Maren Nordberg

Teufelsweg


Скачать книгу

Und Inga hatte den ganzen Tag Zeit und die volle Freiheit zu Fahrradtouren, zum Schwimmen oder um für ihre Überzeugungen einzutreten. Was tat sie: nichts! Sie bemitleidete sich selber und machte auch ihm das Leben zur Hölle. Marc kam deshalb nur noch zum Schlafen nach Hause. Sie war dabei, ihre Familie zu zerstören. Genau das wollte er ihr heute Abend an den Kopf werfen. Vielleicht half das eher als alle vorsichtigen Gespräche.

      Er war so aufgewühlt, dass er beschloss, vor der Arbeit noch ein Stück an der Weser entlang zu fahren. Er kam am Café Sand vorbei, einem großen Ausflugslokal direkt an der Weser, mit kleinem Badestrand. Am Wochenende war hier immer viel los. Jetzt war es noch geschlossen, sonst hätte er sein Frühstück gerne hier fortgesetzt.

      Langsam fuhr er zurück in Richtung Kleine Weser und schloss sein Rad in der Neustadt vor der Unternehmenszentrale an. Die Sonne war inzwischen von Wolken verdeckt, da fiel ihm der Gang ins Büro wenigstens etwas leichter. Im Bremer Weser-Kurier lautete der Wetterbericht für heute sehr differenziert: Sonne, Wolken und auch mal etwas Regen. Wer für diese Berichte wohl verantwortlich war? Sie waren zwar schön bunt, aber völlig unpräzise und stimmten meistens trotzdem nicht annähernd. Tja, es gäbe noch so viel zu verbessern in der Welt und Inga lag auf dem Sofa herum. Rainers Wut war schon wieder verraucht und sein Humor brach sich den Weg. Bei so vielen Verbesserungsideen musste er schon fast wieder grinsen. Vielleicht lag das auch daran, dass er sich entschlossen hatte, genau heute mit der Gründung des Vereins PRO 130 zu beginnen. Er fühlte sich zwar etwas hilflos und von Inga im Stich gelassen, aber er könnte sich auch andere Unterstützung suchen. Vielleicht erwachten Ingas Lebensgeister wieder, wenn der Verein in Schwung kam und sie vor ganz konkrete Aufgaben stellte.

      Von Marc konnte er keine Unterstützung erwarten. Neben der Schule hatte er sich wieder voll in sein Leichtathletiktraining gestürzt. Im Hochsprung schaffte er schon wettkampfreife Höhen und auch die Kurzstrecken lief er immer schneller. Ihn konnte man jetzt nicht mit einem PRO 130–Verein ablenken.

      Aber es gab ja noch seine Arbeitskollegen, bei diesen wollte er gleich heute um Unterstützung werben. So eine gemeinsame Vereinsgründung könnte für ihn persönlich auch einen zusätzlichen Vorteil haben, er würde wieder mit Energie zu Arbeit gehen, weil man dort in Pausengesprächen die Vereinsarbeit vorantreiben konnte. Und vielleicht, in einigen Jahren, könnte der Verein so groß werden, dass er sich hauptberuflich um den Schriftverkehr kümmern müsste. Oder wir sind so erfolgreich, dass der Verein dann überflüssig ist, grübelte er.

      Rainer hatte seinen Arbeitskollegen in den Wochen nach dem Urlaub viele Fragen zum Unfall und zu den ganzen Interviews geduldig beantwortet. Häufig kam dann auch eine Diskussion über die Raserei auf den Autobahnen in Gang, wobei Irene Wolfgang und Jana Meyerdierks aus der Personalabteilung oft erregt und in aller Ausführlichkeit über eigene Beinahe-Unfälle berichteten. Rainer war allerdings nicht entgangen, dass es Kollegen gab, besonders im Vertrieb, die sich bei solchen Gesprächen lieber zurückzogen, wahrscheinlich, weil sie ihre Meinung freie Fahrt für freie Bürger gerade nicht für angebracht hielten.

      Seufzend nahm er seine Arbeitstasche vom Gepäckträger, zog das Klettband vom Hosenbein und ging mit gemischten Gefühlen in Richtung Eingang. Wenn der Verein tatsächlich in Fahrt kam, bedeutete das sicher auch einen ordentlichen Berg Arbeit.

      Als er die schwere Glastür öffnete, wusste er bereits, wie er die Sache anpacken konnte. Er würde nacheinander unauffällig in einzelnen Gesprächen ausgewählte Arbeitskollegen um Mithilfe bitten. Wenn der Verein dann ins Leben gerufen war, konnte man auch über Emails um weitere Mitglieder werben. Sonst würde sich noch sein Abteilungsleiter Herr Schwarz beschweren, weil Rainer die Kollegen von der Arbeit abhielt. Der grollte schon manchmal, wenn Geburtstagskuchen während der Arbeitszeit verteilt wurde.

      Rainer saß mit acht Kollegen in einem Großraumbüro, mit seinem fünfzigjährigen Kollegen Heiner Meier war er schon seit zehn Jahren in der gleichen Abteilung. Sie gingen mittags oft gemeinsam einmal um den Pudding, wie man in Bremen zu einem kleinen Rundgang sagt, und holten sich eine Bratwurst von Martin Kiefert am Domshof.

      »Moin Heiner,« grüßte er, als er das Büro betrat und kam gleich zur Sache, »ich habe am Wochenende über eine Vereinsgründung nachgedacht, nachher beim Mittagessen werde ich es dir genauer erzählen, du hast doch heute Mittag Zeit für unsere Runde?«

      Heiner nickte: »Klar, wenn es nicht regnet, bin ich bereit.«

      Rainer konnte die Zeit kaum abwarten. Obwohl er am Montag immer genug zu tun hatte, klickte er im Laufe des Vormittags mehrfach den Internetbrowser an, um sich über die Voraussetzungen für eine Vereinsgründung zu informieren. Er überprüfte auch bei wetter.com die Vorhersage für heute und sah mit gemischten Gefühlen, dass dort am Nachmittag einige Schauer erwartet wurden. Pünktlich um zwölf Uhr dreißig nahm er seine dünne Strickjacke vom Haken und registrierte erleichtert, dass gerade die Sonne schien und Heiner auch schon sein Portemonnaie aus der Schublade holte.

      Sie schlenderten Richtung Wilhelm-Kaisen-Brücke, um die Weser zu überqueren. Kurz vor der Domsheide, wo sich viele Bus- und Bahnlinien trafen, wandten sie sich nach links, überquerten die Bahngleise und die Straße. Nun brauchten sie nur noch wenige Hundert Meter geradeaus zu gehen, bis sie den Marktplatz erreichten.

      »Lass uns heute mal ins Berts am Marktplatz gehen, ich lade dich auch ein«, sagte Rainer großzügig, »ich möchte dir dort in Ruhe etwas über den geplanten Verein erzählen.« Es war zwar noch etwas wärmer geworden, aber hinter dem Bremer Dom türmten sich schon dunkle Wolken auf. Also steuerten sie auf den Eingang zu und suchten sich drinnen einen Zweiertisch in einer Ecke. Als sie aus der Mittagskarte einmal den Seelachs und einmal die Spaghetti Carbonara gewählt hatten, kam Rainer zur Sache. Heiner Meier hörte sich Rainers Überlegungen zum PRO 130–Verein interessiert an. Seine erste Anmerkung bezog sich dann auch schon gleich auf die Umsetzung des Plans.

      »Nun sag´ schon, wie gründet man denn nun einen Verein, das hat mich schon immer mal interessiert.«

      »Wir brauchen zunächst sieben Mitglieder. Ich habe gerade noch schnell eine Anleitung aus dem Internet ausgedruckt und mitgebracht. Rainer zog die zusammengefalteten Seiten aus der Hosentasche. »Wir sollten auch auf alle Fälle die Rechtsform eingetragener Verein anstreben, dann haftet nämlich niemand persönlich, falls etwas schiefgeht. Der Verein ist aber eine juristische Person, er kann klagen und natürlich auch selbst verklagt werden. Hoffen wir, dass wir mit ganz viel Rückenwind starten, bevor uns jemand Knüppel zwischen die Beine wirft. Meine Frau hat heute Morgen nämlich geunkt, dass die Autolobby überall ihre Finger drin hat und solche Aktivitäten, wie wir sie planen, im Keim erstickt.«

      »Wie viel müssen wir denn zum Start investieren?«

      »Die Gründung an sich ist mit etwa hundertzwanzig Euro beziffert. Wir müssen sieben Gründungsmitglieder zusammenbekommen, eine Gründungsversammlung einberufen und die Satzung erstellen. Dabei sollten wir aber vielleicht doch die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch nehmen. Nicht, dass das Finanzamt später daran herummäkelt. Die Kosten übernehme ich gerne, für unseren zerstörten Wohnwagen haben wir gerade die Summe von der Versicherung überwiesen bekommen. So wie es jetzt aussieht, werden wir uns in den nächsten Jahren bestimmt keinen neuen mehr zulegen.«

      »Wo bleibt eigentlich unser Essen?« Heiner Meier gab der Serviererin ein Zeichen. Sie kam und versprach, dass das Essen in wenigen Minuten auf dem Tisch stehen würde. Zunächst kehrte sie mit den Getränken zurück. Kurz darauf standen die Mittagsgerichte vor ihnen. »Mein Fisch ist gerade noch lauwarm, die haben den bestimmt in der Küche vergessen. Aber egal, so kann ich wenigstens schnell essen und noch bei Rechtsanwalt Bodenbrinck in der Langenstraße vorbeigehen und einen Termin vereinbaren. Kommst Du mit?«

      »Klar, das ziehen wir jetzt gemeinsam durch, außerdem ist mein Essen auch schon kalt.« Sie aßen zügig, Rainer zahlte für beide ohne Trinkgeld, danach vereinbarten sie beim Anwalt den Termin für kommenden Montag.

      »Mal schauen, wen wir noch als Gründungsmitglieder gewinnen, es können auch ruhig mehr als sieben sein.«

      Zurück im Büro sprach Rainer mehrere Kollegen aus seiner Abteilung an, keiner hatte Interesse. Da noch einige Terminarbeiten auf