Peter Gnas

Schlussstein


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antwortete sie, „vielen Dank, ich habe leider keine Zeit.“

      „Wie schade“, heuchelte Lenz, „vielleicht finden wir eine andere Gelegenheit.“

      Er sah die Sama dabei ein wenig länger als üblich und mit einer Spur Unverschämtheit an – als wolle er sie ausziehen. Sie errötete leicht.

      „Vielleicht“, sagte sie.

      Sie sah ihn ebenfalls einen Moment länger an, strich mit einer unsicheren Geste den Rock auf den Hüften glatt und ging hinter den Empfangstresen.

      In der Zwischenzeit hatte Sama den Empfangsbereich betreten. Er ging auf Vogel zu und grinste ihn mit gespielter Freundlichkeit an.

      „Mein lieber Herr Vogel“, er hatte einen deutlichen Akzent. Er war etwa sechzig Jahre alt, braun gebrannt, hatte dichtes, weißes Haar und sah immer noch passabel aus. Er gab Vogel die Hand und legte die zweite darauf: „Ich fühle mich geehrt, dass Sie mich in meinem bescheidenen Büro abholen. Es ist wunderbar, dass Sie sich Zeit nehmen, die Köstlichkeiten meines Vaterlandes mit mir zu genießen.“

      Sama ging auf Lenz zu und reichte ihm die Hand: „Sie müssen Herr Lenz sein, Herr Vogel hat mir von der Zusammenarbeit berichtet. Ich bin gespannt, etwas über Ihre speziellen Talente zu erfahren.“

      Lenz erwiderte die Höflichkeiten. Er lobte die Büroräume und das Gebäude. Er hätte sich gern noch die schönen Kunstdrucke überall an den Wänden angesehen, sie seien offenbar von einem Künstler aus dem arabischen Raum. Sama erwiderte, dass es keineswegs Drucke seien, es handle sich um Original-Kaligraphien eines berühmten Künstlers aus Saudi Arabien. Er erbot sich, Lenz eine kleine Führung zu geben. Der nahm dankend an und zeigte sich sehr interessiert. Er kannte diese Art Schriftkunst, es waren meistens dieselben religiösen Textfragmente, die von arabischen Künstlern zu Papier gebracht wurden. Er hatte vergleichbare Arbeiten auf seinen Reisen gesehen und mehr als einmal bewundern müssen.

      Lenz nutze jede Gelegenheit, in ein Büro zu sehen. Bis auf das von Sama, waren alle Räume durchschnittlich eingerichtet, auch der seiner Frau. Nach ungefähr zehn Minuten hatte er alles gebührend bewundert. Er bemerkte, dass seine Umgangsformen gut ankamen. Sama griff sich aus einem Wandschrank einen Kamelhaarmantel, verabschiedete sich von der Sekretärin, ging noch einmal an die Bürotür seiner Frau und sagte etwas für Lenz Unverständliches zu ihr. Er und die Frau verstanden sich nicht gut, das hörte er am Tonfall und registrierte es an Samas Blick.

      *

      Die drei Männer fuhren in das libanesische Restaurant L’Emir in Altona. Vogel lenkte den Wagen, Sama setzte sich neben ihn und Lenz positionierte sich hinter Vogel, so dass er Sama sehen konnte. Lenz hatte Vogel eingebläut, den Mercedes zu waschen und den Innenraum gründlich zu reinigen. Es muss im Auto aussehen wie geleckt. Vogel hatte sich dran gehalten, der Gast registrierte es.

      Nach etwa einer halben Stunde Fahrt, erreichten Sie das L’Emir. Sie besetzten den reservierten Tisch und hörten Sama zu, was er über die Speisen zu sagen hatte. Während des gesamten Essens lobte Lenz die Empfehlung der Speisenfolge und das herrliche, arabisch anmutende Interieur des Restaurants.

      Lenz bemerkte, dass Vogel sich in dieser Situation nicht wohl fühlte. Er hoffte, dass er sich an die Absprache hielt und nichts Geschäftliches ansprechen würde. Einem pragmatischen Hamburger Bauunternehmer, der in finanziellen Schwierigkeiten steckte, fiel es alles andere als leicht.

      Sama wollte wissen, welche Ausbildung Lenz hatte. Er freute sich, dass auch er Bauingenieur war. Lenz berichtete von seinen Reisen in die ganze Welt, insbesondere von denen in den arabischen Raum. Man sprach über Städte und Stätten, die beide bereist hatten und über interessante Bauprojekte mit großen technischen Herausforderungen.

      „Warum sind Sie in Hamburg in einem – Sie verzeihen bitte Herr Vogel – kleinen Bauunternehmen?“, wollte Sama wissen.

      „Ich bin jetzt Ende dreißig. Ich bin in Stade, geboren. Meine Arbeit hat mich zu vielen interessanten Plätzen der Welt geführt. Ich habe großartige Objekte betreuen dürfen.“ Lenz legte ein wenig Sentimentalität in die Stimme. „Ich sehne mich danach, wieder in meiner Heimat anzukommen. Ich möchte schließlich auch irgendwann eine Familie gründen.“

      Vogel kannte Lenz nicht sonderlich gut. Nach ihrer Begegnung im Surprise, hatte der auf ihn jeden anderen Eindruck gemacht, nur nicht den eines treusorgenden Familienvaters. Er hatte im Hintergrund zugesehen, mit welcher Rücksichtslosigkeit Lenz seine Freundin bestieg – er hätte es eher Vergewaltigung genannt.

      Lenz fuhr fort: „Vor einigen Monaten haben Herr Vogel und ich uns zufällig auf der Baumesse in München kennengelernt. Ich war für meinen damaligen Arbeitgeber als Besucher dort, Herr Vogel stand bei einem Aussteller für innovative elektronische Produkte neben mir. Wir fachsimpelten ein wenig über dieses und jenes und gingen gemeinsam über die Messe.“

      Vogel fiel innerlich die Kinnlade herunter mit welcher Unverschämtheit er log.

      „Es stellte sich heraus, dass wir im selben Hotel wohnten und sogar aus der gleichen Stadt kommen. Abends haben wir uns an der Bar bei einem Bierchen erholt. Herr Vogel berichtete mir von seinen Plänen für die Zukunft der Firma. Sie haben recht, noch ist es ein kleines Unternehmen ...“ Lenz ließ das Satzende schweben. „Wir stellten fest, dass unsere Vorstellungen ähnlich sind. So kam es, dass Jonathan mir dieses interessante Angebot für eine Zusammenarbeit und ...“, er sah Vogel mit einem geheimnisvollen Blick von der Seite an, „... vielleicht später, für eine geschäftliche Partnerschaft unterbreitete.“

      Vogel beherrschte sich, damit er keine Miene verzog. Er sah Sama an und zwinkerte vertraulich.

      „Sie haben hoffentlich Verständnis, dass wir die Pläne einstweilen noch nicht offenlegen“, meinte Lenz.

      Sama gab sich verständnisvoll und souverän. Im tiefsten Inneren aber platzte er vor Neugierde: „Gute Ideen darf man nicht frühzeitig ausplaudern.“ Er lachte ein falsches Lachen. „Wenn Sie vielleicht eines Tages einen weiteren Kompagnon brauchen, rufen Sie mich einfach an.“

      Das Essen hatte sich über zwei Stunden hingezogen. Lenz verlor kein Wort über die ausstehende Zahlung. Vogel wurde nervös. Auch auf der Rückfahrt zu Samas Büro kam es nicht zur Sprache. Vogel hielt vor dem Gebäude – er würde Lenz gleich zur Rede stellen.

      Sama stieg aus, die beiden Männer verabschiedeten sich per Handschlag von ihm. Man tauschte noch einige Höflichkeiten aus. Schließlich sagte Lenz: „Herr Sama, wenn Sie gestatten, rufe ich Sie im Laufe der Woche an. Wir sollten besprechen, wie wir weiterverfahren. Ich habe gesehen, dass es einigen Gesprächsbedarf geben könnte.“

      Sama stimmte mit einem Haifischlachen zu und verschwand im Haus.

      „In zwei Wochen hast du dein Geld“, sagte Lenz. Vogel sah ihn verblüfft an.

      *

      Als Lenz gesehen hatte, wie Frau Sama auf ihn reagierte, war ihm klar, wie er an das Geld käme. Er musste versuchen, sie allein anzutreffen. Zwei Tage später hatte er sich um die Mittagszeit in die Nähe ihres Büros vor ein Geschäft gestellt und gewartet. Vogel hatte ihm erzählt, dass sie nur halbtags in der Firma ihres Mannes tätig war und den anderen Teil des Tages für die Kinder sorgte.

      Lenz hatte eine Schachtel mit Pralinen gekauft und einem farbigen Umschlag. Den hatte er zugeklebt und mit einem Füller ‚Danke’ darauf geschrieben. Als er die Sama aus dem Haus kommen sah, ging er in ihre Richtung. Er tat, als sehe er sie nicht.

      „Guten Tag“, sagte sie mit einem überraschten Gesicht, „was treiben Sie denn hier?“

      Lenz spielte den Verblüfften: „Frau Sama!“ Er sah zu dem Haus auf, aus dem sie gekommen war. „Richtig, da ist ja Ihr Unternehmen. Herr Vogel ist neulich hierhergefahren, ich habe gar nicht gewusst, wo genau wir uns befanden. Ich kenne mich in Hamburg noch nicht so gut aus.“

      „Ich sehe, Sie sind verabredet“, sagte sie mit einem Blick auf die Pralinenschachtel.

      „Nein, Verabredung ist das falsche Wort“, log er, „ich bin seit einigen