Peter Gnas

Schlussstein


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neue Mitarbeiterin rettete ihn. Die Auftragsbücher waren voll, die Kunden zufrieden, ihr Chef fand jedoch keine Zeit, abzurechnen. Trotz hervorragender Auftragslage stand die Pleite vor der Tür. Sie ging zu den Banken, sprach mit den Gesellen und versuchte anhand von Vogels Zettelwirtschaft Rechnungen zu stellen und Zahlungen zu überwachen.

      Innerhalb eines halben Jahres hatte sie die meisten Dinge auf dem Laufenden. Jetzt überredete sie Ihren künftigen Mann, die Räume der Firma repräsentativer zu gestalten. Er baute, sie verfeinerte. Sie kümmerte sich um alle Belange, die nicht direkt mit dem Bau in Zusammenhang standen. Abends saßen sie häufig lange im Büro und sprachen Aufträge und Abrechnungen durch.

      Es kam, wie es kommen musste, sie verliebten sich ineinander und heirateten schnell. Vogels Mutter hatte in den Jahrzehnten an der Seite eines Maurermeisters viel gelernt und konnte die meisten Arbeiten nachvollziehen und bewerten. Es gab keine Situation des Baugeschäfts, die ihr nicht schon untergekommen war. Sie hatte Hochkonjunkturen und Krisen erlebt, sie war freundlichen Kunden und Lieferanten begegnet und zornigen. Sie hatte Dinge, die ihr Mann verbockt hatte, geglättet und säumige Kunden auf charmante Weise zur Zahlung gedrängt. Sie konnte den Charakter eines Menschen auf Anhieb einordnen und sich darauf einstellen.

      Lenz war ihr sofort unsympathisch. Er hatte etwas Unnahbares und es lag Berechnung in seiner Höflichkeit. Frau Vogel verbarg ihre Wahrnehmung ebenfalls hinter einer Fassade aus Liebenswürdigkeit. Sie stellte ihm Fragen zu Ausbildung und beruflichem Werdegang. Es klang alles solide, dennoch traute sie ihm nicht über den Weg.

      Sie erzählte ihrem Mann von der Begegnung und dem unguten Gefühl. Der hatte ihrer Intuition stets vertraut und war zeitlebens gut damit gefahren. Vogel senior versuchte, sie mit Argumenten zu beschwichtigen. Er wies auf diese und jene positive Entwicklung hin, ahnte aber, dass sie sich nicht geirrt hatte. Beide beschlossen, die Dinge aus einer gewissen Entfernung zu beobachten, dem Sohn gegenüber aber nichts zu äußern. Erst wenn sie sähen, dass er unglücklich wird, würden Sie mit ihm sprechen. Glück war für sie immer das Wichtigste, noch vor dem geschäftlichen Erfolg.

      Hamburg, März 2008

      Es war inzwischen Vorfrühling. Der Bau für Sama war weit vorangekommen. Lenz hatte mit ihm vereinbart, dass die Zahlungen stets nach Fertigstellung kleinerer Bauabschnitte erfolgten. Sama hatte das nicht gefallen, Lenz wusste aber, dass dessen Frau die neuen Modalitäten im Hintergrund guthieß. Schließlich sei der Bau schneller fertiggestellt worden als geplant und man könne die Wohnungen zügig an die Eigentümer übergeben und die Schlussrechnung stellen.

      Lenz war an einer weiteren Zusammenarbeit nicht interessiert. Er wehrte die Anfrage für ein neues Objekt mit einem überhöhten Preis ab. Sama, der ein geschickter und harter Verhandlungspartner war, hatte in Lenz seinen Meister gefunden.

      Lenz hatte sich auf den Baustellen, die er immer noch für Schell Facility betreute, umgehört. Er wurde auf geplante Objekte aufmerksam, die für das eigene Unternehmen den passenden Umfang besaßen. Einige dieser Aufträge konnte er gewinnen. Die allgemeine Lage für die nächsten beiden Jahre war vielversprechend. Wenn alles glatt lief, würde er in drei Monaten den Job bei Schell quittieren und voll in das eigene Geschäft einsteigen.

      Vogel war froh, dass sich die Firma so positiv entwickelt hatte. Manchmal hatte er das Gefühl, bei Lenz’ Entscheidungen übergangen zu werden, er hatte aber keinen Hinweis darauf, dass der ihn übervorteilte.

      Eines Abends, als beide nach einem Baustellenbesuch noch auf ein Bier in die nächste Gaststätte einkehrten, schilderte Lenz seinen Plan, voll einzusteigen. Die Lage sei so stabil, dass es finanzierbar wäre. Vogel kannte die Zahlen und sagte, dass er sich darauf freue. Es gab eine Seite in ihm, die misstrauisch blieb, die Angst davor hatte, aus dem Unternehmen gedrängt zu werden. Diesen Teil ertränkte er mit einigen Bieren.

      Lenz fragte ihn, ob er sich daran erinnere, dass er Sama gegenüber gesagt hatte, dass er Großes vorhabe. Vogel nickte, hatte aber in Wahrheit keine Details im Kopf. Bei genauer Erinnerung wäre er wahrscheinlich davon ausgegangen, dass die jetzige Entwicklung der Firma bereits das Große sei, das Lenz gemeint hatte. Jetzt wurde ihm klar, dass es das nicht war.

      „Hast du schon mal was von Immobilien-Leasing gehört?“, wollte Lenz wissen.

      Vogel nickte.

      „Ich habe mich ein wenig umgehört“, fuhr er fort, „es gibt im Moment eine Ausschreibung des Hamburger Senats für ein Verwaltungsgebäude in Altona. Der Senat möchte, dass ein Gebäude auf ein städtisches Grundstück gesetzt und schlüsselfertig an die Behörde verleast wird. Laufzeit zwanzig Jahre. Danach wird alles zu einem festgelegten Restwert an die Stadtverwaltung verkauft. Das bedeutet, dass wir es mit einem Leasingnehmer zu tun haben, der die Raten pünktlich zahlt und sich an geschlossene Verträge hält.“

      „Wie groß wird das?“, fragte Vogel.

      „Zweitausend Arbeitsplätze, Besprechungszimmer, Besucherschalter, Sozialräume, Abstell-, Lager- und Technikräume.“

      Vogel fiel die Kinnlade herunter. „Wolltest du das als Generalunternehmer hochziehen?“

      „Als Generalunternehmer oder in einem Konsortium. Als Leasinggeber vorfinanzieren und für zwanzig Jahre verleasen. Wir müssen bloß die Ausschreibung gewinnen“, meinte Lenz selbstbewusst.

      „Hast du eine Vorstellung von den Baukosten? Und vom Finanzbedarf für die gesamte Laufzeit?“

      „Einhundert Millionen, schätze ich.“

      Vogel atmete tief ein und ließ die Luft mit einem Stoß raus: „Joachim, ich weiß, dass du mich im Innersten für einen Versager hältst ...“

      Lenz wollte etwas entgegnen. Vogel stoppte ihn mit einer Handbewegung.

      „Sag’ nichts“, fuhr er fort, „ich könnte vielleicht verletzt reagieren. Du hast in großen Unternehmen gearbeitet und bist es gewohnt, mit solchen Beträgen umzugehen. Für mich waren Aufträge von zwei Millionen immer unerreichbar. Ich halte mich für einen passablen Bauunternehmer – ob ich auch als Generalunternehmer arbeiten kann, wollte ich probieren. Ich bin dabei ein hohes persönliches Risiko eingegangen. Wenn du nicht geholfen hättest, wäre das Erbe meiner Eltern wahrscheinlich verloren. Dafür bin ich dir sehr dankbar.“

      „Darf ich mal dazwischen gehen, bevor du voreilig Nein sagst?“, unterbrach ihn Lenz. „Ja, ich habe dich in einer Situation kennengelernt, die du nicht mehr beherrscht hast. Du bist ein echter Bauprofi. Wenn du etwas anpackst, wird das durchgezogen, solide bis zum letzten Handgriff. Ich halte dich nicht für einen Versager! Und ja, du bist ein miserabler Geschäftsmann.“

      Vogel nickte. Er wusste das. Sein Vater war genauso, ohne die Mutter hätte er das Unternehmen nie hochziehen können. Er hatte keine Ehefrau, die ihn unterstützte. Beide geschiedenen Frauen wollten eigentlich nur als Unternehmergattinnen auftreten. Er hatte sich allein durchgewurstelt. Jetzt also mit Lenz, anstelle einer Partnerin.

      „Ich habe mir das genau überlegt, Jonathan. Die Sache ist machbar. Was andere können, schaffen wir auch.“ Er machte eine Pause, senkte die Stimme und gab ihr Nachdruck: „Ich sage dir ohne Umschweife, wenn du nicht mitziehst, mache ich das allein.“

      Vogel nickte, er blickte vor sich auf den Tisch. Er hatte damit gerechnet, dass Lenz das sagen würde. Im Kopf ging er seine Optionen durch. Sein Leben lag mittlerweile total in dessen Händen. Sicher, das Unternehmen warf Gewinne ab, sie lebten auf einem hohen Niveau. Er hätte es nie bis hierhin geschafft. Spräche er sich dagegen aus, würde Lenz ihn sitzen lassen oder, schlimmer noch, ihn rausdrängen. Im äußersten Fall könnte er die Firma gegen die Wand fahren. Vogel brauchte Zeit.

      „Wahrscheinlich hast du dir über die Beschaffung des Kapitals schon Gedanken gemacht, oder? Ebenso hast du dir auch bereits überlegt, wer mit im Konsortium ist, wenn wir es nicht allein durchziehen?“

      Lenz berichtete nun wieder in einem gemäßigten Ton, wie er es sich vorgestellt hatte. Das war eines seiner Kommunikationsinstrumente – drohen und locken – Zuckerbrot und Peitsche. Er sagte, dass er es am liebsten ohne Konsortium realisieren wollte, als Generalunternehmer und