Larissa Schwarz

Zauberhaft - Victoria


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Das war es eigentlich immer. Nur diesmal hat es so einen Grad der Bestimmtheit erreicht ...«

      »Liebling, Hakim war immer da. Ich weiß. Er hatte immer einen Platz in deinem Leben, deinem Herzen. Aber wenn ihr füreinander bestimmt wäret, hättet ihr in den letzten, ja nun fast zehn Jahren, doch einen Weg gefunden, das wirklich dingfest zu machen. Oder?«

      »Ja. Du hast recht. Ich bin froh, dass du das auch so siehst.«

      »Wann fliegst du?«

      »Montag.«

      »Machst du dir Sorgen, dass er ECG das Mandat entzieht?«

      »Nein. Erstens, schätze ich ihn nicht so ein und zweitens wäre das auch kein Beinbruch. Du hast mich gelehrt, nicht alle Eier in einen Korb zu legen. Inzwischen sind wir so gut und breit aufgestellt, dass wir im Prinzip auf den gesamten arabischen Raum nicht mehr angewiesen sind. Der Boom dort hat seinen Zenit meines Erachtens ohnehin überschritten. Ich denke, dass Europa wieder unser Kernmarkt werden sollte. In London habe ich momentan ein paar Sachen angekratzt, aber darüber mag ich gerade nicht spekulieren ...«

      »Dann mach mich auch nicht neugierig, Liebling. Geh lieber ins Bett und überleg dir, wie du Magnus behutsam an die Firma heranführen kannst. Vielleicht haben Moritz oder Elisabeth auch einen Rat für dich? Denen ging es ja ähnlich, damals.«

      »Hab ich auch schon überlegt, aber letztlich kann ohnehin niemand seine Reaktion vorhersagen ...« Victoria klang genervt. Früher hatte sie sich immer über solche Szenen in Filmen lustig gemacht, in denen das große Lebensgeheimnis eines Protagonisten offenbart wurde. Bei Moritz und Elisabeth war sie ebenfalls nur eine Randfigur gewesen. Es war auch nicht das erste Mal, dass sie sich jemandem offenbarte. Aber sie hoffte so sehr, dass es das letzte Mal sein würde.

      Magnus saß auf der Couch, das Tablet im Schoß und grübelte. Googeln? Nicht googeln? Es juckte ihm in den Fingern, Dr. Victoria Berg – suchen. Aber damit hätte er ihr Vertrauen missbraucht. Und das für läppische 12 Stunden Vorsprung? Er schämte sich, dass er es überhaupt in Erwägung gezogen hatte. Würde man nach ihm suchen, fände man sicherlich auch so einiges heraus. Sein Mittelalterverein hatte eine Internetseite, über den Wechsel von Berlin nach Eschberg war in der Zeitung geschrieben worden, ein paar alte Nachrichten über seine Amateur-Boxkarriere waren sicherlich unter den späteren Treffern. Er wollte aber selbst lieber nicht wissen, ob es Hinweise auf Ilona gab. Das Internet vergisst nie. Aber wie sagte Victoria vorhin? Es stehen auch eine Menge Unwahrheiten geschrieben.

      Sie hatte sich kurz per WhatsApp bei ihm gemeldet, dass sie noch auf einen Sprung zu ihrem Vater ging und dann »Gute Nacht« sagen würde, wenn sie zu Hause wäre. Er zückte sein Handy. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er mehrere Anrufe in Abwesenheit hatte. Eine ihm unbekannte, Essener Nummer. Essen? Er kannte niemanden in Essen. Magnus googelte die Nummer und las.

      Deutsche Bank, Kreditbetreuung.

      Das Herz rutschte ihm in die Hose. Er wählte den Rückruf. »Deutsche Bank Service Line, mein Name ist Ute Norberg, guten Abend.«

      »Guten Abend, Magnus Brandt. Ich hatte einen Anruf auf dem Display unter dieser Nummer.«

      »Das waren vermutlich die Kollegen der Kreditbetreuung. Sie erreichen sie montags bis freitags zwischen 8 und 18 Uhr.«

      »Oh. Ja. Vielen Dank«, verabschiedete er sich.

      Klar. Mitten in der Nacht würde in der Kreditbetreuung niemand mehr sitzen. Natürlich ahnte er, was die Bank von ihm wollen würde. Seit Wochen stand sein Konto am Limit, zwei Kreditraten aus der Umschuldung des Wohnungsverkaufs waren geplatzt, ebenso eine Rate des Hochschulabsolventenkredites und er war sich nicht sicher, was mit der Abbuchung der nächsten Kreditkartenabrechnung geschehen würde. Als er und Ilona die Wohnung abgewickelt hatten, war eine mittlere fünfstellige Summe offengeblieben, wie so oft bei einem Notverkauf. Ohne eine neue Sicherheit stellen zu können, musste er den Restbetrag über einen Standardkredit finanzieren. Dazu hatte er sich an seine frühere Hausbank gewandt, er wollte nicht, dass Ilona Zugriff auf die Konten hatte und sah, was er mit seinem Geld anstellte. Die letzten fünf Jahre hatte er sich wenig darum kümmern müssen, die letzten fünf Monate wohl zu wenig geschert.

      Es wurde ihm heiß und kalt. Magnus suchte nach den Zugangsdaten für sein Onlinebanking, konnte sie aber nicht finden. Er rechnete nach. Dass er am Morgen zu Tobias gesagt hatte, er dümpelte um das Existenzminimum, war eigentlich ein Spaß. Aber nach den Abzügen durch die Krankenversicherung, den Trennungsunterhalt, der fast die Hälfte seines Einkommens ausmachte, den Raten für die Umschuldung und den alten Kredit blieben ihm noch 1000 € für den Lebensunterhalt. Minus Miete, anderen Versicherungen und den Kosten für das Auto kam er bei knapp dreihundert Euro aus. Etwas mehr, als Victoria gestern für das Buch ausgegeben hatte. Er schüttelte den Kopf. Rechnete nach. Es blieben 283 €.

      Das Handy schellte. Vom Display lächelte ihn Victoria an. Er verwarf den Anruf. Jetzt nicht. Jetzt bitte nicht.

      Victoria sah irritiert auf ihr Handy. Hatte Magnus sie gerade »weggedrückt«? Das Freizeichen hatte sie gehört, dann den Besetztton. Sie öffnete WhatsApp wieder. Er war immer noch online.

      💎 Hey, habe gerade versucht, dich anzurufen. Irgendwie ging das schief. Hab ich dich im falschen Moment erwischt?

      Ein Häkchen. Zwei Häkchen. Zwei blaue Häkchen.

      Magnus fühlte sich ertappt. Er musste antworten.

      🎓 Ist grad ungünstig.

      💎 Oh. Sorry.

      Victoria schossen die Tränen in die Augen. Was war in der kurzen Zeit passiert? So knapp und unterkühlt hatte Magnus bisher nie geantwortet. Kein Küsschen, kein Smiley. Sollte sie noch mal nachhaken? Lieber nicht. Er würde sich melden, wenn es wieder »günstig« wäre. Den Schmerz in ihrer Brust versuchte sie zu ignorieren, schaltete das Handy in den Nachtmodus und deckte sich zu. Hatte Berlin ihn eingeholt? Dubai hatte sie jedenfalls an diesem späten Abend noch erwischt. Das Gespräch mit ihrem Vater kam ihr wieder und wieder in den Sinn. Unabhängig davon, wie es mit Magnus weitergehen würde, müsste sie unter die Sache mit Hakim einen Schlussstrich ziehen.

      Unruhig wälzte sie sich hin und her. Irgendwann, weit nach Mitternacht fiel sie in einen traumlosen Schlaf.

      Mittwoch, 17.07.

      Als sie um fünf Uhr morgens den Wecker hörte, sah sie als erstes in den Nachrichteneingang. Nichts. Kein Wort von Magnus. Damit war der Tag offiziell gelaufen.

      Am anderen Ende Eschbergs riss der Wecker Magnus von der Couch. Er musste über den Unterlagen eingeschlafen sein. Nach genauer Durchsicht hatte er sich entschlossen, die Zahlungen an Ilona einzustellen. Es ergab keinen Sinn. Das Recht war auf seiner Seite, egal wie vorsichtig er und Tobias agiert hatten. Als Erstes würde er den Dauerauftrag stoppen. Dann müsste er die Neuordnung der vorhandenen Verbindlichkeiten angehen.

      Victoria.

      Der Gedanke an sie ließ ihn wie vom Blitz getroffen zusammenzucken. Er hatte ihr gar nicht mehr geschrieben und die letzte Nachricht war alles andere als freundlich und liebevoll. Völlig entsetzt stützte er die Arme auf die Knie und den Kopf in die Hände. Für halb eins waren sie verabredet. Sollte er sie lieber anrufen? Schreiben? Persönlich um Verzeihung bitten? Er würde sich erklären müssen. Peinlich.

      Da ihm ohnehin wenig Zeit an diesem Tag blieb, verschob er die Entscheidung, wann und wie er Victoria ins Vertrauen ziehen wollte, auf später. Die Dusche klärte seine Gedanken ein wenig und er sammelte seine Konzentration für die Verhandlung um acht. Länger als eine Stunde durfte es nicht dauern oder er käme zu spät nach Düsseldorf.

      Gehetzt betrat er eine Dreiviertelstunde später sein Dienstzimmer. Frau Scharnweber war noch nicht da, also setzte er den ersten Kaffee auf. Ihm blieben noch knapp zwei Stunden, ein bisschen was würde er in dieser Zeit wohl schaffen. Immer wieder aber lenkte ihn das Handydisplay ab. Sollte er? Sollte er nicht? Nicht, dass Victoria dachte, er würde das Treffen platzen lassen.