Tom Bleiring

Die Chronik des Dunklen Reiches -Band 1-


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und verknotete.

      Mit einem Seufzer der Erleichterung sank er schließlich neben Gai auf den Baum nieder und zog sich die Mütze vom Kopf.

      Oblivan war ein beleibter Mann, der es dem Aussehen nach verstand, es sich gut gehen zu lassen.

      Als er einen Schlauch unter seinem Fellmantel hervorzog und den Verschluss öffnete, wurde die Luft erfüllt vom Duft würzigen Weines.

      Daher auch die rote Nase, dachte Gai.

      >>Gegen diese Kälte bedarf es des richtigen Getränkes, meint ihr nicht auch? , << verkündete Oblivan.

      Gai erwiderte nichts, woraufhin Oblivan nur mit den Schultern zuckte und einen großen Schluck zu sich nahm.

      >>Was verschlägt euch in diese götterverlassene Einöde, junger Freund? , << fragte er dann.

      Gai überlegte kurz, dann antwortete:

      >>Ich bin auf Wanderschaft. << Er hoffte, dass seine Antwort möglichst unverbindlich, unverfänglich war und Oblivan von weiteren Fragen Abstand nehmen würde, doch der Händler schien durch seine Worte keineswegs entmutigt worden zu sein.

      >>Ja, wenn man jung ist, da zieht es einen in die Fremde, << verkündete dieser im Tonfall des Fachmanns.

      >>Mir ist es früher nicht anders ergangen.

      Heute reise ich zwar immer noch viel, aber auch nur, weil mein Geschäft es von mir verlangt.

      Ich bin auf dem Weg nach Warma, denn dort kann man zu dieser Jahreszeit exzellente Felle zu guten Preisen erwerben. Kennt ihr die Stadt? <<

      Gai zögerte, ein Kloß schien ihm plötzlich im Halse zu stecken.

      Dann nickte er und antwortete:

      >>Ich stamme aus Warma, aber eure Reise dorthin solltet ihr abbrechen und lieber umkehren. <<

      Oblivan ließ den Weinschlauch sinken und sah ihn verdutzt an.

      >>Warum denn? , << fragte er.

      >>Ich habe bisher immer gute Geschäfte dort machen können, selbst in mageren Jahren.

      Die Felle aus dieser Region bringen einen schönen Gewinn in den Städten des Südens. <<

      >>In diesem Jahr werdet ihr dort nichts mehr kaufen, das kann ich euch versprechen.

      Und in Zukunft wohl auch nicht. <<

      Gai’s Antwort schien Oblivan zu verdrießen, denn er erwiderte sichtlich ungehalten:

      >>Wenn das so ist, mein junger Freund, könnt ihr mir sicherlich auch sagen, warum ich nicht nach Warma fahren soll? Keine Seuche oder Hungersnot hat mich in der Vergangenheit davon abgehalten, also warum ratet ihr mir davon ab? <<

      >>Weil die Stadt nicht mehr da ist, << sagte Gai und blickte voller Verbitterung in die Flammen.

      Oblivan verzog das Gesicht zu einer ungläubigen Miene.

      >>Nicht mehr da? , << erwiderte er.

      >>Was soll das bedeuten? Wohin soll denn eine ganze Stadt verschwinden?

      Sprecht deutlich, kommt zum Punkt. <<

      Gai richtete seinen Blick auf den Händler und schob seine kalten Hände unter seinen Mantel.

      >>Die Stadt ist nur noch ein Trümmerfeld, << verkündete er.

      >>Sie wurde von einer Horde Orks heute Morgen angegriffen und dem Erdboden gleich gemacht.

      Alle Einwohner wurden niedergemacht, mit Ausnahme von mir und einigen Unglücklichen, die von den Unholden verschleppt wurden.

      Habt ihr nicht die Rauchsäule am Horizont bemerkt?

      Wo sie aufsteigt, verschmoren gerade die letzten Überreste Warma’s. <<

      Oblivan sah ihn entsetzt an und wusste anfangs nichts zu erwidern.

      Schließlich aber fand er die Sprache wieder und fragte:

      >>Die Stadt ist zerstört worden? Von Orks? Aber das kann doch nicht sein!

      Orks gibt es schon seit vielen Jahrhunderten keine mehr in diesen Landen.

      Junger Freund, ihr müsst euch täuschen. Woher sollen die Orks denn gekommen sein? <<

      >>Sie kamen aus den Wäldern, kaum als die Sonne den Horizont überschritten hatte, und fielen über uns her, << antwortete Gai.

      >>Es müssen Hunderte gewesen sein, und sie überwanden spielend die Stadtwachen auf den Mauern. Sie töteten alle Erwachsenen und verschleppten die Kinder in die Wälder.

      Sie kamen vom Wall her und zogen, nachdem sie die Stadt in Brand gesetzt hatten, Richtung Südosten weiter. <<

      Oblivan schien ehrlich erschrocken zu sein.

      Der Weinschlauch entglitt seinen zitternden Händen, fiel zu Boden und tränkte diesen mit seinem Inhalt.

      >>Und ich dachte, der Rauch käme von einer Köhlerhütte, die vielleicht abbrennen würde, << stöhnte er entsetzt und niedergeschlagen.

      >>Das ist grauenvoll! Woher bekomme ich jetzt meine Felle?

      Und ihr seid sicher, dass es Orks waren? Keine Banditen oder Räuber, die sich verkleidet haben? <<

      >>Ich habe einen von ihnen getötet, << antwortete Gai kalt, >>und der war weder verkleidet, noch sonst irgendwas! Es waren Orks, und wenn ihr eure Reise fortsetzen wollt, dann lauft ihr Gefahr, ebenfalls ein Opfer ihrer Mordgier zu werden. <<

      Oblivan bemerkte jetzt erst, dass ihm der Weinschlauch entglitten war, griff rasch danach, schüttelte ihn sachte und verzog verärgert das Gesicht.

      >>So ein Jammer, << schimpfte er.

      >>Um den Wein oder um das Geschäft, welches euch entgangen ist? , << hakte Gai nach.

      >>Beides, << knurrte der Händler verbittert.

      Eine Weile saßen die beiden schweigend nebeneinander, bis Oblivan schließlich wieder das Wort ergriff.

      >>Ich bin euch zu Dank verpflichtet, junger Freund.

      Möglicherweise wäre ich dieser Horde von Unholden direkt in die Arme gelaufen, wenn ihr mich nicht durch euren Bericht gewarnt hättet. Ich glaube euch, auch wenn ich nicht einmal euren Namen kenne. Doch ich bin nicht undankbar. Ihr seid auf der Flucht, wenn ich es recht verstehe, was euch niemand verübeln kann, der von euren Erlebnissen in Warma weiß.

      Wenn ihr wollt, dann begleitet mich durch den Blauen Forst.

      Alleine zu reisen ist auf Dauer doch ein sehr einsames Unterfangen, und wir können voneinander profitieren, wenn wir uns zusammenschließen. Was denkt ihr? <<

      Gai, der schon seit seinem Erwachen den Drang verspürt hatte, seinen Weg fortzusetzen, brauchte nicht lange über das Angebot nachzudenken und nickte.

      >>Ich will nach Südosten, << verkündete er, >>denn dort werde ich erwartet.

      Ich bin auf der Suche nach meinen Gefährten, und diese sind auf der Suche nach mir, << hörte er sich sagen.

      Oblivan schien interessiert und fragte:

      >>Und wo wollt ihr eure Gefährten treffen? Ich dachte, ihr wäret auf der Flucht und wolltet bloß weg aus dieser Region. Also treiben euch auch Geschäfte vorwärts, wie es scheint? <<

      >>Ich weiß nicht, wo ich sie treffen werde, << erwiderte Gai unsicher, >>aber ich weiß, dass sie nach mir Ausschau halten, ebenso wie ich nach ihnen.

      Ich weiß, dass sie dort draußen sind und