Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit


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Blick auf meinen frischen Kratzern. Ich war viel zu aufgeregt, um den Blick lesen zu können. Er betrachtete abfällig, aber interessiert meine wenigen Sachen, die zwischen uns lagen.

      „Ich bin Oxba, Ratsmitglied der Loxmen. Dein Name ist Artir.“

      Keine Frage, kein Gruß. Sein Säbel hing an seiner Hüfte herunter. Wenn sie Erzeugnisse transportierten, baumelte der Säbel in einer Vorrichtung auf dem Rücken. Vor seiner Brust kreuzten sich zwei Gürtel. In ihnen steckten zahlreiche kleine Wurfmesser. Seine kurze Hose überlegte sich, seine dicken Knie zu bedecken. Ein nahtloses Hemd floss über seinen muskelbepackten Oberkörper. Naverenangriffe kümmerten ihn nicht. Der Gedanke machte mich zu wütend und meine mühsam aufrechterhaltene Zurückhaltung floss in den Belt. Er blieb stumm, und doch wusste ich, dass er reden wollte. Ich konnte keine klaren Gedanken fassen und beobachtete ihn nicht genau. Später war man immer schlauer. Ich wollte frech sein, eine Art die Wut zu zügeln.

      „Ich grüße Sie, Ratsmitglied Oxba.“

      Ich genoss, sein Gesicht entgleiten zu sehen, das offen Bestürzung und Scham zeigte. Ein kleiner Triumph in einem ungleichen Spiel. Meine Chancen gegen ein Ratsmitglied waren dieselben wie die einer sich windenden, auf der Kralle einer Navere aufgespießten Messi. Ich bereute sofort meinen Vorstoß, als ich wieder klar denken konnte.

      „Verzeiht, dass ich zuerst grüßte.“ Es kostete mich keine Anstrengung, den Kopf zu senken. Im Lauf der Jahre lernte ich Demut.

      „Ich bitte dich um Verzeihung, dass ich vor lauter Aufregung unhöflich war“, überraschte mich der Loxmen und brachte mich wieder durcheinander. Jetzt erst bemerkte ich die Füße, die abwechselnd wippten, sah die Augen, die unruhig in Bewegung blieben, staunte über die Hände, die Luft kneteten. Seine Gesten und seine Haltung wiederholten zwei Sätze.

      Tu mir nichts! Ich will hier weg!

      Meine Verblüffung presste ich in meine Kehle zurück, auf dass kein Laut entwich. Mein Gesicht blieb steinern.

      „Ich grüße dich, Artir. Ich kann weder behaupten, dass ich dich jahrelang suche, noch dass ich dich erst jetzt zu sprechen wünsche.“

      Meine Lippen krampften. War das die allgemein übliche Sprechweise der Ratsmitglieder? Sich widersprechende Aussagen machen?

      Das war der sonderbarste Satz, den ich je gehört hatte. Allerdings waren meine Erfahrungen mit zu mir sprechenden Menschen bestenfalls karg zu nennen. Ich hütete mich, etwas zu sagen, und glättete meine Wangen und Stirn. Er schien selbst zu merken, dass niemand diesen Satz verstehen konnte.

      Seine Hände wirbelten in der Luft, der Kopf neigte sich leicht, Verständnis erheischend. Seine Augen schweiften überallhin. Er suchte nach besseren Worten. Ich spürte, dass er sich zwang, genau zu sein, damit ich ihn verstand. Seine Schultern sanken herab. Er gab auf, seinen Satz verständlich zu machen.

      „Ich grüße dich, Artir. Ich kann weder behaupten, dass ich dich jahrelang suche, noch dass ich dich erst jetzt zu sprechen wünsche.“

      Er wollte längst gerne mit mir reden, hatte aber nie Zeit, mich zu finden. Bis jetzt. Das war die Wahrheit in seinem Satz. Oxba wollte unbedingt ehrlich zu mir sein. Die offen stehende Frage, ach was, tausende Fragen versuchte ich mühsam aus meinem Gesicht zu kratzen. Aber es kam verrückter.

      „Ich bin nicht als Ratsmitglied der Loxmen hier. Das ist wichtig. Nur Oxba, der Loxmen, ist zu dir gekommen. Ich erweise einer jungen Frau einen Gefallen. Ihr Name ist Caraschla. Sie bat mich, dir diesen Stein zu übergeben.“

      Er hielt mit Daumen und Zeigefinger einen halb in Leder gewickelten durchsichtigen Stein. Ein Saramanth. Vorsichtig stopfte der Loxmen ihn zurück in den Lederbeutel. Dann lag der Beutel neben meinen Sachen.

      Meine Gesichtsbeherrschung konnte ich nur mühsam halten. Ich starrte abwechselnd Oxba und das Leder an. Satz für Satz sank in den Brei, den ich zuvor Verstand nannte.

      Er kam nicht als Ratsmitglied? Warum erwähnte er das? Ich fand keine Erklärung. Ihn fragen? Nie beantwortete je ein Mensch meine Fragen. Dieser hier bildete keine Ausnahme. Das wusste ich sofort. Woher? Das wusste ich nicht.

      Ratsmitglieder sprachen für ihre Menschengruppen und nicht für mich. Ich hatte einige am letzten Tag im Sucherhort gesehen. Ich wollte mich nicht an diesen Tag erinnern und schob die aufkommenden Bilder fort.

      8

      „Wer ist Caraschla? Warum schickt sie mir diesen Stein?“, fragte ich mit zitternder Stimme. Der Gedanke an eine Frau machte den Kopf vollends leer.

      Dass sie eine Schlame war, ergab sich aus dem Namen mit Zischlaut. Nie zuvor nach meiner Verwandlung hatte jemand zu erkennen gegeben, dass man an mich dachte. Jetzt wollte ich sie kennenlernen, sie sehen. Ein gewöhnlicher Saramanth, ein Stein, der überall herumlag, aber für mich der wunderbarste Stein war, den es gab, ja, den ich je gesehen hatte. Mir schien, das Wasser war blauer, das Gras saftiger und Oxba gelbgrüner als zuvor.

      „Caraschla ist vor zwei Jahren verwandelt worden. Sie ist die jüngste Schlame.“ Oxba sah mich direkt an. „Über die Gründe, warum sie dir einen nutzlosen Stein schickt, verlor sie kein Wort. Ich soll dir wörtlich ausrichten: ,Stelle mir die Frage, die Balidan verändern wird!`“.

      Meine Reaktion erwartete er. Ich musste jetzt dumm daher glotzen. Oxba schien fast zu lächeln und hob die Schulter. Dadurch wurde er mir fast sympathisch. Er verstand den Satz genauso wenig wie ich.

      „Schlame!“, sagte er nur. „Wir wollen nicht mit ihnen und können nicht ohne sie.“

      Er sagte es nur daher, allerdings ohne zu begreifen, was ich verstand, ohne viel Zeit mit ihnen zu verleben. Alle Menschengruppen standen in Abhängigkeit und in einem Gleichgewicht zueinander. Aber derzeit verschob sich einiges. Manche Gruppen schwächelten, andere strebten nach vorne. Die bisherige Balance schien zu zerfallen.

      Das ging mich nichts an. Bald erreichte ich das Ende meiner Welt und musste entscheiden. Ein Stein und eine Frage bedeuteten nicht, dass jemand mich brauchte.

      Oxba drehte sich um und ging, ohne sich zu verabschieden. Andere hätten sich aufgeregt. Ich freute mich nur, dass ich ein Treffen mit einem Menschen glimpflich, ja unverletzt überstand. Nach dem dritten Schritt drehte er leider ruckartig den Kopf zu mir, hielt an und fixierte mich.

      Ich hatte mich zu früh gefreut. Alles an ihm gefiel mir nicht mehr: die Augen, das Gesicht, die Körperhaltung. Ich war ihm hilflos ausgeliefert und würde alles, wie immer, ertragen müssen.

      „Erinnerst du dich an mich?“, fragte er. Seine Stimme ließ mich die Gefahr spüren.

      Da kam wieder die Unsicherheit hoch, das Schamgefühl, das Wissen, keiner von ihnen zu sein.

      Verschüttete Bilder, die ich mühsam vergraben hatte, schossen aus den Tiefen meiner Erinnerung. Ja, Oxba, wollte ich schreien und unterdrückte den Laut. Da jagte ein altbekannter Schmerz meinen rechten Arm hinauf bis an den Hals. Ich biss die Zähne zusammen. Vor Menschen, egal vor wem, zeigte ich niemals Schwäche und Schmerzen. Mein Wille zwang meine Wut herunter und offenbarte ein unbewegtes Gesicht.

      Neue Schmerzen!

      War Oxba das? Hatte er einen Grund? Die brauchten keinen Grund.

      Meine Wut siegte wie gewöhnlich. Ich riss den plötzlich schwer gewordenen Arm hoch und hielt das eisenharte Armband, meinen nutzlosen schmerzenden DAL nach oben.

      „Ja, Oxba, Ratsmitglied!“, stieß ich zähneknirschend hervor. „Ihr habt mir dies gewaltsam angelegt. Vor dem Eingang zum Sucherhort.“

      Allein die Worte ruhig zu sprechen, kostete mich meine ganze Konzentration. Gleichzeitig verscheuchte ich alle Bilder und Erinnerungen an den Hort, indem ich an die Navere dachte und den Wunsch mit ihr zu gehen. Das beruhigte mich. Dass die Navere jetzt einen Schlamekopf trug, ließ mich den Schmerz endgültig vergessen.

      Der Loxmen breitete die Arme aus.

      „Nie zuvor war die Vereinigung schmerzhaft. Niemand hat je darüber