Jürgen H. Ruhr

Reise - Begleitung


Скачать книгу

halte die beiden in Schach“, befahl der Fette jetzt. „Und sei vorsichtig, der Knabe scheint so eine Art Nahkampf zu können.“

      „Was machen wir mit den beiden?“, fragte sein Gehilfe, der jetzt die Ruger in der Hand hielt. Daran wie er die Pistole handhabte, erkannte ich, dass er wenig Übung im Umgang mit Waffen hatte. Jetzt machte ich mir wirklich Sorgen.

      „Ihr erledigt sie sobald es dunkel ist. Vorausgesetzt Paul ist bis dahin wieder auf den Beinen. Sonst musst du die Sache alleine übernehmen.“

      Der Gauner sah seinen Chef entsetzt an: „Ich? Also, Chef ich habe noch nie ... Das, das ka...“ - „Einmal ist immer das erste Mal“, unterbrach ihn der Fette, der mittlerweile wieder in seinem Sessel saß und seine Zigarre paffte. „Dann sieh’ zu, dass Paul wieder einsatzfähig ist. Ihr nehmt den Transporter und bringt die beiden raus aufs Land. Irgendwo in den Wald oder so. Und verbuddelt die Leichen ordentlich, damit sie nicht gefunden werden. Und jetzt sperr’ beide schon einmal in den Transporter und kleb dem Typen den Mund zu, damit er nicht herumbrüllt und auf sich aufmerksam macht!“

      Birgit und ich wurden in den inzwischen leeren Transporter verfrachtet. Leider ergab sich keine Gelegenheit, unseren Bewacher auszuschalten. Er rief sogar eine der Frauen zu Hilfe, die mir den Mund mit dem scheußlichen Klebeband zukleisterte. Die Schiebetür knallte zu und plötzlich umgab uns Dunkelheit. Ich musste zugeben, dass sich unsere Situation nicht gerade gebessert hatte.

      Auch nachdem sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnten, war kaum etwas zu erkennen. Ich versuchte mit Birgit zu kommunizieren, was sich aber dank des Klebebandes als äußerst schwierig erwies.

      „Brgggt?“ Das Mädchen reagierte nicht. Ich versuchte es erneut mit einem längeren Grunzen, dann gab ich der Kleinen einen leichten Tritt.

      „Hmmmg?“ - „Grrllbmm.“ - „Hrääg?“ - „Krrdssss.“

      Ich rückte näher an Birgit heran, was ich mehr fühlte als sah. „Jrrrrlll!“, schrie sie entsetzt auf.

      „Pssscht“, antwortete ich und näherte mein Gesicht dem ihren. „Krlllbdr blubbbb.“ Sanft stupste ich sie mit meinem Kopf an. „Jrrrrlll!“, schrie sie wieder - so gut es dank des Klebebandes ging.

      „Hrrrtag kriiii“, versuchte ich es erneut, dann ließ ich meinen Kopf auf ihre Hände, die sie in den Schoß gelegt hatte, sinken.

      „Jrrrrlll!“ Ein unsanfter Stoß ins Gesicht warf mich etwas zurück. Dann schien das Mädchen zu verstehen, was ich von ihr wollte. Vorsichtig tasteten einige Finger in meinem Gesicht herum. Als ein Finger in meine Nase glitt, hörte ich sie „jjjiiiklklkl“ kichern.

      Dann endlich fand sie den Anfang des Klebebandes und riss es langsam und genüsslich ab. Ich spürte, wie einige Haare daran kleben blieben. So musste sich das Enthaaren mittels Klebeband anfühlen. Keine schöne Sache.

      „Danke Birgit. Schön, dass du doch noch verstanden hast, was ich meinte“, bedankte ich mich und ging mit meiner Zunge über die aufgerissene Lippe. Ich schmeckte Blut.

      „Grrrssslll hubbb.“

      „Ja, ich weiß, was du meinst“, erwiderte ich beruhigend. „Du musst jetzt Folgendes versuchen: du musst mit beiden Händen einen Riss in mein Klebeband machen. Warte, ich drehe mich um. Sobald das Band eingerissen ist, kann ich es komplett zerreißen.“ Soweit die Theorie. Ich hoffte nur, dass Birgit es schaffen würde, das Band einzureißen.

      „Hrrrlllb gasdagrrr.“

      Was immer sie meinte, musste warten, bis ich ihren Knebel entfernt hatte. Mühsam drehte ich mich herum und schließlich kamen wir so zu liegen, dass sie meine Fessel mit ihren Händen erreichen konnte. Ich spürte, wie sie vorsichtig an meinen Handgelenken herumtastete.

      Es dauerte eine ganze Weile, dann vernahm ich ein reißendes Geräusch und Sekunden später waren meine Hände wieder frei. Wie ich spürte, hatte Birgit das Klebeband nicht einfach eingerissen, sondern komplett entfernt. Cleveres Mädchen!

      Ich drehte mich vorsichtig um, tastete jetzt meinerseits in ihrem Gesicht herum und entfernte mit einem Ruck ihren Knebel. Ein tiefes Luftholen, gefolgt von einem „Danke Jonathan“ belohnte mich. Wenig später waren auch ihre Hände frei.

      „Ekelhaft, dieses Klebeband“, meinte Birgit und ich hörte die Erleichterung aus ihren Worten heraus. „Und wie geht es jetzt weiter?“

      Mein Plan stand schon fest und leise erklärte ich ihr: „Wenn wir hier raus sind, läufst du zur nächsten Straße und siehst zu, dass du irgendwie an ein Telefon kommst. Entweder du findest jemanden mit einem Handy oder du musst in einen Laden oder etwas Ähnliches gehen. Oder klingele an einer Wohnung. Hauptsache du kannst telefonieren. Stelle auch fest, wo wir uns befinden. Dann verständigst du umgehend Bernd und berichtest ihm oder Jennifer was hier los ist. Die wissen dann schon, was zu tun ist. Du bleibst auf jeden Fall in Sicherheit. Komm nicht hierhin zurück, außer die Polizei oder einer von uns ist dabei. Hast du das verstanden? Es ist enorm wichtig, dass du einmal tust, was ich dir sage.“

      „Ja, Jonathan. Das habe ich verstanden und ich werde es genauso machen, wie du sagst. Aber was ist mit dir?“

      Machte sie sich jetzt Sorgen um mich, oder war es einfach nur Neugierde? Ich beschloss, dass es die Sorge war, die sie zu dieser Frage bewog. „Ich bleibe hier und beobachte. Da wir unbewaffnet sind, macht es natürlich keinen Sinn, die Bande anzugreifen. Also halte ich mich bis zum Eintreffen der Polizei versteckt. Aber jetzt los, ich habe keine Ahnung wie spät es ist und die Typen können jederzeit zurückkommen.“

      Tastend arbeitete ich mich zur Schiebetür vor. Ich hoffte nur, dass der Ganove sie nicht abgeschlossen hatte. Jedenfalls war vorhin nichts davon zu hören gewesen. Mit einiger Mühe fand ich den Griff zum Öffnen. Gespannt hielt ich die Luft an. Dann drückte ich den Griff. Die Tür ließ sich öffnen. Leise schob ich sie weiter zurück. Tageslicht fiel in den Wagen und erleichtert atmete ich aus. Diese Hürde war überwunden.

      Nachdem meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, warf ich einen prüfenden Blick hinaus. Der Wagen stand immer noch mit der Front zum Tor, aber niemand schien in der Nähe zu sein. Wofür auch eine Wache aufstellen, wenn man uns ja ohnehin sicher gefesselt im Wagen glaubte? Trotzdem bedeutete ich Birgit noch zu warten und schlich zur Sicherheit erst einmal komplett um das Fahrzeug herum. Niemand zu sehen. Prima. Birgit müsste jetzt lediglich herausfinden, wo wir uns befanden und telefonieren. Aber das durfte ja nicht allzu schwer sein, denn in der Einöde waren wir hier mit Sicherheit nicht. Vorsichtig half ich der Kleinen aus dem Wagen, dann schloss ich die Tür so leise es ging.

      „Du gehst in dieser Richtung“, flüsterte ich und zeigte von der Lagerhalle fort. „Da hinten ist eine Straße. Also, alles wie besprochen: Du hältst ein Auto an, einen Passanten oder findest sonst eine Gelegenheit zum Telefonieren. Und vergiss nicht, festzustellen, wo wir uns befinden.“

      „Ich bin doch nicht blöd, Jonathan“, erwiderte sie und rannte mit langen Schritten Richtung Straße. Ich blickte mich noch einmal um und schlich dann zu der Tür in der Halle. Bisher hatte ich mir noch keine Gedanken über mein weiteres Vorgehen gemacht. Angreifen konnte ich die Bande nicht, das musste ich der Polizei überlassen. Aber ich könnte beobachten und vielleicht verhindern, dass die Herrschaften flohen. Leise schlich ich zu dem Transporter zurück.

      Die Fahrertür war nicht verschlossen und rasch fand ich den Griff zum Entriegeln der Motorhaube. Leise und mich immer wieder umblickend, riss ich mehrere Schläuche am Motor ab. Das würde eine Flucht hoffentlich vereiteln oder wenigstens verzögern. Sicherheitshalber riss ich einen kleinen Schlauch komplett heraus und warf ihn mit Schwung über die kleine Mauer, die das Grundstück begrenzte. Dann schlich ich wieder zur Tür und lauschte, konnte aber von drinnen nichts vernehmen. Ich nahm mir vor, das Grundstück etwas genauer zu erkunden.

      An der Seite der Lagerhalle befanden sich mehrere Parkplätze, von denen drei besetzt waren. Die Wagen waren alle fest verschlossen und ich blickte mich suchend um, bis ich endlich ein kleines Stöckchen entdeckte. Nacheinander ließ ich die Luft aus dem jeweils rechten vorderen Reifen der Fahrzeuge. Das würde eine Flucht ebenfalls erschweren, wenn nicht sogar