Christin Thomas

Hope


Скачать книгу

es wieder. Sein Vater hatte es genau gesehen, aber sein Sohn würde da jetzt durch müssen. Es war an der Zeit, dass er aufhörte seine Zeit meist allein zu verbringen und endlich seine Schüchternheit abzulegen. Sky war dafür ein optimaler Gesprächspartner. Sie war unvoreingenommen und wissbegierig. Sein Wissen würde sie keinesfalls langweilen, sondern beeindrucken und Sam sollte erkennen können, dass er gar nicht so uninteressant war, wie er von sich zu denken pflegte.

      Als die Tür des Testraums aufglitt und sein Vater in der Zentrale verschwand, stand Sam etwas hilflos da. Er wusste nicht wirklich, was er sagen sollte. Unsicher bohrte er mit seinem rechten Fuß imaginäre Löcher in den Boden.

      „Wie alt bist du?“, fragte Sky unerwartet.

      Sam sah zu ihr auf. „Siebzehn.“

      Sie lächelte wieder. „Das ist noch sehr jung für einen Menschen, oder?“

      „Ja. Im Durchschnitt werden wir über einhundert Jahre alt.“

      Sie nahm die Informationen auf, die er ihr gab. Er merkte es bis dahin noch nicht einmal, aber er schulte sie. Sam fütterte häppchenweise das Wissen weiter an, das voreingestellt in ihr verankert war.

      „Du sagtest ,Wie der Himmel über der Erde‘. Doch ich finde nichts dergleichen in meinen Erinnerungen.“

      Sam war sich zuerst unsicher, ob er ihr tatsächlich etwas vom blauen Planeten erzählen sollte. Bislang hatte das ja kaum einen interessiert und wenn sie eine so hochentwickelte K.I. hatte, war es ja durchaus möglich, dass er sie mit diesem Thema langweilen könnte. „Willst du wirklich etwas darüber erfahren?“

      „Natürlich“, antwortete sie und setzte sich auf den Rand der Versorgungskapsel. „Wenn du magst, kannst du dich auch gern setzen.“ Freundlich bot sie ihm den Platz neben sich an.

      Vorsichtig nahm Sam Platz, er bedankte sich nicht einmal, so aufgeregt war er. Er saß neben dem ersten Cyborg seines Lebens, der ihm irgendwie so gar nicht technisch vorkam. Sie schien furchtbar realistisch, mal abgesehen von den kleinen Öffnungen unter ihren Augen, durch die das Licht schimmerte. Von Weitem sah es auch eher aus wie Schminke. Daher wirkte selbst das nicht abschreckend unmenschlich. Sein Blick wanderte zur Tür. Er stellte sich die Erde bildlich vor. Oft hatte er Bilder von ihr aus allen Perspektiven betrachtet. In seiner Vorstellung wählte er die Sichtweise der ersten Menschen, die die Welt von einem anderen Planeten bewundern konnten. Die Aussicht vom Mond.

      „Die Erde ist unsere eigentliche Heimat. Sie liegt viele Lichtjahre entfernt von hier. Man nennt sie den blauen Planeten, weil sie zu über 70 Prozent mit Wasser bedeckt ist. Es gibt dort Ozeane, die von einem bis zum anderen Horizont reichen.“ Er fuhr sich unterdessen gedankenverloren durchs Haar. „Aber nicht nur das Wasser dort ist blau. Die Atmosphäre der Erde ist ganz anders als die hier auf Hope. Wenn das Licht ihrer Sonne sich in der Atmosphäre bricht, erstrahlt der Himmel in einem zarten bis satten Blau. Deine Augenfarbe erinnert mich irgendwie an diese Besonderheit der Erde. Außerhalb unserer Schutzkuppel würden wir hier ohne ein Beatmungsgerät gar nicht überleben. Der Himmel über Hope ist gelblich und wirkt ziemlich trocken. Wenn ich jedoch den Himmel der Erde auf den Bildern der Archive sehe, dann fühlt es sich an, als betrachte ich schwebendes Wasser. Es ist ein viel erfrischenderer Anblick.“

      Sam hielt inne. Er hatte tief im Inneren stets das bohrende Gefühl, nicht zu Hause zu sein. Es war bedrückend. Wenn es Tage gab, an denen er aus irgendwelchen Gründen traurig war und sich nicht wohl fühlte, gab es stets nur einen Gedanken in seinem Kopf: Ich will nach Hause. Doch je mehr er mit den Jahren seines Alterns begriffen hatte, wonach er sich so sehr sehnte, desto mehr erkannte er darin eine fast unmögliche Aufgabe. Die Kosten für eine Expedition zur Erde würden das Vermögen seines Vaters sprengen und so hing es an ihm, den Forschungsrat und die Regierung eines Tages von der Wichtigkeit dieser Reise zu überzeugen. Nur mit ihrer Hilfe würde er seinen Traum verwirklichen können.

      „Warum sind wir dann hier und so weit von eurer Heimat entfernt?“ Sky schien ehrliches Interesse an seinen Erklärungen zu haben.

      Sam merkte schnell, dass sie scheinbar wirklich mehr darüber wissen wollte. „Weil die Menschen den Planeten mit nuklearen Sprengsätzen krank gemacht haben.“

      Seine Antwort war die Wahrheit, doch sie klang bitter in den Ohren des R2. Sie wusste, was nukleare Waffen waren. Die Forscher hatten in ihrem System etliche Begriffe abgelegt, damit sie von Beginn an im Stande war, reibungslos zu kommunizieren. Sky konnte sich die Erde dank Sam gut vorstellen. Er sprach so fasziniert von ihr, dass sie sich mitreißen ließ. Sie stellte sich diesen Planeten mit seiner Fülle an Wasser vor und dachte an seinen strahlend blauen Himmel. Sam hatte ihr einen wirklich bezaubernden Namen gegeben. Wie konnte man einem so wunderschönen Ort nur schaden? Sie verstand nicht, wie man einen Planeten auslöschen konnte, den man scheinbar liebte. „Wieso zerstört man seine eigene Heimat?“

      Sam sah tief in ihre blauen Augen. „Ich glaube, dass die Menschen von damals nicht die Fähigkeiten besaßen, weit genug in die Zukunft zu denken. Sie hatten Vorstellungen davon, malten sich in Geschichten aus, wie sie in hunderten von Jahren sein würden und manchmal gab es darunter auch den Gedanken, dass sie selbst ihr Ende herbeiführen würden. Doch scheinbar waren sie nicht in der Lage ihre Lebenseinstellung zu ändern und durchdachter mit ihren Ressourcen umzugehen. Also wurde das Überleben irgendwann schwierig. Wenn ein Land stärker als das andere war, nahm es sich in einem Krieg, was es wollte. Und so kam es schon bald zu einem der schlimmsten Kriege der Menschheit. Einige starke Länder verbündeten sich, doch auch jene, von denen sie bis dahin dachten, dass diese schwach seien, fuhren plötzlich starke Geschütze auf. Es wurden erste Atombomben gezündet. Jene, die angegriffen wurden, zündeten ebenfalls welche, als sie erkannten, dass sie dem Untergang geweiht waren. Und so bombten sie sich in den Tod und vergifteten ihre eigene Heimat. Es gab einige wenige Rettungskapseln, die die sogenannten Auserwählten ins All retteten. Den Planeten Hope hatten sie schon einige Jahre zuvor als möglichen Zufluchtsort entdeckt. Die Lage der Erde wurde schon viele Jahre vor diesem Krieg als kritisch betrachtet und deshalb hatten sie sich zum Glück vorbereitet, sonst wären wir jetzt nicht hier, Sky. Es würde hier keinen von uns geben.“

      Sie wirkte nachdenklich, als sie die Informationen verarbeitete. Ihr Kopf senkte sich und auch Sam wusste plötzlich nicht mehr, was er noch sagen sollte. Jetzt, da er diese Geschichte jemandem erzählte, der noch nie davon gehört hatte, kam er sich selbst schrecklich vor. Als wäre der Mensch ein Ungeheuer, das einen Planeten zerstört hatte, um sich nun eines anderen zu bedienen. Und so war es ja irgendwie auch. Doch er wusste, dass die Techniker wesentlich bedachter mit den Rohstoffen dieses Planeten umgingen und dass sie ihre Fortschritte nicht nur für den Kampf einsetzten. Sie erarbeiteten auch immer neue Möglichkeiten, um Hopes Ressourcen schonen zu können und selbst Materialien zu entwickeln, die wachsen konnten und die für Nachhaltigkeit sorgten.

      Seine Mutter arbeitete für eine solche Forschungseinheit. Sie war nun schon über ein Jahr auf der Suche nach neuen Energiequellen, deren Kopierung wissenschaftlich möglich war und er hoffte, dass sie einen solchen Weg finden würde, damit die Magier sie endlich in Ruhe lassen würden. Diese fürchteten nämlich die Ausbeutung und Zerstörung eines weiteren Planeten. Sie hatten zuerst nur gedroht, als sich ihre und die Wege der Menschen trafen, doch aus der Drohung wurde Ernst, als sie nicht aufhörten zu forschen, zu bauen, zu lernen. Einige Verfechter des einfachen Lebens stellten sich auf die Seite der Magier und gaben jegliche technische Errungenschaft auf. Auf Hope nannte man sie seither die Jäger, weil sie wie zu Urzeiten auf die Jagd gingen, Früchte sammelten und Gemüse ernteten. Hope hielt eine Vielzahl an Nahrungsmitteln bereit, doch in Cyron und den anderen großen Städten gab es längst nur noch eine Form der Lebensmittelaufnahme: Energiegetränke, die mit verschiedenen Zutaten gemischt wurden, um ihren Geschmack zu verändern. Das war schon alles, was man als sogenanntes Kochen bezeichnen konnte. Doch es war nachhaltig, weil nur wenige Zutaten vom Planeten selbst stammten. Der Rest wurde rein künstlich erzeugt, dafür wurde nur wenig Wasser verwendet und das Ergebnis schmeckte ausreichend gut. Die Techniker waren also ganz anderer Meinung. Verbreiteten sich die Jäger durch vielfache Fortpflanzung, würden sie diesem Planeten weit mehr schaden, als ihnen selbst vorgeworfen wurde. Doch während Sam sich dessen bewusst war, so war es für Sky noch ein langer Weg, das alles zu begreifen.