Maren Nordberg

Teufelsweg


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den Anreisezeitpunkt vorab mit uns ab…..

      Rainer blickte Inga irritiert an: »Hast du das gewusst?«

      »Nein, aber Marc hat vorhin angerufen und nach genau diesem Brief gefragt, er hatte ihn wohl schon sehnlichst erwartet. Als ich ihm nicht erlauben wollte, in das Internat zu gehen, hat er nur gesagt, dass wir bald sehen werden, wie er abreist. Und für heute Nacht hat er sich gleich bei seinem Freund Martin einquartiert.«

      »Und was machen wir jetzt?«

      »Hast du auch nichts davon gewusst? Ich dachte, ihr Männer hättet gemeinsame Sache gemacht und die labile Mutter nicht damit behelligt.«

      »Und ich dachte gerade, du hättest unter Tabletteneinfluss deine Unterschrift gegeben«, gab Rainer leicht gereizt zurück. Er ärgerte sich, jetzt half ein Streit auch nicht mehr. Er überlegte laut. »Wenn wir beide nichts unterschrieben haben, ist doch alles hinfällig, dann gelten die Verträge nicht, und mit solchen gefälschten Unterschriften kann er sich das Stipendium auch von der Backe schminken.«

      »Meinst du?«

      »Klar, wer schon Urkundenfälschung begeht, bevor er nur einen Fuß ins Internat gesetzt hat, wird bestimmt nicht mehr aufgenommen. Wo ist das Telefon?«

      »Willst du beim Sportinternat anrufen und denen absagen?«

      »Nein, natürlich nicht. Das kann Marc schön selber erledigen, wie ist noch mal seine Handynummer?«

      »Die steht im schwarzen Adressbuch im Flur.«

      Rainer kehrte mit dem Büchlein und dem Mobilteil des Telefons ins Schlafzimmer zurück. Inga seufzte: »Ich habe keine Lust mehr. Alles hat dieser blöde Unfall zerstört. Eigentlich bin ich tot und unsere Familie auch. Jetzt hält es nicht mal mehr unser Sohn zu Hause aus.« Sie war ganz in sich versunken und wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen. Rainer merkte, wie seine besorgte Stimmung langsam Risse bekam und er musste sich anstrengen, Inga nicht die Wahrheit an den Kopf zu werfen. Sie selber war schuld daran, nur weil sie mit dem Unfall nicht klarkam, machte sie allen das Leben zur Hölle. Vielleicht war der Unfall ja auch nur der Anlass, das Leben wegzuwerfen und nicht die Ursache. Rainer stockte kurz in seinen Überlegungen. So hatte er die Lage bisher noch nicht betrachtet. Eins nach dem anderen dachte er, jetzt musste er unbedingt Marc anrufen und sofort nach Hause bestellen, um mit ihm Tacheles zu reden. Die Mailbox meldete sich, Rainer forderte Marc zum Rückruf auf.

      Nachdenklich ließ er sich auf sein Bett sinken, Zeit für ein ernstes Gespräch mit Inga hätte er jetzt gehabt, aber brachte das jetzt was? Nein, er wollte lieber dafür sorgen, dass sie sich wieder besser fühlte, dann konnten sie sich über ihre Probleme unterhalten. »Inga, Liebling, ich koche uns jetzt eine schöne Gemüsesuppe, dann stellen wir uns den Fernseher hier im Schlafzimmer an und essen gemütlich im Bett.«

      »Wie früher!«, durchschaute Inga seinen Plan, an schöne Dinge aus der Vergangenheit anzuknüpfen.

      »Weißt du noch, wie wir manchmal komplette Regentage im Bett verbracht haben?«, fügte Rainer fast flehend hinzu.

      »Gute Nacht!«, konterte Inga, »ich habe heute keinen Appetit.« Sie wandte sich von ihm ab und nahm die Embryostellung ein. Ein sicheres Zeichen, dass sie jetzt schlafen würde, vielleicht hatte sie sich schon wieder mit ihren Mitteln einen sicheren Start ins Reich der Träume verschafft.

      »Das ist aber unfair! Du musst was essen, sonst bist du ja bald zu schlapp zum Aufstehen.« Rainer fühlte sich in diesem Moment nur noch von Inga im Stich gelassen. »Wir müssen doch gemeinsam überlegen, wie wir die Sache mit Marcs Internat aus der Welt schaffen. Er ist ja schließlich auch dein Sohn!«

      »Ist doch klar, was am Ende dabei herauskommt: Wir mögen ihn nicht im Internat und in seiner jetzigen Schule bloßstellen, deshalb werden wir die Geschichte mit den gefälschten Unterschriften schön für uns behalten. Das wäre dir doch viel zu peinlich, zuzugeben, dass mit deinem Sohn nicht alles glattläuft.«

      Rainer stutzte: »Wie, du meinst, wir sollen ihn einfach ziehen lassen?«

      »Klar, du hast doch sowieso nicht den Mumm, ihm das endgültig zu untersagen. Außerdem, wenn er sich dort wohler fühlt als hier, warum sollten wir ihm das verbieten? Der Unfallverursacher hat ganze Arbeit geleistet!«

      Rainer fühlte sich ertappt. Das war wirklich eine seiner großen Schwächen, dass er niemandem wehtun mochte und letztendlich Marcs Pläne auch nicht durchkreuzen würde. Vielleicht hatte Marc das Zeug zu einem Profisportler und er konnte ihm doch nicht die Karriere zerstören.

      »Daran ist nicht der Unfall schuld, sondern du ganz persönlich«, hackte Rainer zurück, weil er sich immer mehr ärgerte. Nicht er hatte ein Problem, sondern Inga! Sie hatte jetzt kein Recht, ihn anzugreifen. »Morgen gehe ich mit dir zum Arzt. Das ist ja mit dir nicht mehr auszuhalten!«

      Inga grinste überlegen und schloss die Augen.

      »Ich hole jetzt was zu Essen für uns beide, danach kannst du schlafen so viel du willst,« zischte er. Und diesmal würde er nicht lockerlassen, weder beim Essen noch beim Arztbesuch, schwor er sich.

      *

      Er stampfte wütend nach unten in die Küche. Das war aber auch ein Wechselbad der Gefühle. Eigentlich hätte er überglücklich sein müssen, dass Inga sich nichts angetan hatte. Und jetzt ärgerte er sich noch zusätzlich über die unaufgeräumte Küche, in der die Reste vom Frühstück, besonders die Torte, schon etwas rochen. Doch aufräumen konnte er morgen, jetzt musste die Gemüsesuppe schnell fertig werden. Er brachte Wasser zum Kochen, gab Instant–Biogemüsebrühe hinzu und suchte aus dem Gefrierfach eine Gemüsemischung heraus, die er in den Topf schüttete. Zum Schluss öffnete er die Dose Eierstich, schnitt ihn in kleine Quader und ließ ihn in der Suppe durchwärmen. Währenddessen stellte er ein Tablett mit zwei Gläsern, Löffeln und einer Wasserflasche bereit. Ihm fiel ein, dass er im Wohnzimmer die große Beleuchtung noch nicht wieder ausgeschaltet hatte. Er ging hinüber und machte die gemütliche Leselampe neben dem Sofa an, obwohl weder er noch Inga sich heute Abend mit einem Buch ins Wohnzimmer setzen würden. Diese Beleuchtung gab dem deprimierenden Montagabend aber einen Anschein von Normalität zurück. Er überlegte, was für Leuchtmittel sie für gemütliches Licht nutzen könnten, wenn es aufgrund des sogenannten Umweltschutzes keine 40 Watt Glühlampen mehr zu kaufen gab. Die quecksilberhaltigen Energiesparlampen gaben ein so kaltes Licht, das würde ihn am Ende auch noch depressiv machen. Zur Lichterzeugung wurden gerade mal fünf Prozent der gesamten Energie benötigt, hatte er vor Kurzem gelesen. Privathaushalte verbrauchten davon wiederum nur einen Bruchteil. Er fragte sich, wie viel Energie sich sparen ließe, wenn die Supermärkte nicht mehr bis vierundzwanzig Uhr öffnen würden, um die paar späten Kunden noch zu bedienen. Er ärgerte sich über sich selber. Warum grollte er jetzt wegen Tatsachen, auf die er keinen Einfluss hatte. Er konnte ja schlecht gegen alles gleichzeitig kämpfen.

      Seine Kräfte musste er ganz gezielt einsetzen, für Inga, für Marc und auch für seinen PRO-130-Verein. Er sah sich im Wohnzimmer um, es sah noch ganz passabel aus. Er schüttelte schnell die Sofakissen auf, rückte den Sessel zurecht, öffnete die Fenster und nahm die Tablettenpackungen sowie die leeren Wasserflaschen vom Tisch.

      Hier konnte er mit Marc nachher das klärende Gespräch führen. Vielleicht hatte Inga aber recht und es war besser, ihn ins Internat gehen zu lassen. Er schien sich das Stipendium schließlich hart erarbeitet zu haben und Inga erholte sich sicherlich besser, wenn Marc außerhalb untergebracht war.

      In der Küche füllte Rainer die Gemüsesuppe in zwei Schalen, legte die Backerbsen auf das Tablett und trug alles vorsichtig die Treppe hinauf. Inga schien zu schlafen. Er stellte auf jeden Nachtisch eine Suppenschale und ein Glas Wasser. Dann schaltete er den Fernseher in der Hoffnung an, Inga würde davon aufwachen. Er zappte durch die verschiedenen Programme und stieß auf einen Tatort aus Köln mit Ingas Lieblingskommissar Ballauf. Rainer streichelte zärtlich über Ingas Wange, dabei beugte er sich zu ihr hinüber und nahm nicht nur mit den Augen wahr, dass sie ihre Körperpflege vernachlässigt hatte. Das würde sich ändern, schwor sich Rainer. Inga erwachte langsam, während er weiter über ihre Wange strich.

      Als