Ralph Kloos

KOLONIE 7


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Form der Kugel hatte sich seit der Kontaktaufnahme mit dem Goldwürfel sichtbar verändert: An zwei Stellen öffnete sich ein schmaler Schlitz über die gesamte Kugel und teilte sie jeweils in eine Nord- und eine Südhälfte. Das in der Mitte befindliche breite Äquatorband begann um seine eigene Achse zu rotieren - erst langsam, doch schon nach wenigen Augenblicken wurde die hochfrequente Drehgeschwindigkeit einer kraftvollen Zentrifuge erreicht und das generierte eine geringe Schwerkraft, die wiederum winzige Materiepartikel und kosmischen Staub in einem Radius von mehreren hundert Metern anzog und sie in die winzigen Schlitze zwischen den Polen und dem Äquatorband eingesaugte. Innerhalb der Kugel wurden diese Partikel dann zerkleinert, aufbereitet und in ihrer Form komplett umstrukturiert, so dass sie von nun an ebenfalls zu Nanobots wurden. Somit waren die neuen Nanobotmoleküle nichts anderes als identische Klone ihrer eigenen Erzeuger.

      Die Menge der von der Gravitation angezogenen Staubpartikel lag zwar täglich nur bei wenigen Gramm, doch im Lauf der kommenden Monate wuchs der Umfang der Kugel konstant weiter, bis sich nach etwa 300 Tagen - wie bei der menschlichen Zellteilung - ein identischer Kugelorbiter abspaltete, um seine neue Position am anderen Ende der Schattengrenze einzunehmen. Dazu hatte der neue Nanobot-Orbiter einfach seine Umlaufbahn so verlangsamt, bis er an der Morgengrenze des Horizonts angelangt war. Dort stabilisierte er seine Flugbahn und begann sofort mit der weiteren Produktion von Nanobots.

      Dieser Prozess hatte keinerlei Auswirkungen auf die Gescheh-nisse auf der Erde und wurde auch nirgends wahrgenommen, denn die Wissenschaft war gerade dabei, ein paar physikalische Probleme zu lösen, von denen sie bis vor kurzem nicht einmal wusste, dass sie existieren.

       Unzerbrechlich

      Jottape und KC hatten die Nacht der Enthüllungsparty bis zum Morgengrauen durchgefeiert und schoben deshalb einen Mörder-Kater, als sie sich am Nachmittag wieder in der Sorbonne einfanden, um die weiteren Untersuchungsergebnisse der Wissenschaftler zu begutachten.

      Schon am Portal zum Archäologischen Institut standen jetzt bewaffnete Spezialeinheiten und machten alleine durch Ihre ihre massive Präsenz klar, dass hier etwas Unerwartetes passiert sein musste.

      Erst nachdem der Leiter der Abteilung Professor Maurice Leclerc dem Chef der Spezialeinheit die Anwesenheit der beiden Entdecker erklärt hatte, durften sie endlich passieren.

      „Was ist passiert?“ fragte Jottape ziemlich angepisst. „Hat jemand versucht unseren Schatz zu stehlen oder warum wird hier so ein Aufriss gemacht?“

      Nur KC sah die Sache positiv und meinte: „Die haben wohl festgestellt, dass unser Teil so dermaßen wertvoll ist, dass sie es jetzt anständig bewachen.“ Doch Professor Leclerc klärte sie rasch auf: „Sagen wir mal so: Wir haben bei den ersten Untersuchungen ein paar physikalische Unregelmäßigkeiten festgestellt und deshalb ... - ach, sehen sie einfach selbst“.

      Im Saal angekommen, trauten Sie Ihren Augen nicht - wo gestern noch Hunderte von feiernden Menschen standen, sah man jetzt nicht nur eine Batterie aus Hi-Tech-Apparaten und Computern, sondern auch mehrere Dutzend, in Gruppen herumstehende Wissenschaftler und deren Assistenten, die teilweise wild diskutierend die neuen Tatsachen analysierten. Optisch aufgelockert wurde der Saal von einzelnen oder in kleinen Gruppen herum stehenden Männern in Schwarz, die die typischen Sonnenbrillen trugen und leicht verdächtige Ausbuch-tungen in ihren Maßanzügen hatten.

      „Warum die Regierung den ganzen Bereich zur Hoch-sicherheitszone machte, lässt sich folgendermaßen erklären. Nachdem heute Nacht die letzten Gäste die Veranstaltung verlassen hatten, fingen unsere neugierigsten Kollegen sofort mit den ersten Untersuchungen an. Der Würfel wurde von allen Seiten mit einem Stereoscanner millimetergenau vermessen und in allen Details gespeichert.

      Diese Bilder standen Wissenschaftlern sofort weltweit via Internet auf der Website des Instituts zur Verfügung.

      Dann wurde die elektrische Leitfähigkeit des Materials gemessen, indem wir einfach Strom an zwei Würfelecken durch den Kubus geschickt haben. Erfreulicherweise ist die elektrische Leitfähigkeit zu 100% die von 24 Karat Gold. Um dieses Ergebnis zu verifizieren haben wir danach den Ausdehnungskoeffizient des Materials gemessen. Dazu wurde die Heizung im Saal um 5° Grad Celsius erhöht und auch dieses Messergebnis hat bewiesen, dass die spezifische Ausdehnung des Würfelmaterials exakt dem von Gold entspricht.

      Das war es aber dann auch schon mit „normalen Untersuchungsergebnissen“, denn beim Röntgen des Würfels haben wir die erste Handfeste Überraschung erlebt: Wir können trotz höchster Strahlendosis nicht in das Innere des Würfels sehen. Hier sind die Aufnahmen, die wir von allen Flächen des Würfels gemacht haben - sie sehen alle gleich aus: Wie eine Art sich nach Innen verjüngendes Gerüst aufgebaut, schimmern hier lineare Strukturen auf dem Röntgenfoto, aber um was es sich dabei handeln könnte ... keine Ahnung, denn ich habe so etwas noch nie gesehen.“ Jottappe sah zu KC, über dessen Kopf ein riesiges Fragezeichen zu schweben schien – ja er sah wirklich ratlos aus.

      „Doch wirklich unerklärlich ist das hier!“ Professor Leclerc zeigte auf eine ganze Anordnung chromblitzender Apparate von denen KC zumindest einen Impulslaser identifizieren konnte. An einer der acht Würfelecken sah man drei High-Speed-Kameras, die die entsprechende Würfelecke in extremer Großaufnahme auf riesige Computermonitore darstellten.

      „Wir wollten dann direkt eine winzige Materialprobe nehmen, um das Gold im Massenspektrometer auf seine Herkunft und seine Zusammensetzung zu untersuchen. Das probierten wir erst auf ganz herkömmliche Weise.“

      In dem Film der jetzt auf einem der Monitore lief, sah man die Hand eines Wissenschaftlers, der mit einem Diamantskalpell diese winzige Probe abschaben wollte, doch trotz mehrerer Versuche, die von Mal zu Mal mit mehr Druck ausgeübt wurden, konnte die Klinge von dem Metall nichts abschaben. Es erschien so, als ob die ultrascharfe Klinge einfach an dem Gold des Würfels abgleiten würde. Normalerweise war Gold so weich, dass man es mit einem Fingernagel ritzen konnte und wer hatte nicht schon den Test mit dem Draufbeißen in einem Western gesehen, bzw. es auch einmal selbst ausprobiert.

      „Weil wir das überhaupt nicht glauben konnten, haben wir danach einen Spezialbohrer benutzt und die Makrokameras aufgestellt, um das Ergebnis zu dokumentieren.“

      Im Film sah man jetzt wie der auf einem Bohrgestänge sitzende Bohrer in winzigen Schritten an eine kleine Vertiefung angesetzt wird. Fast unwirklich groß zeigt der Monitor den halben Millimeter starken Bohrer bildschirmfüllend. Am hinteren Ende des Bohrgestänges drückte ein Wissenschaftler auf einen roten Knopf, der den Bohrer jedes Mal um einen halben Millimeter nach vorne schob. Nach drei weiteren Befehlen sieht man die Spitze des Bohrers, der die Außenhaut des Würfels bereits berührt. Langsam und bedächtig dreht sich der Bohrer und wieder drückt der Assistent den Knopf vom Vorschub des Bohrers. Nichts passierte, doch als er ein weiteres Mal den Bohrer nach vorne schiebt ist erstmals ein sichtbarer Effekt zu erkennen.

      „Doch die abfallenden Metallspäne sind entgegen jeder Vorhersage nicht aus dem Gold des Würfels, sondern sie stammen von dem spezialgehärteten hochvergüteten Bohrer und das war dann der Moment, in dem wir das nationale Verteidigungsministerium informieren mussten.“

      In Film drei wurde jetzt ein Hochenergie-Impuls-Laser am Würfel eingesetzt - die Holzhammermethode auf Hi-Tech-Niveau - alle im Raum befindlichen Wissenschaftler hatten zum Schutz vor der Reflektion des Lasers spezielle Brillen auf. Die Kameras nahmen in dem Fall nur einen weißen Lichtblitz auf, aber die Aufnahmen der mittlerweile angeschlossenen Wärmebildkamera waren die nächste Sensation.

      Trotz der sich laufend erhöhender Stärke des Impulslasers war am Metall des Würfels nicht die kleinste Veränderung nach dem Beschuss zu entdecken - obwohl man mit dem eingesetzten Laser auch Titanplatten von fünf Zentimetern Stärke präzise zerschneiden konnte - und das Wärmebild setzte der Dramatik einen weiteres Highlight auf: Im dem Moment, in dem der Laser das Metall erreichte, hatte er knappe 3500° Grad, doch sobald der Beschuss beendet war, sank die gemessene Temperatur innerhalb einer Zehntelsekunde auf Zimmertemperatur. Und damit war der verdammte Würfel also kein archäologisches Relikt mehr, sondern eine potentielle Bedrohung für die nationale Sicherheit Frankreichs. Wenn eine Macht diese Technik kontrollieren konnte, dann