Miriam Pharo

Der Bund der Zwölf


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Kurz darauf endete der Streit so plötzlich, wie er begonnen hatte. Mit der entsprechenden Geste forderte Vincent die Ganoven auf, an einem der Tische Platz zu nehmen, doch zu Magalis Erleichterung verzichteten die beiden. Bevor er mit seinem Kumpan hinausging, ließ es sich Grapache nicht nehmen, eine Wachtel vom Büffettisch zu stibitzen und Vincent einen letzten, hasserfüllten Blick zuzuwerfen.

       Die Sorge trieb Magali sofort nach unten in den Tanzsaal zu Vincent, der sich nicht vom Fleck gerührt hatte. Er wirkte geistesabwesend.

       „Was wollten die hier?“, fragte sie ihn ohne Umschweife.

       Wie aus einem Traum gerissen, richtete er seinen Blick auf sie. „Das muss dich nicht kümmern.“

       Von einem vorbeischwebenden Tablett pflückte er sich einen Cocktail und trank ihn in einem Zug aus, doch Magali ließ sich nicht abspeisen.

       „Du verschweigst mir doch etwas!“

       „Ich habe zu tun.“ Vincent versuchte, sich an ihr vorbeizudrängeln, doch sie stellte sich ihm in den Weg.

       „So einfach kommst du mir nicht davon, mein Lieber!“

       Schweigen.

       „Antworte mir, Vincent!“, forderte sie mit harter Stimme. „Hast du dich etwa mit diesen Strauchdieben eingelassen?“

       Ihr Freund presste die Lippen zusammen. Manchmal konnte er verdammt stur sein!

       „Wenn du nicht sofort antwortest, mache ich eine Szene, die sich gewaschen hat!“, sagte sie. „Das schwöre ich dir.“

       Es war nur eine leere Drohung, schließlich wollte sie ihre wenigen Gäste nicht vergraulen, doch Vincent gab sich erstaunlich schnell geschlagen – kein gutes Zeichen – und zog sie in die Ecke, wo der lebensgroße, hinreißende Mohr mit Turban und Ohrring stand, den sie für wenig Geld auf dem Flohmarkt von Montmartre ergattert hatte. Eine Monstrosität, hatte Vincent gewettert. Sie hatte sich durchgesetzt.

       „Zehn zu eins“, sagte er mit schuldbewusstem Gesicht.

       Magali sank das Herz in die Hose. „Oh, nein! Sag, dass du nicht so dumm gewesen bist.“

       „Der Tipp lautete zehn zu eins, Magali, zehn zu eins! Ich musste es versuchen!“

       „Wann warst du beim Pferderennen?“

       „Letzte Woche.“

       Wie viel hast du verloren?“

       Vincent zögerte.

       „Wie viel?“, wiederholte sie und ballte die Fäuste so fest, dass sich ihre Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen bohrten.

       „Fünftausend.“

       Fünftausend Francs?“ Magali keuchte. „Woher hattest du das Geld?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits ahnte.„Von der Näherin .“

       „Verflucht, Vincent. Wie konntest du nur?“

       „Es war ein bombensicherer Tipp.“

       Wie bombensicher er war, sehen wir ja!“ Außerstande, ihm ins Gesicht zu sehen, blickte Magali auf einen imaginären Punkt hinter seiner rechten Schulter. Sie schäumte vor Wut. Vincent tat im Gegenzug, was er in solchen Situationen meistens tat. Er schwieg. „Bis wann will die Näherin ihr Geld haben?“, fragte sie nach.

       „Sie hat uns zehn Tage Aufschub gewährt.“

       „Nicht uns, Vincent, dir! Dir hat sie einen Aufschub gewährt!“ Magali richtete ihren Blick wieder auf ihn. „Wie hoch sind die Zinsen?“

       „Dreißig Prozent.“

       Magali atmete tief durch und zwang sich ruhig zu bleiben. Einige Gäste drehten sich bereits zu ihnen um. „Und was willst du jetzt machen?“, zischte sie.

       „Ich weiß es nicht.“

       „Du musst deinen Peugeot verkaufen.“

       „Niemals!“

       Niemals?“ Magali trat nah an ihn heran. Sie musste den Kopf heben, um ihm ins Gesicht zu blicken, was sie noch wütender machte. „Du hast keine Wahl. Unsere Reserven sind praktisch aufgebraucht.“

       Vincent blickte ihr in die Augen. Sein Blick war unergründlich, seine Lippen fest verschlossen.

       „Du wirst es tun, oder …“

       Seine Lippen wurden weich. „Oder was?“

       „Oder wir sind geschiedene Leute. Ich meine es ernst.“ Sie wollte sich abwenden, als sein Flüstern sie innehalten ließ.

       „Ich will den Klub nicht verlieren, Magali.“

       Sein Gesicht lag im Schatten, und sie konnte den Ausdruck darin nicht erkennen, doch die Verzweiflung in seiner Stimme war deutlich hörbar.

       „Das weiß ich, Vincent.“ In ihrem Hals bildete sich ein Kloß. „Aber nun stehen wir wirklich kurz davor.“

       An der Bar aus schwarzem Klavierlack, die mit Unmengen von Spirituosen bestückt war, orderte Magali anschließend einen Martini. Während sie darauf wartete, trommelte sie mit den Fingern auf das Messinggeländer.

       „Alles in Ordnung?“, fragte eine Stimme.

       Es war Gustave, der sie aus seinem Boxergesicht heraus bekümmert anschaute.

       Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ach, ich habe mich nur mit Vincent gestritten.“

       „Nichts Schlimmes, hoffe ich.“

       „Der Streit an sich war nicht schlimm. Der Auslöser schon.“ Magali nahm einen großen Schluck Martini aus dem Glas, das ihr der Barmann hingestellt hatte. „Ich möchte jetzt nicht darüber reden.“

       „Sie wissen doch, wie er ist, Mademoiselle. Immer mit dem Kopf durch die Wand.“

       „Ich weiß“, sagte sie traurig. „Irgendwann wird das sein Verderben sein.“

       Gustave schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Zum Glück hat er Sie.“

       Auf der Suche nach einer passenden Antwort blickte Magali in ihr Glas, als rechts von der Bühne Stimmen laut wurden. Offenbar war es zwischen zwei angetrunkenen Männern zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen.

       Entschuldigen Sie“, sagte Gustave daraufhin und wandte sich ab. „Die Arbeit ruft.“

       „Geh nur. Und danke.“

       Der pensionierte Boxer klopfte ihr kurz auf die Schulter, dann war er weg.

       Zum Glück hat er Sie.

       Ob Vincent das auch so sah? In diesem Moment entdeckte sie ihn mit einer leicht bekleideten Schönheit im Arm. Stella, eine der Tänzerinnen und Vincents aktuelles Spielzeug. Offenbar