Peter Gnas

Schlussstein


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für einige Sekunden. „ich brauche das nicht!“ Sie nahm ihm das Smartphone aus der Hand und legte es mit dem Display nach unten auf den Tisch.

      Er sah auf den schmalen Lichtstreifen, der sich zwischen Telefon und Tischplatte hervorzwängte. „Was wohl dein Mann dazu sagt ...“

      „Sag’ bitte, dass das ein Scherz ist“, sie sah ihn von der Seite an.

      Lenz sah weiter auf den sich bewegenden Lichtschein.

      „Sag’ es!“ Sie rüttelte an seinem Arm. Ihr Ton lag zwischen Zorn und Hilflosigkeit.

      „Du solltest dich hier nicht so aufführen.“

      „Was hast du vor? Das war geplant! Was willst du erreichen?“, sie fixierte ihn. „Sieh’ mich an!“

      Er sah ihr in die Augen. In diesem Blick erkannte sie nichts mehr von dem, was er gestern für sie war. Er nahm das Smartphone vom Tisch und steckte es in die Jackentasche.

      „Wie du weißt, arbeite ich mit Vogel zusammen. Er ist geschäftlich keine Leuchte, der Rohbau, den er für Sama Baukonzept erstellt hat, ist aber solide ausgeführt. Ich bin vom Fach – glaub mir, ich kann das beurteilen.“

      Sie unterbrach ihn mit flehender Stimme: „Ich trage keine Verantwortung für die Entscheidungen meines Mannes.“

      Lenz hob abwehrend die Hand. Er wandte den Kopf ab. „Du bist ausschließlich dafür verantwortlich, euren gehobenen Lebensstandard zu genießen. Zur Not auch auf Kosten der Auftragnehmer.“

      „Er kümmert sich um das Geschäftliche, nicht ich“, beschwor sie ihn.

      „Und du gibst das Geld aus, das anderen Leuten gehört. Du bist für die Buchhaltung zuständig. Über deinen Tisch gingen die Zahlungserinnerungen von Vogel.“

      „Wie soll ich die Zahlung bei meinem Mann durchsetzen? Weißt du, was dann los ist?“

      „Weißt du, was bei Vogel und Söhne los ist, wenn ihr nicht zahlt?“ Er sah ihr in die Augen. Dabei tippte er mit der Handfläche gegen die Jackentasche, in der das Telefon steckte: „Dies ist die letzte Mahnung! Heute in einer Woche sind die hundertfünfundzwanzigtausend Euro auf Vogels Konto.“

      Damit stand er auf, drängte an ihr vorbei, nahm den Mantel von der Bank und zog ihn sich über.

      „Wie soll ich das machen?“, sie flehte ihn an, dabei berührte sie ihn am Ärmel.

      „Dir wird etwas einfallen.“

      Ohne sich umzudrehen, verließ er die Gaststätte. Ihr Minirock hatte ihn scharf gemacht – er hatte jetzt Lust auf Sex. Er würde eine oder zwei Bars abklappern und probieren, ob es dort etwas zum Abschleppen gab. Ansonsten ginge er in den Puff.

      Hamburg, Freitag 11. September 2007, 10.00 Uhr

      Vogel hatte in den darauffolgenden Tagen ständig den Kontostand beobachtet. Und tatsächlich, an diesem Tag hatte Sama hundertfünfzehntausend Euro bezahlt. Lenz ist kein angenehmer Kerl, dachte er. Diese Methode des Geldeintreibens war nicht gerade seriös, aber effizient. Er rief Lenz an und bestätigte ihm den Zahlungseingang.

      „Das ist ja schon mal ein Anfang“, meinte der ohne große Gefühlsregung. „Wir beide müssen nun sehen, wie wir unsere Zusammenarbeit auf solide Beine stellen.“

      „Möchtest du Provision? Soll ich dir die Bauleitung übertragen?“ Es war ihm klar, dass Lenz ihm die Rechnung präsentieren würde.

      „Ich will an deiner Firma beteiligt werden und mit dir in eine andere Dimension des Baugeschäfts aufsteigen.“

      „An wie viel Beteiligung dachtest du?“, wollte Vogel wissen.

      „Fünfzig Prozent.“

      „Fünfzig Prozent?“, fragte Vogel ungläubig. „Mein Vater hat das Unternehmen in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaut und ich habe es erfolgreich weitergeführt. Jetzt kommst du aus dem Nichts und verlangst die Hälfte?“

      „Du hast es so erfolgreich geführt, dass du es beinahe versemmelt hast.“ Lenz machte eine Pause: „Jonathan“, sagte er versöhnlich, „du wirst es nicht nur überstehen, wir werden gemeinsam sehr, sehr viel Geld verdienen.“

      „Wie willst du das wissen?“

      „Jetzt baust du mal das Objekt für Sama weiter. Ich werde ab und zu auf die Baustelle gehen und kontrollieren, ob dein Bauleiter alles im Griff hat. Ich habe ausgezeichnete Kontakte – vielleicht gelingt es uns, den einen oder anderen Lieferanten auszutauschen und ein wenig Geld zu sparen. Ich achte darauf, dass uns Sama möglichst keinen Ärger mehr macht.“

      Vogel war unwohl bei dem Gedanken. Mit diesem Projekt war es nicht optimal gelaufen. Hoffentlich konnte er es in Frieden zu Ende bringen. Vielleicht war es aber gut, wie es kam. Lenz war zwar unangenehm im Umgang, dabei aber äußerst professionell, redegewandt und intelligent. Eigenschaften, die bei ihm selbst etwas zu schwach ausgeprägt waren.

      Eventuell lag darin eine Chance, dachte er. Lenz der Denker und er der Macher. Er hatte keine Vorstellung, womit man so viel Geld verdienen konnte.

      *

      Vogel stieß nun den Einbau der Fenster in den Rohbau an. Die erste Rate war bei Auftragsbeginn fällig. Lenz hatte sich mit dem Fensterbauunternehmen in Verbindung gesetzt und den bereits vereinbarten Preis um einige Prozentpunkte gedrückt. Er beherrschte die Kunst der Verhandlung. Zum einen blieb er hart und drohte offen. Zum anderen aber ließ er dem Auftragnehmer immer noch Luft zum Atmen, sodass der jeweilige Auftrag solide ausgeführt wurde. Er hatte die Baukosten um etwa zehn Prozent gesenkt und die Ausführung der Arbeiten deutlich beschleunigt.

      Lenz erschien eines Tages mit dem Entwurf eines Gesellschaftervertrags bei Vogel. Der bat darum, den Vertrag in Ruhe lesen zu dürfen. Lenz hatte kein Problem damit. Vogel hatte noch am Abend mit seinem Anwalt einen Termin vereinbart. Er wollte sich diesbezüglich mit ihm beraten, bevor er ihn vor einem Notar amtlich machte. Lenz hatte vor, zunächst bei Schell Facility zu bleiben, um Vogel und Söhne ein zusätzliches Geschäftsführergehalt zu ersparen. Der Anwalt hatte keine Bedenken geäußert, er hatte noch Anmerkungen und Fragen, die er im Telefonat mit Lenz klären konnte.

      Eine der nach außen deutlichsten Änderungen war der neue Firmenname – Lenz und Vogel würde das Unternehmen in Zukunft heißen. Das war ein Stich für Vogel und es war ein größerer Hieb für dessen Eltern. Sie hatten das Geschäft unter dem Namen Vogel Bauunternehmen GmbH aufgebaut. Als ihr Sohn volljährig war, wurde in Vogel und Söhne KG umfirmiert, obwohl Jonathan ihr einziges Kind war.

      Mittlerweile hatten sich die Eltern komplett aus der Firma zurückgezogen. Sie dachten, dass ihr Sohn das Geschäft eines Tages auf seine Kinder übertragen werde. Jonathan hatte Vater und Mutter von den Ereignissen der letzten Wochen berichtet. Davon, dass Lenz den Dingen neuen Schwung gegeben und die Kosten gesenkt hatte. Er hatte natürlich nichts von der Erpressung verlauten lassen und versprach, ihnen Lenz demnächst persönlich vorzustellen.

      Die erste Begegnung zwischen der Mutter und Lenz fand aber zufällig statt. Sie hatte ihren Sohn im Büro besucht, weil sie ihm vom Einkauf in der City einen Pullover mitgebracht hatte und ihn am Schreibtisch überraschen wollte.

      „Ach, Mama“, sagte er und ging ihr entgegen. „Joachim, darf ich dir meine Mutter vorstellen? Mama, das ist Joachim Lenz, mein Kompagnon.“

      Lenz war ihr gegenüber höflich, aber auch ein wenig distanziert. „Guten Tag, Frau Vogel, ich habe viel über Sie erfahren. Ihr Lebenswerk konnte ich bereits bewundern, bevor mir Ihr Sohn die Möglichkeit gab, mit ins Geschäft einzusteigen.“

      Frau Vogel wusste natürlich, dass es der Firma vorher schlecht ging und dass die Beteiligung von Lenz nicht ganz freiwillig geschah.

      Sie war gelernte Kontoristin, wie es früher hieß. Sie hatte bei ihrem späteren Mann angefangen, im Büro zu arbeiten. Das war kurz nach der Ausbildung. Ihr Mann war ein ausgezeichneter Maurermeister, der sich selbstständig gemacht hatte. Was das Kaufmännische anging, war er allerdings