Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit


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drehten sich zahllose Gesichter zu mir um. Die Henker blieben abrupt stehen.

      „Haltet ein, Ihr lieben Menschen dieser schönen Stadt! Wollt Ihr wissen, was in der Nacht wirklich geschah?“

      Meine leise Stimme konnten selbst die Gefangenen verstehen. Alle hörten mich. Wie war das möglich?

      „Wer ... bist ... du?“, stotterten Arden, Vosnet und der Lumen gemeinsam aus verschiedenen Gründen. Der Schwarze und der Violette sahen verunsichert drein. Die Braunen und die Blauen stierten mich mit offenen Mündern an. Das hatte ich nie erlebt und beschloss die Unsicherheit sofort auszunutzen.

      „Bevor ich auf die Frage antworte, bestätigt Ihr mir, dass ich tatsächlich jeden einfach töten darf, der mich angreift?“ Ich ließ den Blick über die Menge schweifen, verharrte beim Anführer der Vomen und zwang Vosnet schließlich wegzuschauen, dessen Verunsicherung in Angst umschlug.

      Meine Frage verstanden sie als ernste Drohung, obwohl ich nur bluffte.

      Der Lumen stand zwischen mir und Vosnet. Rasch trat der Dicke mehrere Schritte zurück.

      Alle fürchteten sich zu sterben - im Gegensatz zu mir. Unsicherheit war der Boden ihrer Angst und ich stärkte sie, wie ihre Gesichter, Körperhaltungen deutlicher als ihre Münder mir bestätigten. Mein versteckter rechter Arm, die unbestimmte Kleidung und eine Kapuze, die mein Gesicht den Blicken entzog, bestärkte sie in der Annahme, ich tötete ohne zu zögern und wollte mir dafür die Zustimmung der Stadt einholen. Unbeabsichtigt hatten die Vomen mit ihrer Schau und ihren Lügen nicht an die Folgen gedacht.

      Gleiches Recht für alle.

      Das begriffen die Leute allmählich. Ich spürte es.

      Mein Abwarten und Schweigen wurde drückend.

      Vosnet überlegte und begriff, in welche aussichtslose Situation er seine Vomen manövrierte. Sie kannten mich nicht, wussten nicht, wozu ich vielleicht in der Lage war. Die Allmen zogen sich zuerst zurück. Der Lumen erkannte, dass er die Kontrolle verloren hatte, und sackte in sich zusammen. Die anderen violett gekleideten Menschen sahen zu Boden. Vosnet verlor das Selbstvertrauen in seinen kruden Plan. Er hatte die Gelegenheit ergriffen, sich - ohne spätere Strafen befürchten zu müssen - dieser vier Gegner zu entledigen, die seit Wochen ihm selbstbewusster und kritischer entgegen traten. Die Macht der Vomen durfte keine Grenzen kennen. Er wusste nicht, was seinen Leuten geschehen war und interessierte sich nicht dafür. Vielleicht hatten sie gelogen. Sein wütender Blick richtete sich auf die zwei Fast-Vergewaltiger. Was setzte er nur für diese beiden Dummköpfe aufs Spiel!

      Woher wusste ich, was Vosnet dachte? Das kümmerte mich jetzt nicht. Diese Stadt verdiente die Wahrheit und niemand griff mich an. Zum ersten Mal.

      Vosnet spürte, dass seine Allianz zerbrach. Die Macht des Lumen war gebrochen und die Menge begriff, was von seiner Antwort abhing. Er suchte verzweifelt einen Ausweg. Welcher Plan auch immer ausgeheckt worden war zwischen Vomen, Allmen, Dacmen und Lumen, er war gescheitert.

      „Nein, es -“, wollte er weiter reden.

      „Die Antwort reicht fürs erste“, schnitt ich ihm das Wort ab, damit niemand Zeit zum Überlegen hatte. „Die beiden dort vorne sind jene, für die du Rache haben willst. Schaut sie an! Oh, sie wollen fliehen!“ Ich zeigte mit dem Stock auf die beiden Vomen, die sich davon schleichen wollten. Zwei Delmen packten sie und brachten sie nach vorne. Alles Leben war aus ihnen gewichen.

      „Vosnet“, meinte ich leise. „Alle sehen, dass der eine einen blauen Hals und der andere eine gebrochene Nase hat!“

      Die Angst des Alten steigerte sich. Ich sprach zur Menge:

      „Vosnet hat gesagt, es ist kein Gesetz dieser Stadt, einen Angreifer zu töten. Ich warte auf die Antwort der anderen. Pfermen?“

      „Wenn das Leben eines Pfermen in Gefahr ist, darf er töten. Oder das Leben eines anderen Menschen.“

      Alle nickten, auch Vosnet.

      „Du nickst, Vosnet?“, fragte ich. Der Angesprochene zuckte zusammen, als ob ich ihn angebrüllt hätte. „Wenn du das weißt, warum ist dann ein Schlag auf die Nase oder den Hals ein Tötungsversuch, da du den Tod dieser vier forderst?“, fragte ich ohne meine Stimme zu heben. Warum konnte mich jeder verstehen?

      Die Kiefer des Vomen malmten, ohne Worte oder Laute zu bilden.

      Die Menge schien verstört zu sein, ratlos.

      „Jeder kann sehen, dass die beiden außer einem blauen Fleck am Hals und einer gebrochenen Nase, die man wieder richten kann, nicht ernstlich verletzt sind. Stimmt Gurwass mir zu?“, fragte ich.

      Ein Raunen ging durch die Menschen. Stimmen wurden laut.

      „Er hat recht.“

      „Stimmt.“

      „Die Vomen haben kein Recht, die vier zu töten.“

      „Der Fremde hat recht. Es ist nichts Schlimmes mit den beiden geschehen.“

      Arden starrte mich an, als ob er etwas an mir suchte, erkennen wollte. Vosnet blickte nachdenklicher und ängstlicher zu mir, wenn das möglich war. Die Schlame und der Pfermen drehten ihre Köpfe zu den Gefangenen und wieder zu mir. Die Schlame sah mich seltsam an. Der Dacmen rieb sich die klarer werdenden Augen und der große Allmen lief rot an vor Scham.

      „Hier stehen viele Menschen, sehen einen blauen Hals und eine eingedrückte Nase. Das soll das Werk dieser vier Männer sein?“ Ich wurde laut. Meine Stimme peitschte jetzt über den stillen Platz, über die Köpfe hinweg. „Welche Beleidigung für Sardengo, Loschen, Roxlen und Hadef. Ich bin mir sicher, hätten diese vier mutigen Männer diese zwei Galgenvögel tatsächlich verprügelt, dann sähen die beiden wohl ganz anders aus! Dann wäre wohl nicht viel übrig geblieben, das wir hätten befragen können.“

      Entsetzen und Panik lösten die Starre und die Unsicherheit der Vomen ab. Mochten die Allmen sich vorhin vor Scham winden, suchten sie nun Distanz zu den Schwarzen. Die gezückten Schwerter und Klingen verschwanden schneller, als sie zum Vorschein gekommen waren.

      6

      Die Menge schien kurz davor zu explodieren. Die Beschuldigten waren nicht die Täter. Alles war ganz anders, als die Schwarzen behaupteten.

      „Ihr beide!“ Mein Stock zeigte auf die beiden, die keinen Ausweg mehr sahen. „Ihr habt jetzt die Chance zu bereuen und um Milde zu bitten. Redet!“

      Bevor jemand einschreiten konnte, fielen sie vor dem Gelborangen zu Boden.

      „Wir haben in der Nacht Ofera aufgelauert, die bei ihrem Sardengo war, und wollten sie zwingen, sich uns hinzugeben. Wir lähmten und folterten sie. Bevor wir aber dazu kamen, warf uns ein Blitz zu Boden. Am Morgen wachten wir auf und liefen zu Vosnet.“

      „Vosnet!“ Meine Stimme schwoll an, schien nicht mehr meine zu sein. Mein DAL brannte und ich liebte das. Jedes weitere Wort strich wie eine Böe über den Platz. „Du hast ohne Grund vier Menschen misshandelt und andere angestiftet, dies zu tun. Delmen, Pfermen, Loxmen und Schlamen! Vosnet gehört Euch! Pfermen, hier sind die Schuldigen einer missglückten Vergewaltigung. Die zwei gehören Euch, richtet sie nach Euren Gesetzen!“

      Mein DAL brannte meinen Arm aus. Aber nichts schmerzte.

      „Was... bist...du?“ Ardens Stimme brach nach jeder Silbe.

      „Ich kann diese Frage nicht beantworten“, sagte ich leise und ein wenig flehend. „Ich weiß nicht, was ich bin. Ich habe nur einen Namen, den ich mir selber gab. Artir. Darf ich bleiben?“ Es war, als ob jeder Laut verboten war, als ob mein Name plötzlich eine uralte unbekannte mächtige Magie hervorrief.

      Niemand rührte sich bis auf die alte Sedara, die mit zitternden Händen ihre Wangen umfasste und auf mich zuging. Ihre Augen glänzten in Tränen, die die Wangen benetzten und zwischen den Fingern herunter liefen. Es schien ihr nichts auszumachen.

      Während sie sich langsam näherte, bewegte sie