifiziert wurde: Der erste Gipfel der führenden Industrienationen.

      An der Südflanke des Schlosses war ein riesiger englischer Prunkgarten angelegt, der an drei Seiten von hohen Mauern umzäunt war, während die über hundert Meter langen Stallungen direkt an die Gesindehäuser anschlossen und somit die vierte Seite des Parks abschlossen.

      Kurz nach dem zweiten Weltkrieg war hier in jahrelanger Arbeit ein kilometerlanger Stollen in die Erde getrieben worden. Für den Fall eines potentiellen Nuklearkrieges wurde hier eines von vier Ausweichquartieren für die Regierung gebaut - absolut geheim - und versehen mit meterdicken Toren. Innerhalb der unterirdischen Anlage gab es nicht nur Wohnraum für mehrere Hundert Beamte, sondern auch die gesamte Notausrüstung, die ein Fortsetzen der Regierungsgeschäfte sicherstellen sollte - im Falle einer atomaren Vernichtung von Paris.

      Die Bunker lagen bis zu vierhundert Meter tief unter der Erde und die Armierungen aus Beton waren so dick, dass sie angeblich auch dem direkten Beschuss von Atomwaffen standgehalten hätten.

      Trotzdem war die Lage, die technischen Voraussetzungen und vor allem die geheime Anlage wie geschaffen, um den Kubus hier ganz sicher zu verwahren. Da auf dem nahen Schloss oftmals hochrangige Persönlichkeiten heirateten, war es keine große Besonderheit, wenn hin und wieder ein Hubschrauber auf dem Hubschrauberlandeplatz hinter der Mauer landete oder abflog und da der Transport des Würfels mitten in der Nacht erfolgte, bekam auch kein Mensch, außer den wenigen Eingeweihten mit, dass überhaupt ein Transport statt gefunden hatte. Jetzt war der goldene Kubus also an einem der best gesichertsten unter-irdischen Orte, den man für diesen Zweck in Frankreich finden konnte - und trotzdem war man von der Innenstadt von Paris aus in etwa einer Stunde vor Ort.

      Nun musste nur noch ein täuschend echter