Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit


Скачать книгу

flüsterte meinen Namen. Ich trug weiße dicke Haare, war der Größte. Im Gegensatz zu anderen war ich schlank, aber nicht so muskulös wie die Loxmen. Meine Augen blieben tiefblau. Ich betrat keine Nische. Dazu kam es gar nicht erst. Ich schüttelte mich und stopfte die schlimmste Erinnerung in das dafür vorgesehene Loch.

      2

      Die Verwandlung musste mit allen möglichen Entscheidungen zu tun haben, die man in den Gruppen traf. Sie war eine magische Prozedur, die niemandem erklärt wurde. Sie geschah einfach. Ich hatte nur meinen Verstand für Erklärungen. Wenn der erste Satz beim Betreten des Hortes allen galt, dann hatte die Verwandlung mit DAL, dem eigenen Willen und Entscheidungen für und gegen eine Gruppe zu tun. Irgendwas machte dieses Armband mit der Decke. Bei den Gruppen geschah etwas mit dem Sucher und am Schluss gehörte man zu einer Gruppe, die sich nicht nur in Gestalt und Kleiderfarbe sondern auch im Verhalten und im Häuserbau von anderen unterschied.

      Das einzige neue war der DAL, den man vor dem Hort bekam. Ich hatte keine Erinnerung an eine Zeit vor dem Umlegen des Wurms. Wenn Vomia sich für Schlamen entschieden hatte, warum verwandelte sie sich in eine Vome? Stimmte etwas mit ihrem DAL nicht, oder hatte man etwas mit ihr gemacht, dass sie trotz der Schlame in ihr anders wurde?

      Dass die Frau nicht Schlame sondern Vome war, machte mich wütend. War sie überhaupt freiwillig so geworden? Nein. Ich wusste das einfach. Meine Wut steigerte sich.

      Hatte jemand ihre Verwandlung manipuliert?

      Hatte jemand meine manipuliert?

      Warum veränderte ich mich innerhalb eines Augenblicks, und alle anderen innerhalb einer Stunde?

      Weil ich keine Antworten fand, baute sich mehr Wut in mir auf, also lief ich, weil Wasser zum Schwimmen nicht verfügbar war. Die Beine weigerten sich, aber ich zwang sie, den Schmerz schluckte ich. Ich lief über das flache Gras nach Westen. Der Belt lag viele Kilometer entfernt im Norden. Soviel Entfernung versuchte ich immer zwischen mir und einer Straße zu bringen, weil die Straße hier leider direkt am Belt entlang führte.

      Nach Westen breitete sich eine saftig grüne Landschaft aus. Dickblättrige Büsche, fette lange Baumblätter an Laubbäumen bildeten undurchdringliche Inseln, die ich umgehen musste. Links im Süden sah ich weit, weit entfernt kleine weiße Spitzen. Vielleicht war das auch eine Täuschung, weil ich den Anblick erhoffte.

      Alleinstehende gewöhnliche Nadelbäume mit ihrem Vierstammverbund wuchsen bis hundert Meter hoch. Ab und zu sah ich einige Laubbäume die bis achtzig Meter hoch ragten. Zu ihren Wurzeln gediehen Büsche. Darin versteckten sich bevorzugt Kleptrons, meine Leibspeise. Diese flugunfähigen Vögel rannten mit vier Füßen Naveren oder anderen Bodenräubern davon. Nur einer war schneller und ausdauernder. Sie wurden so breit wie meine Brust, und das zarte Fleisch ernährte mich für einige Zeit. Fettes Gras, sogenanntes Dickgras, bedeckte die Landschaft wie eine Stoffbahn. Die Lieblingsspeise der sechsbeinigen Rennwunder, die Tjellas. Diesen Namen erfuhr ich in Padent, als ich zwei Pfermen belauschte. Zumindest endete das Zusammentreffen nicht so blutig wie in Tawa.

      Tjellas standen auf sechs Beinen; zwei sehnigen Vorderbeinen und vier grazilen Hinterbeinen, die neben dem Galopp mit Vorder- und Hinterhufen zusätzlich die mehr nach hinten gewachsenen Mittelhufen einschalten konnten. Dichte wallende Mähnen bedeckten kräftige Hälse und längliche Köpfe. Mehrmals versuchte ich sie zu überlisten, um mich auf ihre Rücken zu setzen. Sie waren zu schnell, zu wild und ich konnte nicht kräfftern. Das musste man wohl können, weil ich viele Farben auf Tjellas die Straßen entlang reiten sah. Ich stellte mir vor mit diesem Reittier über das vor mir liegende Gras zu rennen.

      Vor mir und nach Süden zu zog sich der fette Grünbelag bis an den Horizont. Zugleich hörte ich weiter als bei hohem Gras. Nach meiner Verwandlung konnte ich besser hören und sehr weit sehen. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich auf hundert Meter ein Haar erkennen. Ich hörte die bekannten Stimmen der Wildnis, wuselnde Nestres, grunzende Enste, die hier in Herden umher liefen und fauchende Naverenbabys, die ihre Mütter und Väter aufforderten, mehr Essen zu jagen. Sturzkrallen mit ihren zwei Federflügeln flogen von Baumkrone zu Baumkrone. Die Ledergreife mit vier langen Lederflügeln segelten lange. Meist suchten sie ihre Beute in der Luft, flogen oft über Küstenstriche, um auf Fische auszuweichen oder auf mich.

      Am liebsten hörte ich Krallen, die sich in den Boden gruben. Das war ein ganz bestimmter Laut, ein sanftes Knirschen, wenn sie zum Sprung abhoben. Wenn sie liefen, blieben sie fast lautlos, weil ihre samtenen Pfoten jeden Laut dämmten.

      3

      Schweiß floss mir über die Stirn. Meine Wut darüber, was mit Vomia geschehen war, blieb, obwohl ich keine Pause einlegte, womöglich noch schneller lief. Ich spurtete einen Hügel hinauf und entschied, dort anzuhalten.

      Weit auf viele Kilometer hinab konnte ich auf flaches Land blicken. Am Horizont sah ich einen blauen Streifen.

      Der Belt.

      Zwischen dem Wasser und mir verlief die Straße schräg vom Belt hinein ins Landesinnere. Wenn Sucher mit ihren Begleitungen unterwegs waren oder Loxmen ihre Waren transportierten, hörte ich von weitem deren Gesänge und Stimmen. Oft schienen die Straßen im Gegensatz zum Land voll. Ich mied sie normalerweise.

      Nach vorn im Norden lag der tiefblaue Belt, der in dieser Gegend fast glatt war. Hinter mir spitzten weiße Berge den südlichen Horizont. Das Ende meiner Welt. Bis dahin marschierte ich viele Wochen. Dort lag mein Ziel. Im Südgebirge entschied sich mein Schicksal. Dies hatte ich mir im ewigen Eis geschworen, sollte ich in den Städten keine Aufnahme finden.

      Schräg links lag eine Stadt. Dies musste Gurwass sein. Der Ort schmiegte sich wie eine Sichel an eine natürliche Bucht am Belt.

      Das umgebende Land flachte ab, glich sich dem Belt an.

      Ich kam dem Belt näher, freute mich auf ein Bad, als ich ein nur zu bekanntes Geräusch hörte. Ich war nachlässig in meiner Konzentration gewesen. Ein Fehler, der tödlich enden konnte. Meine zwei Taschen fielen zu Boden. Vier Beine stemmten sich in den Boden. Krallen rissen Furchen in die Erde, um einen sehnigen hungrigen Körper mit scharfen Zähnen in die Luft zu schießen, und - um mich zu fressen.

      4

      Die sechsbeinige Steppennavere, die auf mich zusprang, war etwas größer als ich und fixierte mich mit roten Augen. Auf ihre natürliche Beute wirkte das Rot lähmend, auf mich stets traurig. Mein eigener wilder Flug kam für die Jägerin unerwartet. Naveren vertrauten auf ihre Wucht und die Angst der Beute. Diese Erfahrung zahlte ich in den Jahren mit einigem Blut. Mit beiden Händen griff ich den Stock an den Enden. Im Flug rammte ich das Holz in das offene Maul, damit es nicht zuschnappen konnte. Ich schlug im Fallen auf die vier Ohren. Die Treffer machten sie benommen. Allerdings streifte eine ihrer Pranken meine linke Seite. Während wir fielen, griff ich einen Vorderfuß und zog meine Knie an. Ich landete auf ihr und einer ihrer Knochen brach. Sie jaulte aus ihrer Ohnmacht auf.

      Das schlaffe Krallennest mit dem Samtüberzug drückte ich in das aufgerissene Maul, und riss den Stock heraus. Keine Sekunde zu spät. Das Weibchen, ein Prachtexemplar, schnappte automatisch nach mir und biss sich selbst. Mein Stock schlug auf ihre Ohren und sie lag bewusstlos da.

      Die Wunden brannten bereits, und das Gift der Krallen arbeitete. Ich riss das Maul auf und sammelte den Speichel mit einer Hand. Jetzt musste ich zügig arbeiten. Ich klatschte den übelriechenden Schleim auf die fünf Furchen. Nachdem ich mich bespuckt hatte, nahm ich alle leeren Kolben aus den Taschen und füllte sie mit frischem Schleim.

      Als ihre Zunge sich bewegte, haute ich ihr wieder auf die Ohren und schickte sie ins Reich der unbegrenzten Jagdgründe. Ich eilte zu einem Busch und brach einen Ast ab. Als ich mich vor die samtene Jägerin kniete, hatte ich das Holz bereits in zwei Teile zerbrochen. Der eine Scheit weitete die Zahnreihen, die das Tier nun nicht mehr schließen konnte. Den anderen Stecken legte ich neben das gebrochene Bein. Die Hinterbeine fesselte ich. Die schlaffe Fellmasse blieb nun ungefährlich. Ich richtete den