Ralph Kloos

KOLONIE 7


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hatte man bereits alle notwendigen Daten für eine perfekte Reproduktion. Allerdings waren die Sinter-Roboter in der staatlichen Versuchsanstalt für Metallurgie nur so groß, dass man maximal Prototypen oder Ersatzteile erstellen konnte, die nicht mehr als 50 cm breit waren.

      Deshalb mussten die Daten der einzelnen Würfelaußenflächen digital in 16 Einzelteile „zerschnitten“ werden - insgesamt wurden also 96 einzelne Datensätze erzeugt, und diese wurden dann an die vier Sinter-Roboter übergeben.

      Da die Genauigkeit des Abtast-Lasers und der Sinter-Anlage bei unter einem hundertstel Millimeter lag, war die geplante Reproduktion so genau, wie es nach heutigen Maßstäben überhaupt möglich war. Beim Laser-Sintern konnte man verschiedene Metall- oder Keramikpulver zum Einsatz bringen.

      Nach der Produktion musste man die 96 Einzelteile aber noch vergolden und dadurch schied die Verwendung von Keramikpulver von vornherein aus.

      Beim Original-Würfel gab es keine Vertiefungen, die höher als 6,2 Zentimeter hoch waren weshalb sich der leitende Ingenieur für eine Plattenstärke von sicherheitshalber 8 Zentimetern entschied. In der Schlosserei des Instituts wurde zuerst der Innenkern, der ja jetzt an jeder Seite 8 Zentimeter kleiner war, als das Original, aus einfachen drei Zentimeter dicken Stahlplatten zusammen geschweißt..

      Im Rechenzentrum wurden in der Zwischenzeit 96 Schichtmodelle aus den Originaldaten errechnet, was trotz Einsatz eines Großrechners mehrere Stunden in Anspruch nahm - schließlich mussten auch die feinsten Linien und Einkerbungen mit berechnet werden und vor allem an den Schnittkanten durften keinerlei sichtbare Kanten zu sehen sein.

      Die vier Sinter-Roboter waren bereits mit genügend Metallpulver bestückt und da man schon vorher kalkulieren konnte, wie lange die Maschine pro Einzelteil in etwa brauchen würde, mussten, grob gerechnet, alle zwei Stunden, die produzierten Teile aus dem Roboter genommen werden und - je nach Füllstand - auch neues Metallpulver aufgefüllt werden. Insgesamt würde der gesamte Produktionsvorgang nicht mehr als 32 Stunden dauern. Danach konnten alle hergestellten Platten perfekt auf den Innenwürfel geklebt werden und weil jedes Teil so exakt wie geplant aus dem Pulver zusammen gebacken wurden, war nach der Montage aller Kacheln auch nicht die geringste Fuge zu erkennen.

      Selbst mit der Lupe wurde jede Naht mehrmal überprüft. Kein noch so kritischer Skeptiker sollte auch nur vermuten, dass es sich bei dem Klon des Würfels nicht um das Original handelte. Nur an ganz wenigen Übergängen musste minimal nachgeschliffen werden, aber danach sah der Würfel wie eine exakte Kopie des Originals aus - mit dem gravierenden Unterschied, dass er ja noch nicht vergoldet war und mit seinem graumetallischem Glanz sah er seltsam matt und dadurch noch viel gefährlicher aus, als das goldene Original.

      In ein großes galvanisches Becken wurden drei Fässer mit einer Goldlösung (Alkaligoldsulfit) eingeleitet, um dann den Würfel vorsichtig darin zu versenken. Mit Hilfe von platinierten Titan-Anoden wurde Gleichstrom in das Becken eingeleitet und schon nach wenigen Stunden konnte man bereits einen golden Glanz erkennen, der bis zum nächsten Morgen vollkommen deckend war und den gesamten Würfel umschloss.

      Alle beteiligten Arbeiter waren fasziniert von der perfekten Kopie des Würfels - in ersten Fotovergleichen konnte keiner der Befragten feststellen, dass der neue Würfel - rein optisch gesehen - auch nur im Geringsten vom Original abwich. Die Vermessungs- und Reproduktionstechnik hatte es geschafft, einen perfekten optischen Klon des geheimnisvollen Relikts herzustellen. Der Fachausdruck für diese Technik nannte sich „Rapid Prototyping“.

      Schon am nächsten Tag wurde ein ganz normaler Lastwagen zum Transport nach Paris benutzt und da man in der Zwischenzeit bereits eine gläserne Verkleidung für die öffentliche Ausstellung angefertigt hatte, wurde am kommenden Morgen zum zweiten Mal eine offizielle Vorstellung des goldenen Würfels angesetzt.

      Hätte man mit einem Schlüssel oder dem Fingernagel an der Reproduktion gekratzt, dann wäre der Bluff spätestens in diesem Moment aufgeflogen, aber da sich ja niemand der Oberfläche nähern konnte, war der Austausch der beiden Würfel eine todsichere Sache. Im öffentlichen Teil der Sorbonne wurde an diesem Tag eine Ausstellung eröffnet, die nur ein einziges Relikt präsentierte und trotzdem sollte das Interesse an diesem unerklärlichen Fundstück alle Vorstellungen sprengen.

      In der Zwischenzeit hatte KC seinen massiven Leib aus einer Iberia-Maschine in Sevilla geschält und war auf dem Weg zum historischen Schiffsregister. Seine Ansprechpartnerin war Angelica di Alba, die Leiterin der Abteilung „historische Karavellen des 16ten und 17ten Jahrhunderts“. KC - ganz Gentleman - hatte die zwei Kopf kleinere Dame mit perfektem Handkuss und einem mächtigen Strauß Blumen begrüßt und somit gleich für eine entspannte Atmosphäre gesorgt.

      Für die nächsten drei Tage durfte er jetzt in den Kunst-schätzen des Archivs nach Hinweisen auf die versunkene Schatzgaleone suchen.

      Das antike Schiffsregister bestand aus etwa 90 Metern historischer Registerbücher, die alle handschriftlich geführt waren und deshalb gab es in diesem Fall leider keine computergestützte GOOGLE-Suche. Ohne fachkundige Anleitung war hier nicht weiter zu kommen. Doch auch mit der Hilfe von Señora Di Alba blieb es ein wahres Puzzlespiel. Zu unterscheiden waren die Bücher der Schiffseigner und Kapitäne von denen, die unter der Verantwortung der spanischen Krone entstanden waren.

      Eine militärische Mission hatte oftmals nichts mit dem oder den benutzten Karavellen zu tun - zumindest nach der Auswertung der bekannten Fälle. Bei vielen vermissten Schiffen war oft nicht mehr als der Name und der Schiffstyp bekannt - bei anderen Fällen gab es Logbücher, die selbst dann weiter geführt worden waren, wenn die Kapitäne im Rettungsboot saßen und erst Jahre später wieder zurück nach Spanien kamen. Insgesamt kamen Sie zusammen auf mehr als fünf Dutzend Karavellen, die im Kernzeitraum von 1520 bis 1550 gesunken oder komplett verschwunden waren. Insgesamt neun davon schieden aus einem weiteren Grund aus: Sie hatten den Aufzeichnungen nach maximal 16 Kanonen an Bord. Da bei der versunkenen Galeone aber bereits 17 Kanonen geortet wurden, musste es sich um ein größeres Schiff gehandelt haben, die dann auch immer eine gerade Anzahl an größeren Kanonen an Bord hatten.

      Da man ja nicht genau wusste, wie die Aufbauten konstruiert waren und vor allem wie viele Meter des Hecks genau fehlten, war die Archiv-Suche nur bedingt erfolgreich. Angelica di Alba sah sich die mitgebrachten Unterwasservideos stunden-lang an, doch selbst die erste computergestützte 3D-Rekonstruktion des restlichen Schiffes brachte die Spezialistin nicht auf eine spezielle Karavelle.

      Ohne den vermissten Anker oder das Logbuch konnte man den Namen des Schiffes oder seine Mission nur erahnen und gerade im Heck lagerten normalerweise weitere Indizien auf die Mission, wie die Kapitänskiste.

      KC hatte sich in Sevilla in allen empfohlenen Restaurants bestens bekochen lassen. Das Angebot und die Menge entsprachen genau seinem Verständnis von optimaler Energieaufnahme, vor allem, wenn es noch den einen oder anderen Liter feinsten spanischen Weines zum Essen gab. Nachts saß er gerne mit Señora Di Alba in einer der kleinen Bodegas und genoss die gemeinsamen Abende an der Seite einer interessanten spanischen Lady.

      Aber nach vier Tagen waren einerseits alle in Frage kommenden Akten gesichtet und andererseits warteten in Miami die Deep Search One und seine Computer auf ihn. Jottape hatte bereits gemailt, dass es schon in wenigen Tagen losgehen sollte.

      Die „Deep Search One“ wurde in den nächsten Tagen mit weiteren technischen Maschinen zur Unterwassersuche ausge-stattet und sollte dann so schnell wie möglich zur Fundstelle in der Karibik zurückkehren.

      Der Besuch in Sevilla hatte im Endeffekt nicht wirklich viel Neues erbracht. Zu viele offene Fragen: Welche Karavelle hatte den Würfel transportiert, in wessen Auftrag und warum fand sich kein Beleg für diese Mission?

      In der internationalen Presserückschau waren seit der überraschenden Präsentation des Kubus Hunderte von Artikeln mit in etwa ebenso vielen möglichen Erklärungen erschienen.

      Es wurde in alle Richtungen spekuliert und obwohl bis jetzt keine Einzelheiten über die erstaunlichen Testergebnisse bekannt geworden waren, reichte alleine die Struktur der goldenen Oberfläche aus, um massenweise Spekulationen der Richtung „das Teil kann nicht von dieser Erde sein“ zu generieren.

      Gerade der Umstand,