Maren Nordberg

Teufelsweg


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zu tun hatte. Im Weser-Kurier war am Sonnabend ein langes Interview mit Rainer gewesen, in dem es um die Ziele seiner Initiative ging. Er und seine Mitstreiter glaubten tatsächlich, dass sie durch Aufklärungsheftchen sowie Fähnchen- und Luftballonaktionen eine Chance hätten, ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen durchzusetzen. Darüber konnte Inga nur müde lächeln. Allerdings musste sie ihm zugestehen, dass sie schon gespannt war auf die angekündigten Flashmobs und besonders auf den Internetpranger. Darauf sollte bald jeder Videoclips und Fotos von Verkehrsgefährdungen ausstellen können. Diese Ankündigung hatte für Aufruhr gesorgt, auf der Titelseite der BUNT-Zeitung war schon ein Antipranger dazu angekündigt worden, auf dem Enthüllungen über Mitglieder der Bürgerinitiative PRO 130 gesammelt werden könnten.

      Mit Rainer hatte sie seit dem unseligen Abend, als er sie zwingen wollte, die Suppe zu essen und sich dann doch unten Wohnzimmer mit irgendwelchen Leuten seiner Initiative vergnügt hatte, nicht mehr gesprochen. Sie würde ihn noch eine Weile zappeln lassen müssen, bis sie mit sich selber wieder ganz im Reinen war. Er hatte aber auch selber schuld, wenn er sie so sitzen ließ. Nicht mal mehr zum Schlafen war er aufgetaucht, wo sie ihn in dieser schwierigen Phase, wo sie dabei war, ihr einziges Kind ganz zu verlieren, doch so sehr gebraucht hätte. Wenigstens war er hier alle zwei drei Tage aufgetaucht und hatte versucht sie zu besuchen, allerdings ohne Erfolg, denn sie hatte sich standhaft geweigert, ihn zu empfangen. Vor einer Woche hatte er einen Brief abgegeben, den sie dann bei einem Gespräch mit Herrn Dr. Langner erhalten hatte. Herr Dr. Langner hatte ihr erklärt, dass mit diesem Brief eine schwere Last von ihr genommen werde, denn sie brauche nicht beim Prozess in Augsburg, wo der Unfall ab dem 5. Oktober verhandelt werden sollte, aussagen. Als Herr Dr. Langner an ihrer Reaktion merkte, dass sie diese Information nicht positiv aufnahm, fügte er erklärend hinzu, dass der Grund nicht ihre Erkrankung, sondern die eingeschränkte Prozessfähigkeit des Angeklagten sei. Dieser leide an starkem Asthma und sei auch schon 58 Jahre alt, deshalb habe man sich im Vorfeld darauf geeinigt, die Verhandlung zu verkürzen, damit sie überhaupt stattfinden könnte. Als Zeugenaussagen reichten in diesem Fall die Aussagen, die in den Polizeiprotokollen festgehalten worden waren.

      Nach dem Frühstück zog sich Inga ihre gute Bluse an, kämmte die Haare durch und band sie sorgfältig hoch. Zur Feier des Tages legte sie auch ihre seit zwei Jahren verschollenen goldenen Ohrringe an. Diese hatte sie in ihrer Tennistasche wiedergefunden, die sie zurzeit als Reisetasche nutzte. Beim überstürzten Aufbruch ins Krankenhaus hatte sie so schnell keine bessere Tasche gefunden. Heute wollte sie Herrn Dr. Langner zeigen, wie gut es ihr ging, damit sie am besten noch heute entlassen wurde. Es war schon Mittwoch und sie wollte ihren Aufenthalt in Augsburg vorbereiten.

      Sie merkte an ihren kalten feuchten Händen, wie erregt sie war, als sie an die Tür ihres Arztes klopfte. Sie holte tief Luft und trat ein. Nach der Begrüßung kam Inga gleich zur Sache: »Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie mir so schnell geholfen haben.«

      Langner sah sie erstaunt an. »Das freut mich, dass Sie sich jetzt schon wieder so gut fühlen, dann können wir für nächste Woche den Behandlungsplan so umstellen, dass wir die tieferen Probleme vorsichtig beleuchten.«

      »Das wäre sehr schön«, gab Inga vorsichtig zurück, »ich gehe davon aus, dass die weiteren Therapien ambulant zu organisieren sind.«

      Die kleine Pause, die ihr Gegenüber einlegte, gefiel Inga nicht, dann konzentrierte sie sich gespannt auf seine Worte. »Ich will ganz offen zu Ihnen sein, eine Sachlage wie bei Ihnen mit Unfall, Eheproblemen, Schwierigkeiten mit dem Sohn und eine beginnende Medikamentenabhängigkeit inklusive Hang zum Suizid erleichtert die Therapie nicht gerade, das wird ein weiter Weg werden.«

      »Soll das bedeuten, dass die Behandlung noch längere Zeit in Anspruch nimmt?«

      »So wird es sein, es soll aber auch heißen, dass sie auf alle Fälle noch eine Weile hierbleiben müssen.«

      »Das wird nicht möglich sein, denn es wird höchste Zeit, dass ich meinen Verpflichtungen zu Hause endlich wieder nachkomme.«

      »Wie stellen Sie sich das denn vor, wo sie nicht mal hier mit Ihrem Mann sprechen wollen, wenn er vor der Tür steht?«

      »Jetzt, wo es mir wieder gut geht, ist mir klar, dass ich meinen Mann nicht länger hinhalten darf, es ist höchste Zeit, dass sich unser Leben wieder normalisiert.«

      »Was verstehen Sie denn unter normalisiert, dass sie wieder wie vor Ihrem Zusammenbruch putzen, kochen und sich einigeln?«

      »Natürlich nicht, Sie haben sicher in der Zeitung von den Aktivitäten meines Mannes gelesen, ich will ihn endlich bei der Arbeit für die Bürgerinitiative unterstützen.«

      »Es tut mir leid Frau Gartelmann, das würde ich Ihnen gerne glauben, es passt aber leider nicht zu dem, was uns Ihr Mann über Ihre Ansichten zu seinen Aktivitäten erzählt hat.«

      »Wie, sie haben mit meinem Mann über mich gesprochen, ohne mich zu fragen?« »Natürlich, Ihr Ehemann hat das Recht, Informationen zu Ihrem Gesundheitszustand zu erhalten. Dafür findet bei uns im Hause immer ein Gespräch statt, bei dem wir natürlich auch die häusliche Situation aus Sicht des Partners abklären, um uns ein gutes Bild über den Krankheitsverlauf machen zu können.«

      »Wie soll ich Ihnen denn vertrauen, wenn Sie hinter meinem Rücken mit meinem Mann sprechen?«

      »Wenn Sie möchten, dass Ihr Mann keine Informationen mehr erhält, werden wir uns selbstverständlich danach richten.«

      Inga hatte das Gefühl, dass Dr. Langner ihren Entlassungswunsch nicht wirklich ernst nahm: »Herr Dr. Langner, ich möchte Sie bitten, einen Behandlungsplan aufzustellen, bei dem ich ambulant zu den Sitzungen kommen kann. Ich habe jetzt keine Zeit mehr, hier meine kompletten Tage zu verbringen.«

      Langner zögerte kurz, eine steile Falte bildete sich über seiner Nasenwurzel, dann begann er leise und überlegt: »Ich erkläre Ihnen jetzt, warum ich Sie nicht entlassen werde: Sie zeigen gerade das typische Verhalten eines potenziellen Selbstmörders. Sie ziehen sich gut an, legen Schmuck an und versuchen uns allen schon seit einigen Tagen zu beweisen, wie gut es Ihnen geht. Da sind Sie nicht die Erste, die das hier versucht. Sobald Sie dann wieder draußen sind, haben sie nichts Eiligeres zu tun, als sich vor den nächsten Zug zu werfen.«

      Inga schossen die Tränen in die Augen. Das hatte sie nun wirklich nicht vor. Jetzt von ihren wirklichen Plänen zu erzählen, half auch nichts mehr. Sie hatte genug. Sie stand abrupt auf und verließ grußlos den Raum.

      *

      Dabei hatte der Tag so gut angefangen. Inga konnte es kaum glauben, da bildete sich so ein junger lackaffiger Porschefahrer ein, er könnte über ihr Leben entscheiden. Sie hastete mit weit ausholenden Schritten den Gang entlang. Das war Freiheitsberaubung, das durfte er nicht! Plötzlich machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte fast zum Raum zurück, den sie eben so unüberlegt verlassen hatte. Gegenüber von Herrn Dr. Langners Tür saß Petra Anders auf einem der Stühle im Gang, Inga hatte sich beim Frühstück vor zwei Tagen kurz mit ihr unterhalten. Sie war extrem dünn und nur noch ein Schatten ihrer selbst. Seit ihrem dritten Versuch, sich ins Jenseits zu befördern wurde sie so mit Psychopharmaka vollgepumpt, dass sie nur noch wie eine Puppe herumsaß und kaum sprach. Hatte sie vor einer Minute auch schon dort gesessen und ihren schnellen Abgang beobachtet? Inga war sich nicht sicher. Langner hatte seine Tür für die nächste Patientin, Petra Anders, geöffnet und stand mit ungeduldiger Miene im Flur. Sie schien ihm nicht schnell genug zu kommen, er zog ungeduldig sein Schlüsselbund aus der linken großen Kitteltasche und ließ es wieder zurückgleiten.

      Inga stürzte auf ihn zu und schrie ihn an: »Sie dürfen mich hier nicht gegen meinen Willen festhalten!«

      »Bitte beruhigen Sie sich, wir wollen doch nur das Beste für Sie«, erwiderte er laut und bestimmt.

      »Was das Beste ist, bestimme ich immer noch selber!«, keifte Inga. Warum mussten Frauen immer so eine schrille Stimme haben, wenn sie schreien, ärgerte sie sich innerlich, damit machte man sich nur lächerlich. Sie merkte, dass sie noch ziemlich geschwächt war, ihr lief kalter Schweiß über den Rücken.

      Er neigte sich versöhnlich in ihre Richtung