Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit


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wechselte die Farbe zu leuchtendem Weiß und eine Hitze ohne Schmerzen jagte durch meinen Körper. Nie zuvor zeigte er eine Farbe. Dieses Weiß war reiner und heller als die Segel der Schiffe. Unwillkürlich hob ich mit der linken Hand den tauben Arm hoch. Ich küsste meinen warmen weichen Reif. Er schlängelte sich, drückte sich gegen meine Lippen.

      Ich schob den laschen Arm in die Tragevorrichtung zurück, griff den Stock und stand auf.

      3

      Die Menschen drängten nach vorne und zeigten mir ihre Rücken. Hinter der Menge blieb am Ende der Bucht ein schmaler Rand am Kai frei. Jene, die aus den Fenstern starrten und mich hätten sehen müssen, konzentrierten sich auf das Geschehen direkt unter ihnen. Gebückt und mit gesenktem Kopf schlich ich mich an den Häuserwänden entlang, bis ich die Menschen erreichte. Die Menschen hielten gute vier Schritte Abstand von der Wasserkante.

      Gegenüber dem Delmenhaus, vor dem sich die Vomen und ihre Gefangenen versammelten, befand sich das Ende der Bucht. In einem freien Platz zwischen Gefangenen und Bewohnern ging ein älterer Vomen hin und her.

      Die Versammlung bildete ein Oval. Langsam und gebückt schlich ich hinter einer Mauer aus unaufmerksamen Rücken, bis ich hinter der Menge stehend die Gefangenen gut sehen konnte.

      „Ich wiederhole es gern“, rief der Vomen. Seine schwarze Kleidung passte zu den schwarzen Haaren und dem bleichen dürren Gesicht. Seine Augen waren kleine schwarze Kugeln. Vomen waren dürr aber groß. Sie gingen nicht gebückt, obwohl es so schien; ihre Rücken bogen sich nach vorn, so dass Hals und Kopf den Bogen des Rückens vollendeten. Sie konnten nie aufrecht gehen. Ihre Hälse waren dürr wie sie selbst. Die Haut faltete sich an Hals und Schulter und war dort ledrig. Die Größten konnten mir bis zum Kinn reichen.

      Der Vomen zeigte auf die vier Männer, die für alle sichtbar misshandelt worden waren.

      „Diese vier haben zwei meiner Leute niedergeschlagen, feige und hinterrücks. Sie müssen sterben.“ Er suchte herausfordernd jene, die wagten, ihm zu widersprechen.

      „Dein Ratsmitglied Marov ist nicht da, Vosnet“, entgegnete Arden, ohne sich durch Vosnets Blick einschüchtern zu lassen. „Seit wann bestimmen die Vomen, dass Prügel mit dem Tode bestraft werden? Haben die Vomen Angst vor Prügel? Wo sind die Überfallenen? Zeige sie uns!“

      Die Menge lachte.

      Vosnet blickte Arden grinsend an.

      „Zu ihrem Schutz werde ich das nicht tun. Die Angreifer sterben. Das ist unsere Entscheidung. Ich genieße das volle Vertrauen meines Ratsmitglieds. Er wird mei- äh, die Entscheidung bestätigen.“ Der Vome wich nicht zurück.

      „Selbstverständlich hält Marov große Stücke auf dich!“, ergriff ein violetter Lumen das Wort. Diese Gruppe trug weite Kleider. Sie machten sich dadurch größer, zudem boten die weiten Kleider zahlreiche Verstecke für viele kleine Waffen. Lumen waren viel kleiner als Vomen, fast so groß wie Delmen. Sie hatten kein Kinn, waren oft dicker und runder. Jeder hatte sie gern. „Ich missbillige jeden brutalen Angriff, auch auf deine Vomen, aber zu Recht habt Ihr um meinen Rat gebeten. Damit ich die Wahrheit herausfinde, muss ich mit ihnen reden.“ Er nickte zu den vier Gefangenen. Ich fand ihn halbherzig, als ob er nicht das meinte, was er sagte.

      „Genau“, rief eine Schlame, das Haar und die Kleidung feuerrot, wie das Gesicht - aber das vor Wut. Ihr Kleid floss wie eine zweite Haut an ihr herunter. Es betonte ihre Weiblichkeit. Sie war rätselhaft. Die Männer ringsum konnten sich ihrem Einfluss nicht entziehen und nickten einfach, um ihr zu gefallen.

      „Bisher bringst du nur Anschuldigungen. Wer ist geschlagen worden? Warum dürfen wir die Geschädigten nicht sehen? Sie sollen reden und uns sagen, wer genau von denen sie niedergeschlagen hat.“ Ihre Stimme überschlug sich. Das machte sie nicht mehr so begehrenswert. Sie verlor die Aufmerksamkeit der Männer. „Warum diese Versammlung? Wegen zweier niedergeschlagener Vomen? Willst du hier ein Exempel statuieren? Du wirst Loschen auf der Stelle freilassen. Nichts rechtfertigt deine Anschuldigung oder diese Versammlung und du hast kein Recht ihn zu töten.“ Sie kratzte nur an der Oberfläche.

      Ich war enttäuscht.

      „Warum musste Oxba weg?“, hörte ich einen Loxmen verzweifelt grummeln.

      4

      Ich war sprachlos und verwirrt über die Unfähigkeit der versammelten Menge das Offensichtliche zu sehen. Waren sie alle doch Nutzer der Kraft. Warum sahen sie nicht die Wahrheit? Vosnet beschuldigte vier Männer eines Verbrechens, ohne die Tat selber zu beweisen. Die Menge zweifelte nicht an der Schuld der vier Männer. Die Delmen akzeptierten, dass die vier geprügelt hatten; der Lumen wollte niemanden verhören; die Schlame war ebenfalls sicher, dass einige der vier die Vomen angegriffen hatten, nur eben nicht Loschen; die Pfermen sagten nichts, bewegten sich nicht und überließen Hadef seinen Henkern; Roxlen durfte sich überhaupt keine Hilfe durch seine Leute erhoffen. Gingen die Parteien in dieser schroffen kalten Art und Weise mit ihren Mitgliedern um?

      Jetzt freute ich mich, kein Loxmen zu sein oder kein Pfermen, ja überhaupt zu niemandem zu gehören. DAL kitzelte und wärmte den Arm. Merkte er, was ich dachte? Bestätigte er mich?

      „Reden, reden, reden. Damit ist es vorbei. Wir Vomen entscheiden!“, schrie Vosnet über den Platz und zeigte auf die vier. Er und seine Gefolgsleute richteten ihre rechten Arme auf die Gefangenen, die plötzlich zusammenbrachen und am Boden zuckten. Andere Schwarze stellten sich vor die Menge. Krallen, die als Verlängerung ihrer Finger erschienen, strahlten in schwarzem Glanz. Sie waren überzeugt einschüchternd zu sein.

      Ein Fehler.

      Kraft jagte aus Delmen, Schlamen, Loxmen und Pfermen hervor. Die Vomen fielen einfach um. Die Luft knisterte. Ich hatte keine Ahnung, was genau geschah. Sehr lange hielt die Wirkung jedenfalls nicht an. Die Gefangenen regten sich. Auch die Vomen richteten sich auf. Die Delmen zückten ihre Sägeschwerter, grausame Waffen, und nicht nur sie allein.

      „Das werden alle büßen!“, drohte Vosnet und sein Gesicht hellte sich auf. Die grasgrünen Allmen und die braunen Dacmen zogen ebenfalls ihre Waffen, verschiedenste Schwerter und Klingen und hielten sie den kampfbereiten Gruppen entgegen.

      „Wollt Ihr ein Blutbad?“, fragte der größte Allmen die Menge. „Das werden wir nicht zulassen.“

      „Ich gebe Vosnet recht“, meinte ein Dacmen, der auf die Gefangenen zuging. Sein vorher klarer Blick wurde glasiger. „Wer angreift, muss sterben. Ihr habt die Vomen angegriffen. Sie haben jetzt das Recht, euch zu töten.“ Sein Gesicht versteinerte sich wie eine Maske. Hier lief irgendein falsches Spiel mit der Kraft.

      „Das sollen sie mal versuchen!“, rief Arden höhnisch. Die Delmen lachten.

      „Meine Güte, jetzt gebt doch nach! Alle miteinander! Die vier haben ohne Grund wehrlose Vomen angegriffen. Ihre Gruppe fordert zu Recht eine Bestrafung.“ Der Lumen trat wieder vor.

      Sah ich als einziger die Handbewegungen des violetten Lumens? Seine Lumen hinter ihm ahmten ihm nach.

      Fasziniert sah ich, wie die Menge ruhig, ruhiger, fast willenlos wurde. Jedes Gesicht, auch Ardens, zeigte Zustimmung für den Lumen und die Ungerechtigkeit, die man den Vomen zugefügt hatte. Ja, der Lumen hatte Recht, war es nicht so gewesen. Der Lumen war ein Freund. Warum sollten Freunde lügen?

      Ich allein erkannte, dass alle Lumen mit einem Zauber die Versammlung täuschten. Was konnte ich gegen so viel Macht ausrichten? Ich sah zu den Gefangenen und richtete mich etwas auf, um sie besser sehen zu können. Wie bei der Pferme heute Nacht sah ich in den gefesselten Männern nur Naverenjungen, obwohl sie älter waren. Jungen meiner Sippe. Vier Vomen gingen mit Krallen auf die Gefangenen zu, um die Trance der Menge auszunutzen, um zu töten.

      Erwachsene Naveren starben für die nachfolgende Generation. Dann musste es sein, jetzt oder nie.

      5

      „Ich