Tom Bleiring

Die Chronik des Dunklen Reiches -Band 1-


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vermeintliche Freiheit nur vorgaukeln, um ihn dann wieder ins Unglück zurück zu stürzen?

      Doch dann kehrte das Sonnenlicht wieder, stärker als zuvor, und erhellte die Höhle erneut.

      Staubkörner glitzerten in diesem schmalen Strahl, der von außen hereindrang.

      Er hob seine Hand und hielt sie in das Licht.

      Auch, wenn er nicht die Wärme der Sonne spüren konnte, so erinnerte er sich daran, dieses Gefühl zu kennen. Jemand hatte ihm einst seine Empfindungen beschrieben, sie mit ihm sogar geteilt.

      Er betrachtete seine schmutzigen Finger, an denen der Dreck und Staub von unzähligen Jahren Gefangenschaft haftete.

      Er bemerkte nun auch, dass er fast völlig nackt war und nur einen Lendenschurz trug.

      Scham empfand er deshalb keine, aber er wusste, dass seine Nacktheit sich als unpraktisch erweisen würde, wenn er seinen Kerker verlassen würde, um wieder unter den Menschen zu wandeln.

      In der Vergangenheit, als er noch über Macht verfügt hatte, war seine Zauberkraft groß genug gewesen, um mit solchen unbedeutenden Kleinigkeiten fertig zu werden.

      War durch seine Befreiung die Magie wieder zu ihm zurückgekehrt?

      Er konzentrierte sich, versuchte, sich seine frühere Kleidung in Erinnerung zu rufen, und es gelang ihm auch.

      Er hörte ein leises Zischen um sich herum, als die Dunkelheit Form gewann, sich seinem Willen beugte und sich verwandelte. Sie strömte auf ihn zu, wie schwarzer Dunst, und hüllte ihn wie ein Mantel ein.

      Langsam, ganz ohne Hast erhob er sich nun und trat an den Rand der runden Steinplatte.

      Er blickte hinunter und erkannte, dass sich dort unter ihm ein bodenloser Abgrund auftat, über welchem die Steinplatte zu schweben schien.

      Er hob den Kopf und folgte mit seinem Blick dem dünnen Strahl aus Sonnenlicht.

      Im nächsten Moment schon verwandelte er sich, nahm die Form des schwarzen Dunstes an, aus dem seine Kleidung bestand, und glitt wie eine dünne Rauchfahne am Lichtstrahl hinauf, hinaus in die Freiheit.

      Er schlüpfte durch einen dünnen Spalt, vorbei an aufgebrochenem Gestein und grauem Moos, welches in den Riss hinein gewuchert war, bis sich schließlich der weite blaue Himmel über ihm auftat.

      Als er seine menschliche Form wieder annahm, ließ er seinen Blick über das Land gleiten.

      Er stand auf einer schmalen Klippe, die wie eine Felsnase aus der Seite eines Berges herausragte.

      Schnee glitzerte auf den Spitzen der Berge ringsum und ein eiskalter Wind ließ seinen Mantel flattern, zerrte an ihm wie verrückt.

      Unter sich, nach Westen hin, sah er eine weite Graslandschaft, durch welche sich ein dünnes, sanft schimmerndes Band zog. Es war ein Fluss, der sich in Richtung des Meeres ergoss.

      Kleine grüne Inseln waren zu erkennen, Wäldchen, deren frisches Blattwerk das Sonnenlicht reflektierte. Schwärme von Vögeln waren zu sehen, die Boten des Frühlings, die ihre Bahnen in der Höhe zogen, als gäbe es keine Grenzen und keine Beschränkungen für sie.

      Nördlich von ihm fiel das Gebirge ab und seine letzten Ausläufer verschwanden zwischen den Wipfeln eines mächtigen Waldes, der wie ein Schatten mitten in der aufblühenden Landschaft lag.

      Der Dunkelwald, ging es dem Namenlosen durch den Sinn.

      Dann sind dies die Berge des Drachenkamms. Hier hatte man ihn also eingesperrt.

      Sein Blick richtete sich nach Osten, doch auch hier erblickte er nur eine weite, sich schier unendlich ausdehnende Steppe.

      Das Rauschen gewaltiger Wassermassen drang an sein Ohr, und als er hinab sah, erkannte er tief unter sich einen großen Wasserfall, der aus dem Berg hervorbrach.

      Dies war die Quelle des Tivil, dem großen Strom, der durch das Land Amargath floss, um sich am Ende seines Weges in den östlichen Ozean zu ergießen.

      Der Namenlose betrachtete nachdenklich wieder seine Hände, von denen sich der Staub gelöst hatte, und bemerkte fasziniert, dass sich auf seiner wie Bronze glänzenden Haut seltsame Linien abzeichneten. Diese schienen von seinen Handgelenken her seine Unterarme hinauf zu wandern.

      Er zog seine Ärmel hoch und betrachtete nachdenklich die feinen Linien, die ihn irgendwie an ein Brandzeichen erinnerten.

      Er wusste, dass er diese vor seiner Inhaftierung nicht besessen hatte und fragte sich einmal mehr,

      welchen besonderen Umständen er es zu verdanken hatte, dass er nun hier stand und seine Freiheit wieder hatte.

      Einst, so erinnerte er sich, hatte er über mehr Wissen verfügt und kannte die Geheimnisse, die zwischen Himmel und Erde vor den Augen aller Sterblichen verborgen lagen.

      Er war ein mächtiger Diener der Dunkelheit gewesen, ehe er jene Frau getroffen hatte, die seiner Existenz eine neue Bedeutung gegeben hatte.

      An sie zu denken schmerzte ihn, denn es brachte ihm erneut den Umstand ins Bewusstsein, dass er vieles für immer vergessen hatte.

      Nun aber stand er hier, fast all seiner Kräfte beraubt, so hilflos wie ein Mensch.

      Doch da war auch dieses neue Gefühl in ihm, welches ihm ein Ziel verhieß, ihn zum Aufbruch antrieb.

      Er hatte eine Aufgabe erhalten, von wem auch immer, und diese galt es nun zu erfüllen.

      Dafür aber musste er zuerst ins Tiefland hinab, nach Norden, denn dort, so wusste er, würde er seine zukünftigen Weggefährten treffen.

      Er breitete die Arme aus, und wieder begann die Magie in ihm zu wirken, als er sich in einen schwarzen Raben verwandelte und sich vom Wind davontragen ließ.

      Der Wind war stark, zerrte an seinen Federn, doch konnte er ihm nichts anhaben.

      Das Gebirge hinter sich lassend glitt er auf den Dunkelwald zu und betrachtete diesen durch seine Rabenaugen genau.

      Ein Adler stieg von einem der Bäume auf, ein majestätischer Vogel mit einem herrlichen, schwarzbraunen Gefieder, doch als der Raubvogel ihn erblickte, drehte er sofort ab und verschwand wieder zwischen den Ästen des Waldes.

      Der Namenlose wusste, dass alle Tiere ihn sehr wohl erkennen konnten und spürten, was er wirklich war, ganz gleich, wie er sich tarnte.

      Eine Bewegung tief unten im Wald ließ ihn aufmerksam werden, er schlug ein paar Mal mit den Flügeln und begann über den Kronen der mächtigen Bäume zu kreisen.

      Schließlich gelangte er an eine Lichtung im Wald, an deren Rand eine alte, vom Blitz gespaltene Eiche stand und ihre blattlosen Äste in den Himmel streckte.

      Der Namenlose ließ sich auf einem dieser Äste nieder und wartete.

      Nach wenigen Augenblicken trat eine Gestalt auf die Wiese.

      Sie ging gebückt, schnüffelte immer wieder am Boden und dem feucht glänzenden Gras, hob nun aber den Kopf und sah zum Raben hinauf.

      Der Fremde sah aus wie ein alter Mann, grinste zahnlos und rückte seinen breiten Schlapphut zurecht.

      >>Wen haben wir denn da? , << sagte er, und seine Stimme klang dabei eher wie ein Krächzen.

      >>Ich grüße dich, Bruder, << fügte er hinzu, verbeugte sich leicht vor dem Raben und spuckte dann ins Gras. Sein grüner Speichel traf einen Stein, es zischte laut, und der Stein war verschwunden.

      Der Namenlose schwang sich vom Ast, schlug zwei Mal mit den Flügeln und verwandelte sich, noch bevor er den Boden berührt hatte.

      Sein Gegenüber wich einen Schritt zurück, doch das Grinsen schien noch breiter zu werden.

      >>Ihr seid es! , << sagte er und verbeugte sich erneut.

      Erinnerungsbruchstücke tauchten