Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit


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sich zu zeigen. Die ersten Schiffsgeräusche drangen zu mir. Die Delmen, die auf den Schiffen schliefen, erwachten und begannen mit den Vorbereitungen für die Abfahrt.

      Die vier Schiffe verloren sich in dem großen Hafen. Damals in Plawass legten zwanzig, dreißig Schiffe auf einmal an.

      Wenn ich in Ruhe ein Bad nehmen wollte, dann jetzt. Inzwischen kam ich mit nur einem Arm zurecht. Ich stand bis zur Hüfte in den Wellen und hoffte. Kneten, hauen, kneifen. Nichts half. Der Arm blieb taub. Mein DAL war weich wie eine Messi. Ich konnte ihn leicht anlupfen. Oxba hatte sich über die Härte gewundert. Bedeutete ein weiches Armband, dass ich kräfftern konnte? Ich wusste nicht, wie ich die Kraft nutzen konnte, und niemand brachte es mir bei. Ich streichelte den lebendigen Reif. Ich fühlte seinen zarten Druck, wie er sich gegen die Finger wölbte. Das machte mich glücklich.

      Der Meeresgigant hatte etwas bewirkt, ihn weich gemacht. Hätte ich kräfftern können, hätte ich mich den beiden Vomen offen entgegengestellt. Ich bereute nicht, sie niedergeschlagen zu haben. Sie hatten Abscheuliches mit der Pferme vorgehabt. Sie konnte sich nicht wehren. Zwei gegen eine. Feige.

      6

      Wie ich die Vomen einschätzte, wollten sie sich rächen - egal an wem. Diese Gruppe interessierte sich nicht, ob sie im Recht oder Unrecht war. Sie wollten Macht über andere und mit brutalem Zwang bekamen sie diese – meiner Erfahrung nach.

      Bevor ich Gurwass betrat, drohte mir der Tod. Jetzt ebenfalls. Dann hatte sich nichts geändert. Es gab nur einen Tod, keine Steigerung.

      „Verschwinde und stirb!“

      Dass ich vor allem mit den Vomen stritt, seitdem ich Städte besuchte, akzeptierte ich. Sie logen oder verdrehten die Wahrheit zur Lüge.

      Machten die Schwarzen Ärger wegen zweier niedergeschlagener Männer, blieb ich nicht still. Die Stadt hatte ein Recht auf die Wahrheit und nicht auf Vomen-Lügen. Sollte ich dabei sterben, schien mir das ein guter Tod zu sein.

      Mochten sie mich foltern wie in Padent, Aciber oder Tawa. Mochten sie mich lähmen und verprügeln wie in Puwen. Vergiften wie in Targent und Salent oder die Haut aufschlitzen wie in Tawa. Mich durchbohren wie in Daciber. Niemals duldete ich Lügen, um anderen zu gefallen.

      DAL leuchtete kurz auf, ohne zu schmerzen, was auch immer das bedeutete.

      Die Schiffsbesatzungen lärmten ebenso wie die Bewohner. Die Hafenstadt erwachte zu Leben und ich hätte mir gern die Ohren zugehalten. Ich ließ mir Zeit mit dem Anziehen. Die ersten Sonnenstrahlen strichen die Dächer gelb, bis sie in ihren echten Farben glänzten.

      Der Lärm schwoll an und bald setzten die Kopfschmerzen ein. Dann wollte ich zu den Menschen gehen - mit ungewissem Ausgang für mich.

      Kapitel 5

      Gurwass beachtete mich nicht. Auf dem Sand sitzend lehnte ich mich an einen Felsen und überblickte die Bucht. Menschen strömten aus den Häusern, betraten andere Gebäude, verließen die Stadt zum Pflanzengürtel oder brachten Ballen auf Schiffe. Loxmen trugen aus deren schwimmenden Laderäumen hohe Kistenstapel in die Stadt. Ich konnte dem nicht nachgehen, obwohl die hölzernen Boxen mich anzogen. Vielleicht starb ich heute oder entschied direkt über die Berge das Land zu verlassen. An einen dritten Weg glaubte ich nicht, erhoffte ihn aber.

      Am Ende des Hafens versammelten sich viele Bewohner. Bunt gemischt standen sie in kleinen und größeren Gruppen und sprachen miteinander. Der Lärm ließ meinen Kopf sofort schmerzen. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, dann zu gehen, blieb ich sitzen. Hier und heute war alles anders.

      Ein freundlicher Mensch suchte und fand mich.

      Im Meer lebte eine intelligente, Kraft nutzende Art. Sie ließ mich leben.

      Die Menschen in Gurwass fürchteten sich.

      Eine Frau schickte mir einen Stein und bat um eine Frage.

      DAL war weich, und mein rechter, sonst kräftiger Arm hing nutzlos herunter.

      Zwei Vomen wollten eine Pferme misshandeln, und ich schlug die Männer bewusstlos.

      Dass ich das geschafft hatte, verblüffte mich weiterhin.

      Auf meiner Hafenseite lag die NAVA. Gegenüber hatten zwei größere Schiffe festgemacht, die imposante Ballen schluckten. Am Ende der Bucht legte ein Schiff gerade ab, als Geschrei und Lärm in der Menge zunahm.

      Niemand bemerkte mich. Ob es daran lag, weil ich die Kapuze über das Gesicht gezogen hatte, oder meine Kleidung beinahe dem hellen Felsen ähnelte? Ich sah, wie Menschen Waffen in Hosen und Kleidern versteckten. In der Menge standen auch die beiden Vomen, die ich schlafen gelegt hatte.

      Eine Gruppe finster blickender Vomen zerrte vier gefesselte Männer auf den Platz. Die Gesichter der Gefangenen zeigten Misshandlungen. Violette und blau-schwarze Flecken, rote Striemen untermauerten den Machtanspruch der Vomen. Ein vielstimmiges Raunen erhob sich und gipfelte in vereinzelte Schreie.

      Eine ältere Frau eilte zur NAVA. Sie trug blaue Kleidung, zeigte glatte Haut und blickte mit fischähnlichem Gesicht umher. Auf jeden Fall hätte die Delme mich sehen müssen, als sie die Mitte des Schiffes erreichte, blieb sie auf dem Kai stehen.

      „Kapitän Arden“, schrillte ihre Stimme.

      An der Reling erschien ein Delmen, ungefähr mein Alter. Er war größer als Oxba.

      „Hochgeehrte Sedara-“

      „Keine Zeit für Höflichkeiten, Kapitän“, schnitt die Frau ihm das Wort ab. „Alle Delmen müssen sofort kommen. Sardengo und drei andere sollen in der Nacht zwei Vomen niedergeschlagen haben. Die Vomen wollen sie vor der Menge hinrichten. Das müssen wir verhindern.“

      „Wen wollen die Vomen denn noch richten?“ Der Satz klang wie eine Frage, besaß aber eine weitere Bedeutung, nämlich, dass die Vomen schon zu viel Macht besaßen.

      „Loschen, Hadef und Roxlen. Ihr wisst genau, dass die vier diesen schwarzen Krummhälsen schon lange im Nacken sitzen. So kann es nicht weitergehen, Kapitän. Sie benehmen sich, als ob sie über uns herrschen.“

      „Nur leider, hochverehrte Sedara, werden wir immer weniger und die Vomen mehr“, seufzte Arden. „NAVA! Bewaffne dich!“

      2

      Vierzig Delmen sprangen über den Schiffsrand und marschierten mit Sedara zur Menge. Die zuvor bunte Mischung der Farben löste sich auf. Wie auf einen unsichtbaren Befehl vereinten sich die bunten Punkte zu einheitlich farbigen Flächen. Die Allmen, die größte Menschengruppe, standen in der Mitte. Die Pfermen als zweitgrößte hielten sich rechts neben den Allmen, daneben versammelten sich die Schlamen, die mit den Pfermen den größten Frauenanteil hatten. Die drittgrößte Gruppe aber stellten die Delmen, die sich auf die äußerste rechte Seite begaben. Auf der linken Seite ordneten sich die Loxmen, dann die Dacmen, die Lumen und die Vomen links neben den Allmen. Zwischen den Farben blieb eine schmale Gasse frei. An der Hauswand standen die vier Gefangenen mit ihren Bewachern. Es gab einen kleinen Tumult, als die Mannschaft der NAVA geschlossen vordrang.

      Ich aß meinen letzten Proviant aus getrocknetem Kleptronfleisch und Früchten kleinerer Bäume. Meine Ohrenschmerzen nahmen zu, aber sie waren klein im Vergleich zu den Schmerzen, die mich erwarteten, wenn die Vomen sich mit mir beschäftigten.

      Viele Menschen blickten aus geöffneten Fenstern der Delmenhäuser auf den Platz vor ihnen, um das Spektakel zu sehen.

      Die Stimmen schwollen an und verebbten wieder zu einem leisen Raunen.

      Ich hielt meinen DAL fest.

      „Ich weiß nicht, was kommt“, flüsterte ich ihm zu, ohne zu wissen, ob er mich hörte oder verstand. „Du sollst wissen, dass du mich glücklich machst, weil du weich geworden bist. Es ist mir nicht wichtig, ob du mich kräfftern lässt oder nicht. Mochtest du mir auch Schmerzen zufügen, du hast mich begleitet. Ich