Jürgen H. Ruhr

Reise - Begleitung


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geöffnet waren. Schließlich gelangte ich wieder zu der Tür.

      Ich überlegte, ob es einen Sinn machen würde, wieder in das Lager einzudringen. Unbewaffnet wie ich war, ein riskantes Unterfangen. Aber was war das Leben schon ohne Risiko? Schließlich besaß ich ja noch meine beide Fäuste und meine Krav Maga Ausbildung. Leise und mit angehaltenem Atem drückte ich die Klinke der Tür herunter. Vorsichtig öffnete ich sie einen Spalt und lugte in das Gebäude. Im ersten Moment konnte ich niemanden erblicken. Ob dieser Paul immer noch ohnmächtig war? Ob mein Tritt ihm eventuell größeren Schaden zugefügt hatte? Jetzt schlüpfte ich durch den schmalen Spalt und schloss die Tür sofort wieder. Sekunden später duckte ich mich hinter einem Stapel leerer Paletten. Aus dem Büro drangen leise Stimmen. Geduckt schlich ich näher. Vielleicht würde ich hören können, was da besprochen wurde.

      Eine der Stimmen identifizierte ich als Sanurskis. Ich versuchte noch etwas näher an das Büro heranzukommen, immer darauf bedacht auch ja in Deckung zu bleiben.

      „Und wer sind die beiden?“, hörte ich gerade den Fetten fragen. Ich nahm an, dass diese Frage Sanurski galt.

      „Keine Ahnung. Angeblich kommen die vom Arbeitsamt. Ich habe meine Informationen aber auch nur aus der Chefetage bekommen. Ein wenig merkwürdig schon, denn ich hatte keine zusätzlichen Leute angefordert.“

      Die Stimmen schwiegen einen Moment, dann hörte ich eine der Frauen: „Ob die eventuell etwas von unseren Aktivitäten spitzgekriegt haben? Vielleicht sind die zwei von der Polizei - so verdeckte Ermittler oder so.“ - „Lärpers und diese Zickler?“ Sanurski Stimme klang abfällig. „Das glaube ich nicht. Die sind strohdoof. Beide.“

      Na danke. Allmählich bekam ich eine richtige Wut auf diesen Abteilungsleiter. Er kannte uns doch gar nicht, wie wagte der Mann es dann uns zu beurteilen? Noch dazu so negativ?

      „Na ja, die Frau ist ja nicht ganz so dumm. Aber dieser Lärpers. Wo das Arbeitsamt den ausgegraben hat, möchte ich einmal wissen. Ich hätte dem Mann aber sowieso heute gekündigt - also eigentlich habe ich ihm ja gekündigt, er hat sich nur nicht mehr blicken lassen, um seine Papiere abzuholen.

      „Die braucht er jetzt ja auch nicht mehr“, verkündete der fette Chef genüsslich und ich hörte, wie er geräuschvoll an seiner Zigarre sog. „Wir stellen unsere Aktivitäten bei Kaufstatt zunächst ein. Bis Gras über die Sache gewachsen ist. Dir Sanurski kann ja sowieso keiner etwas nachweisen und dieser Lärpers mit seiner kleinen Freundin ist heute Abend Geschichte. Da kräht kein Hahn mehr danach. In den anderen Kaufhäusern scheint es keine Probleme zu geben. Sonst hätten mich die von uns geschmierten Abteilungsleiter schon längst informiert.“

      „Und was wird aus mir?“ Sanurskis Stimme klang weinerlich. „Ich brauche das Geld, ich muss mein Haus abbezahlen und Spielschulden habe ich auch noch.“

      „Du hältst die Füße still. Wenn dich die Bullen erwischen, ist Schluss. Mit allem. Also bleib ruhig, vielleicht habe ich ja noch den ein oder anderen Job für dich.“ Nach einer kurzen Weile, die der Fette wohl zum Überlegen nutzte, hörte ich ihn lachen: „Ja, Sanurski, ich hab’ da schon was für dich. Du kannst mit Bokowski zusammen nachher unsere Gäste wegschaffen. Ist mir glatt nen Hunderter wert.“

      „Wegschaffen?“, Sanurski schien nicht im Geringsten zu ahnen, was der Fette von ihm wollte.

      „Ja, wegschaffen, liquidieren, entsorgen, erschießen. Jetzt kapiert?“ - „Aber so etwas habe ich noch nie gemacht. Einen Mord begehen?“

      „Zwei Morde. Und dann passt du hervorragend zu Fritz, der hat angeblich auch noch niemanden um die Ecke gebracht. Was seid ihr eigentlich alle für Pfeifen? Noch nicht einmal den kleinsten Mord auf dem Gewissen!“

      „Ich bin Abteilungsleiter und kein Auftragskiller“, stammelte Sanurski und ich sah förmlich vor mir, wie ihm die Tränen die Wangen herunterliefen.

      „Hör auf zu jammern! Beim Stehlen der Waren warst du ja auch nicht so zimperlich. Also quatsch nicht herum. Pönkel, der Paule, das wäre der richtige Mann für den Job. Aber dieser Lärpers hat den wirklich übel zugerichtet. Paul hat eine erstklassige Gehirnerschütterung und schafft es nicht einmal, zwei zusammenhängende Sätze hintereinander auszusprechen. Poliert dem Lärpers noch einmal ordentlich die Fresse, bevor ihr ihn umlegt. Das seid ihr Paul Pönkel schuldig!“

      Ich hörte Sanurski noch irgendetwas grummeln, konnte aber seine Worte nicht verstehen. Leider war mir aus meiner Position auch kein Blick ins Büro möglich. Ich schätzte aber, dass sich die beiden Männer und Frauen, sowie Sanurski und der Fette, darin befinden würden. Hoffentlich hatte Birgit inzwischen unsere Leute, beziehungsweise die Polizei verständigt.

      „Los, verschwindet ins Lager“, hörte ich den Chef grunzen. „Ich habe noch einiges zu erledigen. Macht euch nützlich, Sanurski kann auch was tun, dann steht er nicht so nutzlos hier herum.“ - „Und was machen wir mit Paul?“, hörte ich eine Frauenstimme.

      „Den nehmt ihr mit und legt ihn irgendwo zum Ausruhen hin. Am besten auf eine Decke oder so etwas. Und jetzt macht voran, ich brauche meine Ruhe!“

      Ich zog mich ein wenig weiter hinter ein paar Paletten zurück und beobachtete, wie erst die Frauen und dann Sanurski und der andere Mann mit Paul zwischen sich durch die Tür kamen.

      „Tür zu!“, schrie der Fette hinter den Dreien her, worauf Sanurski versuchte mit einer Hand die Klinke zu erreichen. Dabei entglitt ihm der angeschlagene Paul, den auch sein Ganovenkumpel nicht mehr halten konnte. Krachend schlug Paul auf dem Betonboden auf. Ich sah, wie Sanurski sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

      Die beiden ließen den inzwischen wieder Ohnmächtigen einfach dort liegen, wo er hingefallen war und begaben sich zu den Frauen. Alle vier befanden sich jetzt außerhalb meines Sichtfeldes.

      Ich versuchte zu schätzen, wie spät es ungefähr sein würde. Anhand der spärlichen Sonnenstrahlen, die durch die Oberlichter fielen, war es schwer die Uhrzeit herauszufinden. Irgendwann am Nachmittag. Aber so viel wusste ich ja auch schon vorher.

      Im Büro hörte ich den ‚Chef’ telefonieren, konnte aber dank der geschlossenen Tür kein Wort verstehen. Von den anderen vernahm ich keinen Laut. Da mir das Warten jetzt zu langweilig wurde, beschloss ich, mich mit dem am Boden liegenden Paul Pönkel zu beschäftigen. Vielleicht trug er ja irgendetwas bei sich, das mir weiterhelfen würde. Auf allen Vieren kroch ich zu dem Bewusstlosen herüber. Pönkel war bei dem Sturz vorhin offensichtlich auf das Gesicht gefallen. Es schien, als hätte er sich die Nase gebrochen und lag in einer Blutlache. Vorsichtig tastete ich seinen Hals auf der Suche nach dem Puls ab. Prima Kameraden hatte er da! Ließen den Mann einfach in seinem Blut liegen und möglichst noch ersticken. Pönkels Puls war schwach, aber noch vorhanden. Sein Atem ging ebenfalls schwach. Vorsichtig brachte ich den Mann in die stabile Seitenlage und säuberte ihm auch noch Mund und Nase. Dann durchsuchte ich seine Taschen, fand aber nichts was ich gebrauchen konnte. Vorsichtig zog ich mich wieder zurück.

      Und das auch keine Minute zu früh, denn laut schwatzend kamen die beiden Frauen um einen Stapel Waschmittelkartons herum. Ich identifizierte die Kartons als diejenigen, die die Bande bei Kaufstatt auf eine Palette geladen hatte.

      „Agnes, schau mal wie der Paul daliegt.“ Beide Frauen beugten sich über den Mann. „Das nennt man sichere Liegelage“, wusste die mit Agnes Angesprochene. „So etwas lernt man beim Führerschein.“ - „Aha, ja das habe ich auch gelernt. Glaube ich. Aber wieso hat sich Paul in diese Lage gedreht?“ Beide Frauen überlegten, dann gab Agnes wieder ihr Wissen zum Besten: „Paul kann sich doch gar nicht selber drehen. Paul ist doch bewusstlos!“ - „Ja, das stimmt. Das kann er dann wohl nicht. Aber wer hat Paul dann so hingelegt?“ - „Der Chef bestimmt.“ - „Der Chef? Da steckt ja doch ein Körnchen Menschlichkeit in ihm. Das hätte ich dem Mann nie zugetraut.“ Agnes warf einen Blick auf die Bürotür. Die andere Frau nickte: „Ja, harter Kern und weiche Schale sage ich immer. Oder so.“ Beide Frauen schauten abwechselnd auf Paul und dann wieder auf die Tür.

      Plötzlich meldete sich Agnes wieder: „Meinst du, ich könnte den Chef um einen Vorschuss bitten? Ich habe schon kein Geld mehr und bis wir unseren Anteil von den Kaufstatt