Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit


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sich lösen, wenn die beginnende Schwellung abklang und die Knochen heilten.

      Ich streichelte das Fell, spürte das Pochen des Herzens. Seit Jahren beobachtete ich Naverensippen in der Steppe und in den Bergen. Sie zeigten mir, wie liebevoll Männchen und Weibchen miteinander und mit eigenem und fremdem Nachwuchs umgingen. Eine Navere machte keinen Unterschied. Sie säugte und wärmte alle Nachkommen.

      „Du wirst genesen, weiterhin beschützen und ernähren!“, sprach ich zur Bewusstlosen. „Ich ehre dich für Mut und Loyalität, damit deine Sippe überlebt.“

      Ich liebte diese unbändigen Jäger, obwohl sie mich immer angriffen. Im ersten Jahr meiner Wanderung erlegte ich einige in Notwehr. Jetzt brachte ich das nicht mehr fertig, Leben zu löschen, weil sein Garma festlegte, mich zu verspeisen. Geschiente Jäger durchstreiften die Gegenden, die ich hinter mir ließ.

      Ich setzte mich neben Schönfell. Jetzt kam die schwierige, gemeine aber notwendige Phase. Ich knotete ein dünnes Seil um das verletzte Bein, nahm das Scheit aus dem Maul und entfesselte die Läufe. Ich zog die Schnur straff.

      Das ungezähmte Feuer grunzte und erwachte. Ihr Garma ließ sie nach mir schnappen. Ein kleiner Ruck an der Schnur brach den Angriff sofort ab, und sie jaulte auf. Die sehnige Jägerin ertrug keine Schmerzen.

      5

      Sie war unbeugsam. Das mochte, liebte ich. Es tat mir weh, sie gefangen zu sehen. Hart musste ich bleiben, unbarmherzig, um uns beide zu schützen - sie vor dem Tod und mich vor dem Auseinanderbrechen meines Selbst, wenn ich sie jetzt, wehrlos, hätte töten müssen.

      Der Tag vergaß zu rennen und schlurfte. Die Navere zitterte vor Anstrengung, vor Schmerzen. Ihre roten Augen glitten nicht mehr an mir vorbei. Sie sah nur mich. Darauf hatte ich gewartet. Sie roch ihren Speichel an mir und schob sich vor. Im Gegensatz zu kleineren Proteinsüchtigen kannten meine Lieblinge keinen Trug, keine List, keinen Verrat. Sie sprangen ihre Beute von vorne an. Ich streckte meine Hand aus, ihre Zunge leckte daran. Ich kraulte ihren Nacken, Fell drückte gegen Haut. Ein Schnurren floss aus zwei Reihen scharfer Zähne. Sie reckte sich, drehte sich auf den Rücken. In diesen Momenten fühlte ich mich gebraucht und verachtete mich dafür, weil ich sie zuvor gebrochen hatte.

      Sie humpelte auf dem Vorder- und vier Hinterbeinen davon und zog das lose Seil mit sich. Die ersten Gebrochenen verfolgte ich bis zu ihrer Sippe, um zu erfahren, wie Naveren mit Verletzten umgingen. Ich hätte alle Angriffe tödlich abgewehrt, wenn keine Chance bestanden hätte. Jetzt wollte ich ihr Männchen sein, ihr hinterher, sie ablecken, für sie jagen. Ich schluckte meine Sehnsucht herunter und schlurfte die restlichen Kilometer zum Strand. Schnell überquerte ich die Straße. Der Boden war ein mir unbekanntes Gestein, weil es nicht hart sondern elastisch war, je mehr man darauf stampfte.

      Die Wellen lächelten mich an. Ich sehnte mich nach dem Bad. Ob andere Menschen ähnlich fühlten, wusste ich nicht. Der strenge Geruch in den Städten gab mir zumindest einen Hinweis.

      Ein Schiff mit blauem bauchigem hohem Rumpf trieb auf die Bucht zu. Delmen. Nur sie befuhren die See.

      Die Stadt Gurwass in der beginnenden Nacht zu betreten erschien mir diesmal sicherer, um mich vorher zu orientieren, um genug Fluchtrouten zu kennen.

      Trotz der feuchten Nähe trocknete die Sonne diesen Streifen aus. Durch steten Wind gebogene Büsche, kurze dickstengelige sowie lange dünnstengelige Gräser und blühende Kräuter bedeckten diesen dünnen Streifen zwischen Straße und Belt.

      Die Hafenstadt umschloss ein mehrere Kilometer dickes Band aus gezüchteten Bäumen und Sträuchern. Der Gürtel ernährte die Stadt und schirmte sie gleichzeitig wie eine Mauer vor dem wildwachsenden Land ab.

      Sobald ich mich konzentrierte, hörte ich zahlreiche Pflanzenfresser, die sich durch das Gras bewegten. Ein paar kleinere Jäger, die mir nicht gefährlich werden konnten, lauerten ihnen auf. Das gehörte zum Spiel außerhalb der Stadt.

      In der ersten Zeit in der Wildnis biss mich der Hunger, da ich damals regelmäßiges Essen gewohnt war, das mich fett und träge gemacht hatte. Jetzt jagte ich, wenn ich musste.

      „Die Naveren sollen ihn zerreißen!“

      Vomen töteten ernstzunehmende Gegner, keinen Unwichtigen, Ausgestoßenen wie mich. In den Städten trampelte man auf mir herum ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Vieles ertrug ich, schluckte Schmähungen und ließ mich durch Klingen ritzen, oder Hämmer brachen meine Knochen. Ich konnte nicht gegenhalten. Niemand trat für mich ein. Ein Grund mehr, diesmal bei Dunkelheit die Stadt zu betreten. Um den Abend zu erwarten, suchte ich einen sicheren Platz am Belt. Zumindest lief ich zu dieser Zeit nicht Gefahr, sofort als Fremder erkannt zu werden. Zuerst musste ich meine Wunden versorgen.

      Wasser heilte und belebte mich, machte meine Haut sauber. Die Kratzer und das Gift mit der Spucke neutralisieren und alles ausspülen. Nach dem ersten Naveren Angriff wusste ich dies einfach, als ob ich dieses Wissen in mir trug und bezwang das Gift.

      Bauch und Herz zogen mich zum Nass. Ich hatte dies vor langer Zeit akzeptiert. Unerlaubt schlich ich aus dem Sucherhort in Plawass, um das Bad im Meer zu nehmen. Den Gestank der anderen ertrug ich nicht. Ab und zu erwischten sie mich oder verpetzten mich. Ich tat es wieder und wieder. Wie hätten die Weisen im Sucherhort einschreiten können? Meine Eltern benachrichtigen? Welche?

      6

      Mich ärgerte plötzlich, dass ich nicht zu den Seefahrern gehörte, als ich das Schiff mit den weißen Segeln sah. Eine seltene Farbe. Die Delmen überquerten den Belt und befuhren das Meer. Sie verbanden die Hafenstädte und waren für mich die geheimnisvollste Menschengruppe. Sie nannten sich die Herren der See. Ich mied sie nach meiner Verwandlung. Die Gründe dafür konnte ich nicht in Worte fassen. Die Blauen erinnerten mich daran, dass sie täglich Wasser um sich herum hatten, dass ich niemanden um mich hatte.

      Ich legte meine Kleider ab und stürzte mich in die wellige See.

      Sofort spürte ich die Veränderung. Das Wasser um mich herum glättete sich wie üblich. Die Wellen rollten wie an einer unsichtbaren Wand an mir vorbei. Seit Jahren hoffte ich mit Wasser spielen, es verändern zu können. Die Macht der anderen, die Kraft zu nutzen, war mir nicht gegeben.

      Bald schaukelte ich wieder mit den Wellen. Ich tauchte. Obwohl die Wasserwelt anders schien, ähnelte sie für mich der an Land. Ich hätte stundenlang hier bleiben können, als in der Wildnis geschärfte Sinne Alarm schlugen. Ich war nicht mehr allein und tauchte auf. Neben meinen Sachen stand ein kleiner Mann. Nie zuvor begegnete ich einem Menschen in der Wildnis.

      Ich stieg langsam aus dem Wasser, beobachtete die Umgebung, den Strand und sah seine und meine Fußspuren. Mein vorheriges Hochgefühl unter Wasser rannte davon wie ein Kleptron vor einer Navere.

      Der Mann trug gelbgrüne Kleidung und zeigte damit seine Zugehörigkeit zu einer Menschengruppe. Loxmen. Alles an ihm schrie mich stumm an: Sieh her, ich gehöre dazu.

      Nie suchte mich ein Loxmen oder ein anderer Mensch. Sofort fielen mir genug Gründe ein, warum er seinen Spaß mit mir - ich war für ihn ein Spielball - haben wollte.

      Loxmen transportierten alle Waren auf den Straßen Balidans. Dieser trug kein Gepäck. Von der Straße einfach abgekommen schien er nicht. Ich stellte mir Wege vor, eine verrückter als die andere, wie der Loxmen sicher mit Hilfe der Kraft an den Strand gelangte. Aussichten, die ich nie haben, nie kennenlernen würde.

      7

      Bald verschwand die Sonne im Westen, und ich wollte ihm keinen Grund zum Kampf geben. Diese Gruppe ließ mich bisher in Ruhe.

      Ich duckte mich, machte mich mit jedem Schritt kleiner, als ich herannahte. Ich legte eine Hand an das Ohr - die Geste für zuhören -, obwohl er mit dem Gruß beginnen müsste.

      Der gelbgrüne Mann reichte mir an die gebeugte Brust. Seine Schultern boten doppelten Platz für meine. Ein Oberschenkel besaß den Umfang meiner Hüfte. Die