Jürgen H. Ruhr

Reise - Begleitung


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Zumindest für mich. Meine kleine Miss Marple schien da eine lebhaftere Fantasie zu haben. Angestellte einer renommierten Firma, die Waren auf Paletten verluden und aus dem Kaufhaus schafften? „Liebe Miss Marple, das sind doch Hirngespinste.“ Ich lachte. Allein der Gedanke, dass diese vier fleißigen Arbeiter so etwas tun würden, war aber auch zu lustig.

      „Und falls doch?“, fragte sie mich und blickte verschwörerisch am Regal entlang. Dann überlegte Birgit einen Moment, legte ihre Hand auf meinen Arm und sah mir direkt ins Gesicht: „Und wenn nun der Mann aus der Elektroabteilung hinter allem steckt? Er plant das Verbrechen von der Ferne und seine Ganovenkollegen räumen hier die Regale leer. Der Kopf der Bande sitzt in sicherer Entfernung. Ihn kann niemand belangen. Oder hast du bei deinen letzten Exkursionen in die Elektroabteilung etwas herausfinden können?“

      Mittlerweile standen wir wieder an unserem Arbeitsplatz vor den Regalen. Die vier Leute waren nicht mehr zu sehen, aus einem der nächsten Gänge drang aber Gelächter herüber. Nun, hier schienen sie mit ihrer Arbeit offensichtlich fertig zu sein. Ich betrachtete die Reihen von Waschmitteln, Putzmittelflaschen und Toilettenpapierrollen.

      Birgit stupste mich an: „Nun, was denkst du?“

      Ja, was dachte ich? Ein schier unvorstellbarer Gedanke. Aber vielleicht doch nicht wirklich so abwegig. Das Elektromännchen war eindeutig der Hauptverdächtige. Was aber, wenn er seine Helfershelfer hier unauffällig arbeiten und klauen ließ? Das Ganze nahm ja ungeahnte Ausmaße an. Nur einm...

      „Jon - athan? Schläfst du?“

      „Natürlich nicht, ich denke nach. Aber da könnte eventuell etwas dran sein. Also, dass die Vier für unseren Kaufhausdieb arbeiten.“

      „Deinen.“ - „Meinen?“ - „Ja, deinen Kaufhausdieb. Du verdächtigst ihn ja schließlich, nicht ich.“

      Soviel Haarspalterei sah meiner kleinen Miss Marple natürlich ähnlich. Mein Kaufhausdieb - dein Kaufhausdieb. Naja. „Wir müssen herausfinden, ob an deiner Theorie wirklich etwas dran ist“, verkündete ich schließlich die Quintessenz meiner Überlegungen. „Bestimmt hat die angehende Superdetektivin da auch schon eine Idee?“

      Birgit überhörte meine Spitze und nickte ernst: „Natürlich. Zunächst stellen wir fest, wie viel und was für Ware hier in dem Regal ist. Das geht schnell und einfach. Der erste Schritt quasi.“

      Ich nickte. „Das deckt sich mit meinen Überlegungen. Und dann nehme ich mir noch einmal das Elektromännchen vor.“

      Erneut legte meine Kollegin mir eine Hand auf den Arm. „Genau, Jon - athan. Aber das kommt ja später. Sollte an meiner Theorie etwas dran sein, dann müssen wir die Leute der Firma Pleckla observieren, sobald sie eine Palette aus dem Kaufhaus bringen. Damit erfahren wir dann, wohin sie die Sachen bringen.“

      „Ja“, nickte ich, „und erwischen den Mann aus der Elektroabteilung dabei, wie er die Waren zur Seite schafft.“

      Birgit stöhnte leise auf. „Ja, Jon - athan. Bestimmt.“

      Wir überprüften die eingeräumten Waren. Birgit kniete vor dem Regal und nahm einige Pappkartons mit Waschpulver heraus. „Siehst du, Jon - athan, alles nur das billige Noname - Zeug. Und hier - bitte - keine zweite Reihe.“

      Ich knurrte. Vielleicht sollte ja das billige Zeug in die Regale eingeräumt werden. Der Kunde musste ja nicht unbedingt immer den Markenquatsch kaufen. Obwohl: ‚Wat nix kost - dat is auch nix’. Eine durchaus wahre Regel für den Alltag.

      „Gut, das muss aber nicht unbedingt etwas zu sagen haben. Wir sollten den Abteilungsleiter fragen, der müsste ja schließlich wissen, ob die Regale mit dieser Ware eingeräumt werden sollten.“

      „Und was ist mit dem leeren Raum dahinter? Das ist auch nicht normal.“

      Ich überlegte. War das wirklich nicht normal? Sicher, beim Zählen zuvor waren die Reihen voll gewesen. Nicht ein Millimeter Lücke. Aber konnte dies nicht ein neues Konzept des Kaufhauses sein? „Vielleicht ist das richtig so“, meinte ich dann auch logisch knallhart schlussfolgernd. „Weniger ist mehr.“

      Birgit tippte sich an die Stirn. „Natürlich - und nichts ist viel.“

      Diesen Spruch hatte ich zwar noch nicht gehört, er klang aber gut. Ich nahm mir vor, ihn mir zu merken. Derweil bugsierte mich Birgit um das Regal herum. Hier befanden sich weitere Reinigungs- und Pflegemittel. Ohne langes Federlesen zog sie mehrere Flaschen mit Mundspülung hervor. „Und bitte, was siehst du hier? Die Regale sind voll. Randvoll. Nicht nur die erste Reihe.“

      „Das kann Zufall sein“, meinte ich leichthin und betrachtete eine der Flaschen. Mundspülung. Hmm. Das gab frischen Atem für den Tag - oder die Nacht. Je nachdem. Ich beschloss, ein paar dieser Flaschen zu kaufen. Später.

      „Jon - athan? Wovon träumst du?“ - „Ich? Nichts, nichts. Ich dachte nur gerade, dass wir der Sache genau auf den Grund gehen müssen.“

      Die hatten sogar zwei Sorten hier: Pfefferminz und Zahnfleischschutz. Brauchte ich Zahnfleischschutz? Eigentlich nicht. Die preisgünstigere Variante mit Pfefferminzgeschmack wäre für mich vollkommen ausreichend.

      „Jon - athan? Was für wichtige Gedanken beschäftigen dich jetzt wieder? Du siehst so weggetreten aus ...“

      Dass die Kleine nicht einmal den Mund halten konnte. „Wir müssen jetzt weitere Schritte einleiten.“ Pfefferminz, meine Entscheidung stand fest. Schließlich ging es meinem Zahnfleisch ausgezeichnet. Ich prüfte vorsichtig mit der Zunge. Nein, alles in Ordnung.

      „Also, Jon - athan, was machen wir jetzt? Sollen wir die Leute observieren, sobald sie mit der Palette abhauen?“

      „Genau, Birgit. Das habe ich auch gerade gedacht. Ich werde sie beobachten. Unauffällig, schließlich bin ich Profi. Sobald wir wissen, woran wir sind, können wir unser weiteres Vorgehen planen.“ Ich bedeutete Birgit mit der Zählerei fortzufahren. Dann schlich ich vorsichtig um die Regalreihe, bis ich die vier Einräumer fand. Lachend standen sie vor einer halbvollen Palette und schienen sich über irgendetwas zu amüsieren. Verstehen konnte ich leider nichts. Aber das musste ich ja auch nicht. Möglichst unauffällig verharrte ich hinter einem Stapel Kisten mit Gebissreiniger.

      Bis sich eine Hand in mir wohlbekannter Art und Weise auf die Schulter legte. Langsam drehte ich mich um und blickte in das rote Gesicht Sanurskis.

      „Was um alles in der Welt machen sie hier, Lärpers?“, schrie er und bekam auch sofort die Aufmerksamkeit der Vier. Die waren jetzt verstummt und schauten neugierig zu uns herüber.

      „Sie sollen doch verdammt nochmal die Bestände zählen. Und das nicht hier, sondern dort hinten!“ Er zeigte mit dem Daumen in die Richtung, in der sich unsere Regale befanden.

      Wieder einmal musste ich improvisieren und das tat ich - zugegebenermaßen - perfekt: „Ich wollte mir nur schnell“, schrie ich in der gleichen Lautstärke wie Sanurski, damit mich die zwei Frauen und Männer auch verstehen konnten, „eine Packung hiervon holen.“ Rasch zog ich eine Packung des Gebissreinigers aus dem Stapel und hielt sie Sanurski hin. Während hinter mir der Stapel polternd zusammenbrach, schrie ich erneut: „Nur eine Packung von ihrem schönen Sonderangebot hier. Ich wollte sie auch direkt bezahlen.“

      „Lärpers, Lärpers! So geht das nicht. Sie sind hier um zu arbeiten und nicht, um durch die Abteilungen zu schleichen. Dafür werden sie nicht bezahlt. Einkaufen können sie nach ihrer Schicht oder in der Pause. Aber nicht mittendrin. Haben sie das verstanden?“

      Bei der Lautstärke wäre es schwierig gewesen, die Worte nicht zu verstehen und so nickte ich nur ergeben.

      „Dann räumen sie den Mist hier jetzt auf und kehren umgehend an ihre Arbeit zurück. Entweder sie machen heute länger und holen die verlorene Zeit nach oder ich ziehe ihnen die Stunde vom Arbeitslohn ab. Und jetzt sehen sie zu, dass sie unser Sonderangebot wieder genauso schön auftürmen, wie es vor ihrer Zerstörung war.“ Wutschnaubend drehte Sanurski sich um und ließ mich allein.

      Ich warf einen Blick auf die Leute der Firma Pleckla, musste aber feststellen, dass