Jürgen H. Ruhr

Reise - Begleitung


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Mund: „Leise, ich suche Herrn Jökelmöller.“ - „Leise? Wieso leise. Schleichen sie deswegen hier so herum? Weil sie den guten Jökel suchen?“

      Jökel, aha. „Ja, ich suche Herrn Jökelmöller.“ - „Der ist nicht hier. Jökel hat sich doch heute krank gemeldet. Wussten sie das denn nicht? Der arbeitet doch in der Elektroabteilung.“

      „Nein“, erklärte ich ruhig und gleichzeitig schlugen die Gedanken in meinem Hirn Purzelbäume. „Herr Jökelmöller sollte doch heute hier in der Schuhabteilung eingesetzt sein.“

      Die Dame sah mich kopfschüttelnd an: „Sollte er das? Davon weiß ich nichts. Aber die Kollegen erzählten sich während der Pause, dass Jökel heute krank ist. Kommt doch auch schon mal vor, oder?“

      Ich nickte. Ja kam doch auch schon mal vor.

      „Wollen sie die Schuhe nun anprobieren oder nicht?“ - „Ich kaufe sie. Wo ist denn die Kasse?“

      Die Frau sah mich skeptisch an: „Ohne Anprobe?“ - „Ja, die werden schon passen.“

      Sie nahm mir den Karton ohne ein weiteres Wort zu verlieren ab und ging Richtung Kasse. Ich atmete auf. Noch einmal gut gegangen! Ja, ein Jonathan Lärpers hatte schließlich eine Menge Tricks auf Lager.

      „Zweiundneunzig Euro und fünfzig. Sie wissen aber wohl, dass das Damenschuhe sind?“

      Damenschuhe? Ich blickte auf den Karton. Richtig, da stand groß und breit ‚Damenschuhe’.

      „Sind für eine Freundin“, murmelte ich und schob ihr zwei fünfzig Euro Scheine hin.

      „Wollen sie auch eine Tüte? Die kostet nämlich extra zwanzig Cent.“

      Bevor ich noch antworten konnte, erklang eine wohlbekannte Stimme hinter mir: „Nein, der Herr möchte keine Tüte für die an seinem letzten Arbeitstag gekauften Schuhe!“

      Ohne dass ich mich umdrehen musste, wusste ich, wer da wieder hinter mir stand: Sanurski - mein Abteilungsleiter.

      „Mensch, Lärpers. Warum sind sie nicht an ihrem Arbeitsplatz? Ich habe sie doch gewarnt. Einkaufen dürfen sie nur in der Pause oder nach Arbeitsschluss. Und jetzt erwische ich sie hier, exakt zwanzig Minuten nachdem sie eigentlich wieder an ihrem Platz die Kartons zählen sollten. Zahlen sie die Schuhe jetzt und dann kommen sie in mein Büro. Und beim Arbeitsamt bestellen sie einen schönen Gruß von mir, dass wir solche Pfeifen wie sie nicht gebrauchen können!“

      Während ich mein Wechselgeld entgegennahm, stob Sanurski mit hochrotem Kopf davon.

      Die Verkäuferin sah mich bedauernd an und es tat richtig gut, dass meine Entlassung doch einem Menschen so nahe ging. „Schade, sie haben uns ja noch gar nichts von Wim Schlensbow erzählt“, seufzte sie. „Sie müssen wissen, wir sind richtige Fans von ihm. Der Mann kann aber auch so gut singen ...“

      Mit meinem Schuhkarton unter dem Arm betrat ich die Elektroabteilung. Sanurski würde warten müssen, mehr als rausschmeißen konnte der Mann mich ja schließlich nicht. Suchend blickte ich mich um. Wo war Birgit, wo die vier Arbeiter von Pleckla? Gut getarnt als Kunde mit getätigtem Warenkauf, lief ich suchend durch die Gänge. CDs, DVDs, Computerspielgeräte, Fernseher, CD Player. Aber keine Birgit. ‚Vermutlich sind die schon mit der Palette unterwegs’, folgerte ich messerscharf und überlegte, wohin sie die Waren wohl bringen würden. Vielleicht ins Lager. Richtig. Irgendwo musste es ein Lager geben, in dem all die Sachen lagerten. Wie der Name sagte: Lager.

      Hatte nicht Jökelmöller auch von einem Lager gesprochen? Dort, wo er noch ein letztes Videospiel für den merkwürdigen Kunden fand? Ich sah mich um. Türen zum Lager waren im Allgemeinen etwas größer. Größer jedenfalls als die Tür, auf der ‚Personal’ stand. Dann endlich fand ich sie. Ziemlich unauffällig und ein wenig hinter einer Regalwand versteckt. Es handelte sich um eine Doppeltüre, die auch groß genug war, um einen Hubwagen mit Paletten durchzulassen.

      Vorsichtig drückte ich die Klinke nieder. Geräuschlos schwang die Tür auf. Ein kurzer Rundumblick zeigte mir, dass niemand in der Nähe war. Es würde mir jetzt noch fehlen, wenn Sanurski wieder hinter mir stünde. Aber niemand da. Prima. Leise schlich ich durch den schmalen Spalt der geöffneten Tür, dann schloss ich sie vorsichtig und ohne ein Geräusch zu verursachen. Ein kurzer, dämmeriger Gang empfing mich, der lediglich schwach von einigen Lampen erhellt wurde. Das konnte nur der Weg zum Lager sein. Hinter einer weiteren Doppeltüre befand sich wirklich ein großer Lagerraum. Lautlos schloss ich auch diese Tür hinter mir. Hier war die Beleuchtung etwas besser, an der Decke befanden sich in regelmäßigen Abständen Leuchtstofflampen. Sofort suchte ich mir eine passende Deckung. Dann schaute ich mich in dem Raum um. Hohe Regale säumten die Wände und einzelne Kisten und Paletten standen in Gruppen davor. Ein schmaler Gang - gerade breit genug für einen Hubwagen mit Palette - blieb in der Mitte frei.

      Das Lager. Ort der Waren. Hort verkäuflichen Gutes. Hier nahm alles seinen Anfang. Doch ich durfte mich jetzt von meinen Gedanken nicht ablenken lassen. Wo befand sich Birgit? Ich konnte sie nicht sehen. Auch nicht die Palette oder die Leute der Firma Pleckla. Wo steckten die alle? War ich im Endeffekt doch auf der falschen Fährte?

      Ich beschloss, mein Versteck zu verlassen und weiter in den Raum vorzudringen. Vorsichtig schlich ich an einigen Paletten vorbei. Immer bereit, mich dahinter Schutz suchend zu ducken. Zwischendurch lauschte ich auf irgendwelche Geräusche oder Stimmen, vernahm aber nicht den geringsten Ton.

      Ob dieses Kaufhaus am Ende über vielleicht mehrere Lager verfügte und ich mich im falschen befand? Eine weitere Doppeltüre erregte meine Aufmerksamkeit. Mittlerweile war ich mir sicher, dass sich niemand außer mir in diesem Raum befand. Trotzdem schlich ich so leise wie möglich zu der Türe. Auch sie schien nicht verschlossen, denn nachdem ich die Klinke heruntergedrückt hatte, öffnete sich ein Flügel quietschend. Erschrocken hielt ich inne. Tageslicht drang durch den Spalt. Aha, dies war eine Außentür. Trotz anhaltenden Quietschens zog ich den Flügel weiter auf.

      Und blickte zunächst auf das Heck eines Transporters. Eine der hinteren Türen stand offen und im Inneren erkannte ich mehrere Paletten. Dann blickte ich in die Mündung einer Pistole. Anders als beim Wagen, erkannte ich den Typ direkt: Eine Ruger SR9.

      Jetzt ist der Blick in die Mündung einer Waffe nicht besonders angenehm. Besonders dann, wenn der Besitzer einen böse angrinst. „Du hast uns gerade noch gefehlt! Deine kleine Freundin haben wir schon kassiert, da kommst du gerade recht. Glaubt ihr denn, wir hätten nicht bemerkt, wie ihr uns beobachtet habt? Und als die Kleine vorhin auch noch hinter uns her schlich, da war der Ofen voll.“

      „Ofen aus oder Maß voll“, korrigierte ich, erntete aber lediglich ein Achselzucken.

      „Klugscheißer biste wohl auch noch? Jedenfalls lassen wir uns nicht von irgendwelchen Aushilfsarbeitern an die Karre pissen.“

      Der Mann redete und redete. Dabei fuchtelte er mit seiner Pistole herum. Hätte ich es nicht besser gewusst, dann wäre meine Angst vor einem unabsichtlichen Schuss recht groß geworden. Nun hat die Ruger SR9 aber eine Eigenschaft, die die Waffe und die Bedrohung berechenbar macht: Befindet sich nämlich eine Patrone in der Kammer, dann schnellt eine Anzeige auf dem Schlitten heraus, die an beiden Seiten rot gekennzeichnet ist. Eine nette Sicherheitsmaßnahme der Firma Sturm & Ruger Inc., die diese Waffe seit dem Jahr Zweitausend herstellt.

      Und solch eine Anzeige konnte ich beim besten Willen nicht ausmachen. Also befand sich auch keine Patrone in der Kammer. Ich lächelte. Es dürfte nur noch Sekunden dauern, bis dieser Knabe vor mir im Staub liegen würde. Unauffällig sah ich mich nach seinen Kollegen um, konnte aber niemanden entdecken. Die befanden sich wohl schon im Transporter. Ich setzte schon zum oft geübten Krav Maga Schlag an, als die Worte des Gangsters meine noch nicht begonnene Bewegung auch schon im Keim ersticken ließen.

      „Der Chef wird sich freuen, euch Früchtchen begrüßen zu dürfen.“ Wieder wedelte er mit der Waffe herum. „Los, rein in den Transporter. Und gib ja keinen Mucks von dir, sonst knall ich dich schneller ab, als dir lieb ist!“

      Ich nickte ernst. ‚Der Chef wird sich freuen’, nun ja. Ich beschloss, das Spiel mitzuspielen und den Chef dieser Bande