Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit


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      Bestimmt gab es genug Menschen, die sich den beiden entgegenstellten und die Absichten der beiden durchkreuzten. Schließlich konnten alle kräfftern, wie die Gruppen das Zaubern nannten und der Alte eindrucksvoll zeigte.

      Hätte ich auch gern gekonnt.

      Tag auf Tag verging. Die Wunden heilten zunehmend. Ich begann wieder zu jagen oder aß zur Not Früchte, wenn kein Tier sich fangen ließ. Noch fühlte ich mich zu nah an der Stadt und damit der möglichen Entdeckung durch Lorov unsicher. Er ritt ein Wesen, das flog. Machte Lorov sich und sein Tier unsichtbar? Die Frage war wie jene wichtig, warum ich keinen Windhauch in Tawa spürte, wenn ein flügelschlagender Vogel über mir schwebte. Es gab ein Wesen, es Vogel zu nennen wäre falsch, das einen Menschen tragen konnte. Aber das, nein, das war unmöglich. Ich wischte den Gedanken fort.

      Nach Wochen der Genesung lief ich gen Westen. Diesmal wich ich allen Gefahren aus statt sie zu suchen. Die Narben durften nicht aufplatzen. Mich beschäftigte ein Problem, das ich lösen wollte und keine Lösung fand.

      Die schwarz tragende Frau vergaß ich nicht.

      Ich grüßte sie als Schlame und wurde von hinten gestoßen.

      Jemand fand es nicht gut, dass ich die Frau auf diese Weise grüßte. Als ob dieser jemand darin eine Gefahr sah, als ob es um die Aufdeckung eines Geheimnisses ging, als ob jemand verhindern wollte, dass ich mehr heraus fand. Danach folgte alles dem Schema der letzten Jahre.

      Was war an der Frau, das ich nicht verstand und herausfinden wollte? Irgendetwas hämmerte gegen meinen Kopf, als ob ich es wissen müsste. Die Angelegenheit ließ mich nicht los. Warum beschäftigte mich das? Tawa wollte mich töten. An ein Zurück war auf keinen Fall zu denken. Ich hatte mich entschieden ins Südgebirge zu gehen, wenn die Menschen in den Städten mich nicht haben wollten. Diese Entscheidung stand über allem.

      Was aber faszinierte mich an der Frau? Obwohl sie als Vome verwandelt wurde, war dies eine Lüge, weil in ihr die Schlame lebte. Das widersprach den Grundsätzen, die mir gelehrt wurden.

      Ich war kein Fachmann für Zauber, Verwandlungen und Horte, gerade ich nicht. Ich versuchte mich an alles zu erinnern, was ich für die Lösung meiner Frage benötigte.

      Die Verwandlung war heilig, unumkehrbar. Dafür ging man auf die Suche, die im Hort begann.

      Meine erste Erinnerung war der Anblick der vier Männer, ihre Gesichter abgewandt, die mich an Beinen und Armen festhielten. Das erste Gefühl war Schmerz, der meinen Arm hinaufkroch, meinen Körper und Kopf erreichte, bis ich mich vor Schmerzen krümmen wollte. Ein muskulöser starker Loxmen presste ein Armband auf mein rechtes Handgelenk, das hart wie Eisen und genauso schwer wurde. Dann ließ auch er mich los. Die Schmerzen machten mich starr. Eine Menschenmenge aus vielen Farben sah mich an.

      „Wer hat ihn gebracht?“, rief der kleine Loxmen. Niemand meldete sich.

      „Wo sind die Eltern?“, rief die Menge. Niemand meldete sich.

      Zwei Männer packten mich grob, schwarze Männer und schoben mich vor eine achteckige Öffnung.

      „Sei gegrüßt, Sucher, wer sind die Eltern?“, fragte ein Stimmenchor aus der Öffnung.

      „Niemand ist da.“

      „Das gab es noch nie“, riefen die Stimmen. „Jedes Kind hat Eltern. Wo sind sie?“

      Niemand meldete sich.

      Ich hatte keine Eltern, was immer das sein sollte. Es gab keine Bilder, keine Personen vorher. Jemand legte mir ein Armband an und ich wusste nichts mehr. Später erfuhr ich, dass das allen so ging. Kein Sucher wusste, wer seine Eltern waren, und woher er kam. Aber den Stimmen schien das nicht egal zu sein.

      Sie stritten miteinander, schließlich riefen sie:

      „Sucher, tritt ein! Wir nennen dich Sohn Balidans. Alle deine Entscheidungen, die du hier triffst, werden dich zu deiner Gruppe führen. Sie wird dich aufnehmen, einkleiden, bewaffnen. Geh jetzt in die Halle zu den anderen.“

      Ich war der einzige, der keinen Namen trug. Die Stimmen, wir sahen niemals jemanden, nannten die Armbänder DAL.

      Ich versuchte meinen nicht zu beachten. Er jagte mir nur Schmerzen in den Arm oder nachts durch den ganzen Körper. Er mochte mich nicht, glaubte ich. Ich sah, wie andere ihre streichelten. Das machte ich auch. Er wurde nur härter, wenn das möglich war. Ab da versuchte ich ihn zu ignorieren. Abziehen oder abtrennen konnte ich ihn nicht. Irgendwie war er mit mir verwachsen, nicht körperlich sondern geistig. Antworten auf meine Fragen bekam ich nicht. Wenn es um Wissen statt um Entscheidungen ging, antwortete mir niemand. Dafür wären die Gruppen da, war die noch freundlichste Antwort. Und nach der Herkunft der Armbänder zu fragen, war vergebens.

      Als ich damals die riesige Halle betrat, blieb ich staunend stehen. In der buntesten Decke, die ich so niemals wieder sah, zogen alle möglichen Farben in Schlieren, Tropfen oder Kreisen umher, vermischten sich zu neuen Farben, trennten sich wieder, bildeten neue Formen, die wieder in einem steten Wechsel sich änderten oder ineinander liefen. Kleine Fäden wanderten über die Decke. Sie zu zählen war unmöglich; manchmal sah man so viele, weil sie die Farben verdunkelten, dann schienen sie durchsichtig zu sein. Während alle anderen nach oben sahen, blickte ich umher. Die farbenfrohe Decke verlief ringsum in nach unten reichende einfarbige Zungen, die breite Steinsäulen leckten. Die Decke erhellte den Saal, während die Säulen im Dunkeln lagen. Zwischen den Säulen gab es Räume unterschiedlicher Größe. Bevor ich sie weiter betrachten konnte, ließen mich Schmerzen im Arm wieder zusammen zucken.

      Wir sollten unsere Arme in die Höhe recken.

      Es war das erste Mal, dass sich mein Armband regte, nun ja regte war vielleicht zu viel gesagt. Die Decke sank herab, so schien es mir. Die Schlieren zogen dicht über unseren Köpfen ihre Bahnen und berührten die Armbänder. Während die anderen Armbänder in abwechselnden Farben aufleuchteten, machte meins nichts, sondern jagte mir Schmerzen durch den Arm.

      „Zeit ist unbedeutend, wenn Entscheidung alles ist“, dröhnten die Stimmen der Weisen.

      Daran erinnerte ich mich. Dann verschwamm die Zeit im Hort. Alle Sucher lebten in den Gruppen. Eine Tortur für mich, weil ich fast nur verletzt und mit Schmerzen zurück kam. Zu allem Überfluss war ich derjenige, der immer am längsten in den Gruppen blieb. Die Hortzeit wollte ich nur vergessen.

      Die Verwandlung.

      Ein Mädchen begann. Wir mussten uns ganz am Rand unter der Decke auf den Boden setzen. Das Mädchen stand in der Mitte und hob ihren linken Arm; Mädchen trugen ihren DAL oft am linken Handgelenk. Wieder sank der lebendige wirbelnde Farbennebel herab. Diesmal erreichte er den Boden und das Mädchen stand in den zahllosen Farben. Nichts geschah. Oft hörte ich ihr Keuchen. Sie schien Schmerzen zu haben. Nach einer guten Stunde hob sich der bunte Schleier, und eine kräftige Frau mit dunkler Haut, blauen Augen und blonden krausem Haar stand vor uns.

      „Ich bin Alina“, rief sie.

      Sie ging auf eine Nische zwischen zwei Säulen zu, über denen die Zungen in grasgrün leuchteten. Der Raum selbst blieb zuerst für uns alle offen. Erst als sie eintrat, schloss sich hinter ihr eine wirbelnde, grasgrüne Wand. Fortan schlief sie nicht mehr in unseren Räumen der Sucher.

      In den nächsten Wochen folgten die anderen ziemlich schnell. Die Nischen füllten sich mit grasgrünen Allmen, wie sie sich nannten, roten Schlamen, gelborangen Pfermen, braunen Dacmen, schwarzen Vomen, blauen Delmen, gelbgrünen Loxmen und violetten Lumen. Die Kleider lagen bereits in den Nischen. Viele andere Nischen blieben leer. Ich war der letzte, weil ich wieder mal sehr lange in einer Gruppe blieb.

      Die Weisen sagten, jetzt müsse es mit mir was werden.

      Ich antwortete:

      „Zeit ist unbedeutend, wenn Entscheidung alles ist. Mit diesen Worten habt ihr mich empfangen, verehrte Weisen. War das gelogen und geheuchelt?“

      Aus den Nischen schrien die Gruppen auf und die Weisen donnerten los, was mir einfiele. Mir stünde als Sucher keine Kritik zu.

      Ich