Ralph Kloos

KOLONIE 7


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obwohl das von ihnen angekündigte „Ende der Welt“ im Dezember 2012 nicht stattgefunden hatte.

      Viele Vermutungen gingen dahin, dass der Kubus nur ein künstliches Produkt aus unserer Zeit ist, den man erschaffen hatte, um von den wahren sozialen und wirtschaftlichen Problemen abzulenken …

      Wenn man gewusst hätte, dass in der Sorbonne nur eine Attrappe ausgestellt war, dann hätte diese Version den Nagel wirklich auf den Kopf getroffen, aber da diese Information geheim blieb, wuchsen mit jedem Tag die Schlangen an den Eintrittskassen und bereits nach wenigen Tagen entschloss man sich, den Würfel nonstop auszustellen und öffnete auch nachts die Pforten des archäologischen Instituts für das ungeduldige Publikum.

      Der Server, auf dem man die Tickets vorbuchen konnte, brach regelmäßig unter dem enormen Ansturm zusammen und es dauerte nur wenige Tage bis man anfing, offizielle T-Shirts zu drucken und diese Merchandising-Produkte versprachen ebenfalls sensationelle Einnahmen. Jeder Besucher hatte eine eigene Meinung über die Entstehung und den Fund des geheimnisvollen Würfels und standesgemäß wurden in verschiedenen Kulturkreisen auch unterschiedliche Theorien verfolgt.

      Trotzdem hielten sich Ungläubigkeit und die Möglichkeit eines außerirdischen Ursprung fast die Waage und während auch die verschiedensten Religionsführer öffentliche Stellung-nahmen über die archäologische Sensation veröffentlichten, war die Pressemitteilung des Heiligen Stuhls schon fast verdächtig neutral: „Der Heilige Vater gratulierte dem Expeditionsteam zu seinem großartigen und einmaligen Fund und man sei, wie die ganze Welt, gespannt, was die Wissenschaftler noch alles über dieses einmalige Kunstwerk der Inkas oder Mayas zu Tage bringen würden“.

      Jottape war jetzt schon seit Tagen in Miami und sorgte für die Planung und Zusatzausrüstung der Deep Search One. Von Captain Creech wurde ihm auch gleich mitgeteilt, dass aus nationalem Sicherheitsinteresse ein zweites Tauchteam der französischen Armee mit auf die Reise ging. Außerdem wurde ein neuentwickelter Saugrüssel installiert, der zusammen mit einer ebenfalls neuen hydraulischen Pumpe unglaubliche Saugleistungen erbrachte. Man konnte diesen Rüssel auch vollautomatisch vom U-Boot oder der Deep Search One steuern und eigentlich wollte die ganze Crew bereits am kommenden Morgen in See stechen, als eine extreme Sturmlage einen Herbsttornado durch die Karibik jagte, der alle geplanten Tauchgänge unmöglich machte.

      Das bedeutete fast eine Woche Verspätung und so war es der 2. November 2015 als das Expeditionsschiff endlich ablegen konnte: Diesmal ging es nicht um Gold oder das Entdecken von antiken Schätzen, sondern um die Lösung des mittlerweile spannendsten Rätsels des Jahres - oder gar der letzten Jahrhunderte. Was verbarg sich noch hinter dem Untergang der namenlosen Schatz-Galeone?

      Kurz nach dem Auslaufen erreichte Jottape eine Nachricht, die ihn schlagartig dazu veranlasste, sich eine Flasche Schampus und zwei Gläser zu greifen und KC im Kontrollzentrum aufzusuchen. „Wir haben etwas zu Feiern. Die Rechtsanwälte unserer Bergungsgesellschaft haben zumindest für unsere zukünftige Rente gesorgt und einen Deal mit der Sorbonne klar gemacht. Als Entdecker sind wir also vom ersten Tag an an den Einnahmen aus der Ausstellung beteiligt. Das klingt doch nicht so schlecht, oder?“

      Doch KC war im Denkmodus und zwar auf einem ganz anderen Film. Trotzdem stieß er gerne mit dem listigen Franzosen an, mit dem er jetzt schon so lange zusammen arbeitete und der ihm alle Späße durchgehen ließ. „Weißt Du Frock - ich glaube mittlerweile fast, dass wir gewaltig auf dem Holzweg sind und einfach zu blöde - oder wir haben etwas Wichtiges übersehen oder eben noch nicht gefunden ... aber was ist, wenn das Schiff damals gar nicht auf dem Weg nach Europa war, sondern mit voller Absicht ins sein Verderben fuhr. Denk doch mal nach: Was hätte dieser einmalige Fund zur damaligen Zeit bei den Gläubigen der Welt ausgelöst?

      Und wer hätte mit Sicherheit etwas dagegen gehabt, dass eines der unerklärlichsten „Kunstwerke“ der damaligen Zeit von ungebildeten Heiden produziert worden ist? Und was hätten oder haben die damals darüber gedacht, dass man das viele, viele Gold weder bearbeiten noch einschmelzen konnte? Oder glaubst Du im Ernst, dass die Inkas oder Mayas vor so langer Zeit so ein einmaliges Werk in der Perfektion herstellen konnten? Also ich nicht.“

      Obwohl ihm Jottape bei all seinen Theorien nur zustimmen konnte, war den beiden klar, dass ihre einzige Chance zur Aufklärung dieser Fragen auf Meeresboden zu finden sein musste. Doch nachdem sie wild diskutierend die ganze Flasche intus hatten, überkam sie erstmals auch einfach nur eine wahnsinnige Freude darüber, dass sie anscheinend wirklich eine mehr als bedeutsame Entdeckung gemacht hatten.

      Doch plötzlich hatte KC eine seiner berüchtigten Spontan-Ideen: „Auch wenn Du es noch nicht weißt Frock - aber ich HASSE die BEE GEES, seit es sie gab - ich fand immer die Beatles, die Beach Boys und die Stones besser .... Aaaaaber - es gibt da diesen einen einzigen Song - NEIIIIIIN - nicht Saturday Night Fever - sondern den hier: Den summe ich schon mein ganzes Leben an manchen Tagen vor mich hin - irgendwie ist das die Hymne meines Lebens und jetzt weiß ich auch warum. KC hatte schon leicht beschwipst den Intercom-Button für das ganze Schiff - inklusive Brücke und Maschinenraum - gedrückt und mit charakteristisch knödeln-der Fistelstimme säuselte ein pathetisch klingender Robin Gibb - diesmal im Duo mit KC: „I started a joke, which started the whole world ...“ Und anstelle von „Crying“ sang KC grundsätzlich die dritte Zeile „Laughing“ und während sich der Rest der Stamm-Crew schon lange nicht mehr über die seltsamen Soundexperimente des dicken Deutschen wunderte, musste man den neuen Besatzungsmitgliedern erst einmal sanft erklären, das auf diesem Schiff eben manchmal dieser füllige Klabautermann im Computerraum das Sagen oder in diesem Fall das Singen hatte ... Und die Neuen an Bord glaubten das dann manchmal sogar für ein paar Minuten.

      Bis zur Fundstelle würden sie in etwa drei bis vier Tage brauchen, denn das Meer war immer noch recht aufgewühlt und so machte sich Jottape an das erste Briefing mit den neuen Tauchern und haute sich danach zufrieden in seine Koje. Er liebte die Tatsache, dass sie dieses einmaligen Rätsel vor eine konkrete Aufgabe stellte - die Ergebnisse würden ihre eigene Sprache sprechen, aber das Abenteuer der Jagd hatte ihn diesmal noch fester im Griff, als bei der zufälligen Entdeckung der Schatz-Karavelle vor ein paar Wochen.

       Kasha Muratti

      Kasha Muratti saß ziemlich happy in ihrem First-Class-Sessel und las das Dossier, das sie von Professor Leclerc gemailt bekommen hatte. Sie liebte Europa und wusste nur, dass der Einsatzort in der Nähe von Paris „Rambouillet“ hieß und keine fünf Autostunden von ihrem geliebten Genf entfernt lag.

      Die Fotos des Würfels fand sie auf Anhieb faszinierend, doch die mitgelieferten Daten ließen sie zweifeln, ob sie bei diesem „Job“ überhaupt die richtige Person war. Da es offensichtlich nicht gelungen war, eine Materialprobe von dem Gold zu extrahieren, war es ein Ding der Unmöglichkeit, den gesamten Würfel in das LHC zu transportieren und dort mit Protonen zu beschießen. Aber die Beschaffenheit der geschilderten Modifikationen war unerklärlich und deshalb mehr als interessant.

      Atomphysiker weltweit waren sich sicher, dass es innerhalb der Atomstruktur weitere winzigste Teilchen geben musste - außer dem Higgs-Boson-Gottesteilchen waren in den letzten Jahren weitere Klein-Bausteine der Atomstruktur entdeckt worden: Die sechs Quarks (Up- Down, Strange- Charme, Top- und Button Quark, sowie das Gluon und Boson waren deshalb bereits als Subatomare Teilchen bekannt.)

      Doch noch lief die größte und komplexeste Maschine der Menschheit , der LHC in Cern, quasi im „ersten Gang“.

      Bei jeder neuen Versuchsreihe wurde zwar die Energie-Zufuhr sukzessive erhöht, doch nach oben war noch jede Menge Spielraum. Kashas einzige Idee war die, dass man eine „Abzweigung“ in den 27 Kilometer langen Elektronenbeschleuniger installieren müsste, um den Würfel in einer neuen Versuchsanordnung zu beschießen und an diesem Ort dann die Kollisionsdaten auszulesen. Da sie aber gleichzeitig wusste, dass dieses Unterfangen nicht nur Abermillionen Euro kosten würde und vor allem mehrere Jahre zur Realisierung benötigt würden, verwarf sie diesen Gedanken wieder. Das Rätsel verlangte vielleicht eine ganz andere Erklärung - dennoch - was war das atomstrukturelle Geheimnis dieses einmaligen Würfels?

      Nach einem opulenten Mahl ließ sich Kasha ihr First-Class-Bett aufschlagen und las vor dem Einschlafen noch