Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit


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heran. Sein Gesicht gefiel mir weniger als seine Stimme. Ich war hilflos.

      „Dein DAL ist hart?“, fragte er aufgeregt, als er das Armband genauer betrachtete.

      Ich nahm den Arm im Nu herunter und legte schützend die freie Hand auf mein Band.

      Ich sah seine Bewegung nur verschwommen, als die Kraft mich zu Boden warf. Tausend Dornen stachen in meine Haut. Zugleich schien ein Kübel Eiswasser über mir ausgeschüttet zu werden, dass ich fror. Mittlerweile hämmerten Nägel gegen meine Knochen. Ich wand mich am Boden, ohne einen Laut von mir zu geben. Rasch hörte die Attacke auf.

      Ich schlug die Augen auf und sah das Ratsmitglied neben mir knien. Seine Hände verharrten unsicher über mir, als traute er sich nicht, mich zu berühren.

      „Es tut mir leid! Ich hatte ... wir hatten ja keine Ahnung. Nach der Verwandlung hätte dies jeder abgewehrt.“

      Ich spürte echte Bestürzung. Was hatte er sich gedacht? Wovon hatte er keine Ahnung? Welche wir?

      Ich erkannte einen Verdacht in seinem Gesicht, an seiner Haltung. Er bereute den Angriff ehrlich. Oxba, der erste, der sich bei mir entschuldigte. Körperhaltungen und Gesichter hatte ich in den letzten Jahren lesen gelernt. Die standen oft im Gegensatz zu den Worten, die Menschen sprachen. Ich musste selbst lernen zu erkennen, was richtig und falsch war.

      Ich winkte seine Bestürzung weg.

      „Schon gut, Ratsmitglied. Andere Menschen haben mir weitaus Schlimmeres angetan“, beschwichtigte ich ihn. Ich richtete mich auf und sah ihn an.

      Betroffenheit, Mitleid, Sorge und offensichtlich Angst.

      „Du kannst nicht kräfftern!“, rief Oxba erschüttert.

      9

      Wie aufbauend, es offen gesagt zu bekommen.

      In meinem Land besaßen alle Erwachsenen Zugang zur Kraft - bis auf mich. Die Anwesenheit des freundlichen Loxmen machte mir mehr zu schaffen als alle bisherigen Übergriffe, die ich in den Städten ergriff. Er murmelte vor sich hin, lief als nervöses Bündel auf und ab, umkreiste meine Taschen, sah entgeistert zum Belt hinaus und schüttelte andauernd den Kopf. Er ahnte nicht, dass ich jedes Wort verstand, ohne allerdings deren Sinn oder Zusammenhänge zu verstehen:

      „Der Arme, keine Kraft ... was wird jetzt aus uns allen, wenn er nicht? ... Ich muss sofort los ... die anderen warnen ... keine Hoffnung ... muss ihn allein lassen ... sie ist gefährdet ... jetzt wichtiger.“ Er unterbrach seinen Gang und starrte mich an. Diese Miene kannte ich bestens. Ich gehörte nicht dazu, war nicht einer der ihren.

      Weder gehörte ich zu den seefahrenden Delmen, den transportierenden Loxmen, den wissenden Schlamen noch zu den produzierenden Allmen, den liebenden Pfermen, den grabenden Dacmen, den mächtigen Vomen oder Lumen, die aller Freunde waren.

      Für mich hielt niemand einen Gruppenempfang ab. Niemand schenkte mir eine Waffe. Daher durfte ich nur einen Stock halten. Niemand lehrte mich, die Kraft zu nutzen. Ich hatte keine Prüfung. Niemand wollte mit mir reden, niemand sagte mir, was ich war.

      Mir blieb nur mein Name. Artir. Ein Name, der mit keiner Gruppe in Verbindung zu bringen war.

      10

      Auch auf die Gefahr hin, eine weitere Folter entgegen geschleudert zu bekommen, bestürmte ich Oxba. Ich bat, bettelte und schrie schließlich. Er schüttelte den Kopf mitleidig, wie zu einem kleinen Kind, dem man die Süßigkeiten verwehren muss, damit es gesund blieb. Das Ratsmitglied verließ mich rasch.

      Als Oxba ohne Abschied hinter dem Hügel verschwand, erfüllte mich wieder Wut. Ich war sauer auf mich, dass ich den einzigen freundlichen Menschen mit harten Fragen bedrängt und vertrieben hatte. Warum vergaß ich, mit arglos wirkenden Fragen die Wahrheit aus Oxba heraus zu locken?

      Ich stürzte mich in den Belt. Dem Wasser machte meine Wut nichts aus, dass ich mich dabei halb tot schwamm erst recht nicht. Dem Wasser war alles egal, wie der Luft oder dem Boden. Ich konnte auf die Erde stampfen, die Luft oder das Wasser schlagen. Das Wasser wich zurück, die Luft sowieso und der Fuß schmerzte. Erde blieb Erde. Luft blieb Luft. Wasser blieb Wasser.

      Es dauerte lange, bis ich erschöpft trieb. Die Dämmerung brach über dem Belt ein. Den Untergang der Sonne hatte ich gar nicht mitbekommen, nicht bemerkt, wie weit hinaus ich geschwommen war. Den Strand, überhaupt das Land sah ich nicht. Ich tauchte. Hungrig war ich nicht. Etwas anderes brauchte ich. Nähe. Die ersten Fische schossen vor mir davon. Als sie wahrnahmen, dass ich sie nicht jagte, schwammen sie um mich herum. Mit ihren Flossen kitzelten sie mich an Armen, Beinen, Rücken und Brust.

      Nachdem Oxba wegging, zerrte die Einsamkeit an mir, weil er ein Mensch war, den ich mit meinen Fragen vertrieben hatte. Das Streicheln einer bewusstlosen Navere oder die sanften Flossenschläge kleiner Schuppenstreichler mussten mir genügen. Ich... . Eine Veränderung im Wasser riss mich aus meinem Selbstmitleid. Der Druck nahm zu, als ob die Tiefe nach oben drang. Etwas Riesiges kam zu mir. Die kleinen Wasserwesen spritzten in alle Richtungen davon. Ich beeilte mich, an die Oberfläche zu gelangen. Die Panik siegte und verlangte Luft. Ich verspürte keine Lust, mit den Zähnen eines mächtigen Raubfisches Bekanntschaft zu machen. Ich trat Wasser. Ein schleimiger Tentakel packte mich am Fuß, zitterte und ließ mich sofort los, als hätte er einen Schlag bekommen. Ich hoffte, dass mich dies rettete und stieß weiter nach oben vor. Das schwindende Licht war näher als vorhin. Ein zweiter Schlingarm packte mich, auch er hielt es nicht lange an dem Fuß aus und entließ mich. Ich strampelte weiter, blickte nicht zurück. Mein Angreifer lernte schnell und war mit seinen Armen in der Überzahl. Ein Tentakel zog, ließ los, ein anderer zog, ließ los, dass ich stetig nach unten in die Tiefe gerissen wurde. Ich schlug mit den Armen umher. Ich brauchte Luft. Meine Lungen schienen zu platzen. Viele Arme streiften, umwickelten mich, zitterten, ließen ab, als ob jeder Kontakt mit mir Schmerzen bereitete. Einer glitt an meinem rechten Arm ab und traf mein hartes Armband.

      Kapitel 3

      Ein Knall in meinem Kopf betäubte mich, und eine schmetternde Druckwelle riss mich fort. Tausend Bilder auf einmal schossen durch meinen Kopf. Ich wirbelte umher und trieb bewegungslos in die Tiefe. Die Zeit schien still zu stehen. Ich öffnete die Augen und sah das größte Wasserwesen. Unzählige Tentakel wuchsen aus dem Körper, der ebenfalls wie tot sich entfernte. Die Fangarme schlafften nach unten ab.

      Gelähmt war ich eine leichte Beute der blutrünstigen Schnapper.

      Ein durchsichtiger Stein erschien mir plötzlich, darin waren zwei meergrüne Augen. Ein Befehl klang in meinen Ohren.

      „Lebe!“

      Ein Finger, zwei Finger. Schmerz. Der starre Wasserriese driftete fort. Drei Finger. Ein Fuß. Ein Bein. Ich schüttelte mich, wollte die Lähmung loswerden, bevor der Riese erwachte und mich tötete. Ich bewegte die Füße wie Paddel und näherte mich dem Licht. Ohne den rechten Arm, der total ausfiel, stieß ich nach oben mit allem, was ich bewegen konnte, und schwamm um mein Leben. Die Reste des Tages sah ich verschwinden. Dann packte mich der dickste Tentakel dieser Kreatur. Das war das Ende.

      Der Wasserdruck nahm stetig zu. Bald platzte ich, wenn ich tiefer kam. Vier Augen, dick wie Naveren-Schädel, gierten mich an. Eine Flut Bilder stürmte wieder auf mich ein, alle unbekannt, alle neu – und doch alt.

      Das Wesen ließ mich nicht los.

      2

      Es durchleuchtete, prüfte mich. Als ein Bild länger verharrte, schmerzte mein rechter Arm wie nie zuvor. DAL! Wie eine Klaue quetschte mein bisher regungsloses Armband mein Handgelenk. Mir schien, weit vom Knochen war er nicht entfernt. Ich achtete nicht darauf. Der Tentakelfisch drang in meinen Kopf. Ich plante nicht, das zu erwidern. Es geschah einfach und ohne Absicht. Zerborstene Schiffe. Gigantische Wale. Blaue Menschen in Stücke zerrissen. Das Monster wehrte sich, dass ich seine Bilder sah, besonders eins.