Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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aktivierte seinen PACCS und sagte: „Bankverbindung!“

      Prompt kam die Antwort: „Welche Aktion möchten Sie durchführen?“

      Die elektronische Verarbeitung bot den Vorteil ständiger Bereitschaft. Die Bank war rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche, für jeden Kunden verfügbar. Und die elektronische Sprach­­eingabe und -ausgabe waren inzwischen so perfektioniert, daß man aus der Ferne kaum unterscheiden konnte, ob das Gegenüber ein Mensch oder eine Maschine war.

      Qiang brauchte sich nicht zu identifizieren, da sein Ident Code automatisch mit dem Verbin­dungs­aufbau übertragen und im Bank-Computer verifiziert wurde, nachdem zuvor der inte­grierte Sprach­analysator die ‚Stimme seines Herren‘ eindeutig erkannt hatte.

      „Verfügungsrahmen ändern!“ sagte Qiang.

      „Bitte geben Sie die neuen Grenzen ein“, kam wieder unmittelbar die Antwort des Bank-Com­pu­ters.

      Qiang nannte nacheinander für jedes der drei Kinder die neuen Grenzwerte, die ab dem nächst­folgenden Monatsersten gelten sollten.

      Der Bank-Computer wiederholte alle Eingaben zur Kontrolle, und, nachdem Qiang diese Anga­ben noch einmal bestätigt hatte, sagte er: „Die neuen Grenzwerte sind ab nächstem Ersten gültig!“

      Damit war das Thema zur Zufriedenheit der Kinder abgeschlossen. Sie bedankten sich bei ihren Eltern und gingen frohgelaunt in den Garten, um sich in der angenehmen Abendluft noch ein bißchen im Tai Chi zu üben.

      Kaffeekränzchen

      Es war Donnerstagnachmittag gegen 16 Uhr, als Ellen – wie anläßlich ihres letzten Treffens bei Eppelmanns verabredet – bei Wangs er­schien. Chan öffnete ihr die Tür, begrüßte sie herzlich und führte sie ins Wohnzimmer, wo Frau Li bereits auf sie wartete. Chan machte die beiden Damen miteinander bekannt und bat sie dann, Platz zu nehmen. Noch während sich die Damen setzten, kündigte Frau Li an, daß sie leider nur begrenzte Zeit habe, weil ihr Mann sie bald abholen würde. Es hätte sich unerwarteter Weise so ergeben, daß sie noch eine andere Verabredung in der Stadt wahrnehmen müßten. Und sie bat die Damen um Entschuldigung für diese Unhöflichkeit.

      „Aber selbstverständlich, das ist doch kein Problem“, beruhigte Chan sie und beauftragte Robby, den Kaffee für Ellen und den Tee für Frau Li und sich selbst sowie ein paar Plätz­chen zu servieren, während sie sich noch mal für einen Moment entschuldigte und den Raum verließ.

      „Sie leben in Beijing?“ fragte Ellen Frau Li, nachdem sie sich gesetzt hatte.

      „Ja, richtig. In Beijing“, antwortete Frau Li. Es war eine zierliche kleine Frau. Sie mag viel­leicht so Anfang bis Mitte 40 sein, vermutete Ellen nach den Erzählungen von Chan, ob­gleich sie eigentlich viel jünger aussah. Sie hatte eine wunderbar zarte und glatte Haut, einen porzellan­farbenen Teint und pechschwarzes, kurzgeschnittenes Haar, was sie sehr jugendlich wirken ließ. Und dieser Eindruck wurde durch ihren sehr modischen Damenanzug noch verstärkt.

      „Ich bin selber leider noch nie in Beijing gewesen“, erzählte Ellen, „aber nach allem, was man so über die Medien hört und sieht, muß das ja eine tolle Stadt sein – und riesengroß. Wieviel Einwohner hat die Stadt eigentlich inzwischen?“

      „Oh, wir haben zur Zeit etwa 30 Millionen Einwohner.“

      „So viele?“ fragte Ellen ungläubig.

      „Ja, und es werden praktisch täglich mehr. Es kommen immer noch viele Bauern vom Land und suchen Arbeit in der Stadt.“

      „Unglaublich! Dagegen ist Ulm mit seinen rund eine Million Einwohnern ja ein richtig klei­nes Spatzennest!“

      „Ja, das kann man wohl nicht miteinander vergleichen. Es fragt sich nur, ob es sich in einer kleineren Stadt nicht vielleicht viel angenehmer leben läßt? Wir Chinesen wachsen ja in großer Bevölkerungsdichte auf und sind gewohnt, darin zu leben. Aber einem Westeuropäer, der so große Menschenmassen nicht gewohnt ist, dem muß es darin ja vielleicht wie in einem Hexenkessel vorkommen.“

      „Das mag sein. Ob ich dort leben wollte, weiß ich nicht. Das kann ich mir nicht recht vor­stellen, ehrlich gesagt. Aber zumindest besuchsweise würde – und werde – ich ganz be­stimmt mal hinfahren.“

      „Da kann ich Sie nur bestärken, Beijing ist auf jeden Fall eine Reise wert.“

      Während sie sich so angeregt unterhielten, kam Chan herein.

      „So, wie ich sehe, scheint Ihr Euch ja schon bestens zu unterhalten“, sagte Chan mit einem freundlichen Lächeln. Sie tranken ihren Tee beziehungsweise Kaffee, naschten von den köst­lichen Plätzchen und plauderten noch ein Weilchen über dies und das, bis Chan schließlich das Gespräch auf das Thema Schulsystem lenkte, den eigentlichen Zweck der Zusammenkunft.

      Ellen griff den Gedanken sogleich dankbar auf: „Das chinesische Bildungssystem kenne ich leider nicht so genau, Frau Li. Haben Sie dort eigentlich auch regulär zwölf Schuljahre?“

      „Nicht generell“, begann Frau Li zu erklären. „Zunächst besuchen bei uns die Kinder vom drit­ten Lebensjahr bis zur Grundschule ganztägig und kostenlos einen Kindergarten mit Vor­schul­charakter. Dann schließt sich ein zweigliedriges Schulsystem – sechs Jahre Grund­schule, anschließend drei Jahre Unterstufe einer Mittelschule – an.“

      „Ist das eine Ganztagsschule?“

      „Ja, eine Ganztagsschule, regulär meist von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr mit einer Mittagspause von zwei Stunden. Diese neun Jahre unterliegen der Schulpflicht und sind im Prinzip schul­geld­frei. Es sind lediglich einige hundert Yuan Gebühren für Lehrbücher und Nebenaus­gaben jährlich zu bezahlen.“

      Ellen hob ein wenig die Augenbrauen, sagte aber nichts. Und Frau Li fuhr ungerührt fort: „Nach den neun Pflichtschuljahren teilen sich die Wege: Gute Schüler besuchen drei Jahre die Oberstufe der Mittelschule, wo sie am Ende der zwölften Klasse eine dreitägige Abschluß­prüfung in allen Fächern absolvieren müssen und sich dann je nach Ergebnis an einer guten oder einer der besten Universitäten bewerben dürfen. Weniger gute Schüler können nach der neunten Klasse an eine Berufsmittelschule wechseln und sich dort drei Jahre lang auf ihren späteren Beruf vorbereiten, und ein anderer Teil wechselt gleich von der Schulbank ins Berufsleben.“

      „Die Oberstufe ist nicht schulgeldfrei?“

      „Nein. Ab der zehnten Klasse sind grundsätzlich Schulgebühren zu entrichten – bei allen öffent­lichen Schulen. Und bei den Privatschulen, die es bei uns bekanntlich auch gibt, sowie­so. Dort müssen die Eltern sogar wesentlich tiefer in die Tasche greifen.“

      „Eigentlich erstaunlich“, bemerkte Ellen nachdenklich. „Immerhin behauptet das offizielle Chi­na nach wie vor, ein sozialistischer Staat zu sein.“

      „China hat 1,5 Milliarden Einwohner; die Konkurrenz ist groß! Wer etwas werden will, der muß schon selber etwas in seine Ausbildung investieren!“ entgegnete Frau Li mit dem Brust­ton der Überzeugung.

      „Aha“, sagte Ellen daraufhin nur. Sie wollte sich dazu nicht weiter äußern und wechselte das Thema: „Und wie verhält es sich dort mit dem Benotungssystem?“

      „Eine Benotung ist bei uns lediglich für die Entscheidung zum weiteren Werdegang eines Schülers relevant – also beim anstehenden Übertritt in eine weiterführende Schule, das heißt, nach der sechsten, neunten und zwölften Klasse.“

      „In den anderen Jahren nicht?“

      „Nein, immer nur zum Abschluß eines Schulabschnitts. Nach sechs Jahren Grundschule machen sie eine Aufnahmeprüfung für die Unterstufe der Mittelschule.“

      „Warum schon nach der sechsten? Ich denke, Sie haben eine 9-jährige Schulpflicht.“

      „Das ist richtig. Aber bei dieser Prüfung entscheidet sich, in welche Mittelschule man kommt – und die sind längst nicht alle gleich.