Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit


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trug ich, was ich bekam. Ich trug Gramil, den robustesten Stoff, den die Pfermen herstellten. Niemand kleidete sich darin. Vor vielen Jahren warf eine alte Pferme in Salent einen grauschwarzen Ballen auf mich, als ich verletzt am Boden lag. Sie wollte mich erschlagen. Das gelang nicht und ich kroch mit dem Ballen davon. Er ergab zwei Hosen, zwei Kapuzen-Hemden und eine Decke. Die Pfermen verarbeiteten den Stoff so dicht und fest, dass er Kälte, Wärme und Schall abhielt. Die Jahre bleichten die vormals dunkle Farbe. Gegen Regen schützte ein Umhang aus Schnapperhaut. Ich trug meine Kleider, weil ich nichts Besseres fand. Den Umhang ließ ich diesmal zurück. Regen blieb aus, wenn Sterne klar leuchteten.

      Ich schlich auf dem Bohlenweg, der dem Rund der Bucht nach links folgte. Meine im Sternlicht leuchtenden Haare versteckte ich unter der Kapuze. Der Stoff schirmte die Ohren kaum ab, obwohl er mein Gesicht verbarg.

      „Ins Bett, sofort!“ Hinter mir.

      „Wir müssen reden, Schatz!“ Links.

      „Diese Vomen werden immer dreister und mein Mann tut nichts!“ Links.

      „Morgen geht’s nach Plawass, sagt Kapitän Arden!“ Rechts.

      „Ich brauche dich aber hier.“ Rechts.

      „Sie töteten gestern Edmon. Willst du, dass ich auch tot bin? Ratsmitglied Denoda...“ Rechts.

      „Lass mich mit der in Ruhe!“ Rechts.

      Ich schlich und spähte in jede Ecke.

      Die Gasse bog abrupt nach rechts ab und versteckte den weiteren Verlauf vor mir. Ich blieb stehen. Meine Sinne lauerten.

      3

      Eine Tür ging auf, warf das Licht auf ein Loxmenhaus. Im Schein sah ich zwei Schatten, die ineinander verschlungen im Eingang standen. Sie lösten sich. Eine Frau mit wallenden Haaren und ein Mann derselben Größe hielten sich an den Händen.

      „Gehe nicht!“, bat er.

      „Ich muss! Mein Bruder braucht mich.“

      „Lass mich dich wenigstens über die Bucht bringen. Dein Bruder ist ein Delmen und versteht es.“

      „Warum plötzlich besorgt? Alle Delmen scheinen durcheinander zu sein.“

      „Die GOVA, Kapitän Edons Schiff, kam von Tawa. Sie berichten über Wellen der Tiefe. Dreißig Kilometer von hier. Das ist ein übles Zeichen, wenn die Argonats die Tiefe verlassen.“

      „Ich bemerke keine Zeichen. Das Land ist friedlicher als jemals zuvor. Sorge dich nicht, Liebster! Arden hat einen guten Ruf als Kapitän. Ich muss zu meinem Bruder. Besuch mich, wenn du wieder da bist, Sardengo.“

      Eine Pferme trug das Haar offen und gewellt wie die Tjellas ihre langen Mähnen. Im Norden sah ich viele dieser ungebärdigen Pflanzenfresser, im Süden weniger.

      Die Tür schloss sich und das Dunkel der Nacht legte sich wieder auf die Gasse. Die Frau eilte davon. Ich ignorierte das Aufbegehren meiner Sinne, das Gefahr ankündigte, weil ich eine Stadt durchwanderte. Überall lauerte für mich Gefahr.

      Als ich keine Schritte mehr hörte, schlich ich langsam weiter.

      Aus den Häusern kamen Gesprächsfetzen. Die blauen Delmen und die gelbgrünen Loxmen misstrauten den schwarzen Vomen. Die Neun hätten wieder zugeschlagen und einen der ältesten Schlamen in Targent getötet. Die Sucher müssten bald aufbrechen, um rechtzeitig in Plawass anzukommen. Dieses Jahr nahm der Hort am Meer neue Sucher auf. Als ich den Namen Oxba vernahm, blieb ich stehen.

      „Ratsmitglieder sind doch alle gleich. Oxba hat sich nicht mal deine Sorgen angehört. Der brabbelte unverständliches Zeugs daher, jemand könne nicht, und sie sei in Gefahr. Dann war er weg. Schon wieder. Wird es brenzlig, verschwindet er.“

      „Er wird seine Gründe haben, Ogala. Ich breche morgen früh auf. Übrigens, wann hast du Omdal, dein Ratsmitglied, gesehen? Er versteckt sich hinter Lumen und Vomen, berichten die Delmen.“

      „Sei vorsichtig! Die Kinder haben heute Ledergreife, sogar Sturzkrallen am Strand ausgemacht. Sie meinten, so viele hätten sie noch nie gesehen.“

      „Beruhige dich. Ein paar Sturzkrallen mehr machen noch keine Vorzeichen. Eine Schwarzfeder würde mich dagegen sehr beunruhigen. Ich sag den Kindern gute Nacht und sie sollen nicht so übertreiben.“

      Leise entfernte ich mich. Zumindest kannte ich den Grund für die zahlreichen Jäger.

      Das Rot der Schlamen war nicht zu erkennen, aber die Form ihrer Häuser. Diese Menschen verbanden viele schlanke Türme zum Haus. Ähnlich ihrer Türme waren sie schlank und groß, mancher reichte mir bis zum Kinn, jedenfalls jene, die ich hatte sehen können.

      Der Gasse bis zum Ende der Bucht folgen und dort den Tag erwarten, nahm ich mir gerade vor, als ich ein dumpfes unterdrücktes Stöhnen vernahm. Ich dachte mir nichts dabei, da die gesamte Stadt aus vielen Geräuschen bestand, Stimmen, Töne, Lieder, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Das war schlimmer als das Kreischen aus der Luft. In der Stadt gab es keine Stille. Am Tag schwoll der Lärm unerträglich an und tat den Ohren weh, weil ich ihn nicht gewohnt war.

      Gern hätte ich diese Schmerzen ertragen, wenn ich bleiben durfte.

      Ich hörte das Geräusch wieder.

      Jetzt folgte ein verzweifeltes Schluchzen.

      Eine Frau.

      4

      Vor mir kreuzte eine breite mit Steinen gepflasterte Straße den Bohlenweg, durchbrach nach rechts die Front der Delmenhäuser und führte zum Hafen. An der Häuserecke stand die Pferme mit dem Rücken zur Wand. Zwei dunkle Gestalten zwangen sie zu bleiben. Die gebeugte Haltung und die schwarze Kleidung zeigten mir, was sie waren: Vomen.

      Ihre Stimmen kratzten meine Ohren. Obwohl ich vierzig Schritte entfernt stand, verstand ich alles.

      „Wir können dich auch zwingen, uns zu Willen zu sein.“

      „Niemand wird dir glauben.“

      Der eine hob den Arm, und die Frau krampfte kurz zusammen, sank aber nicht zu Boden.

      Sie war für mich wie ein Naverejunges und zwei Sturzkrallen wollten nach ihr greifen. Meine Lieblinge beschützten ihren Nachwuchs. In einer lauten Stadt war der Lautlose im Vorteil und unbesiegbar, wenn ich hätte kräfftern können. Niemand hörte mich. Ich besaß nur einen Stock und meine linke Hand. Für mein Vorhaben musste das reichen. Als ich unbemerkt herankam, sprang ich mit dem Fuß voran. Der Stock traf den Hals des linken und mein Fuß die Nase des rechten Vomen. Mein Angriff erfolgte fast lautlos. Beide sackten gleichzeitig zu Boden, und ich schlug ihnen auf die Ohren. Die blieben für eine Weile liegen. Zum Glück hielt meine Kapuze. Die Pferme starrte mich an, schien aus einer Trance zu erwachen und rannte davon.

      Über die Ähnlichkeit der Vomen mit Vögeln hatte ich mir bisher keine Gedanken gemacht. Die Absichten der beiden standen fest, als ob die Männer sie in die Nacht gebrüllt hätten. Die Pferme wäre nicht unversehrt zu ihrem Freund zurückgekehrt. Ich sah der Frau nach, als sie hinter der Biegung der Gasse verschwand. Ich stieg über die Bewusstlosen und bog links in die Straße ein, um einen weiteren Bohlenweg zu betreten, der dem ersten parallel um die Bucht folgte.

      5

      Über der Stadt lag ein Schleier der Angst. Wie in vielen anderen Städten blieben die Menschen abends oder nachts daheim. Ich konnte unbehelligt jeden Winkel erforschen. Die finsteren Häuser der Vomen zeigten düstere spitze Giebel und gebogene krallenförmige Säulen. Die fröhlichen runden Pfermengebäude leuchteten im Sternlicht. Die Allmenhäuser bestachen durch gerade Linien mit rechten Winkeln oder Dreiecken.

      Als ich auf der Westseite der Bucht anlangte, begannen die Sterne zu verblassen. Rufe ertönten auf der anderen Seite. Dort erwachten die beiden Vomen. Ich erreichte unbeachtet das Wasser.

      Der