Larissa Schwarz

Zauberhaft - Victoria


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      Als David Meißner Victoria um kurz nach sieben statt in der Lobby im Büro sitzen sah, wusste er, was das zu bedeuten hatte; einer der wenigen Tage, an denen Victoria schlechte Laune hatte, war angebrochen. Also schickte er die erste Mail des Tages an Lisa vom Empfang: »Do not disturb.« Damit war alles gesagt. Keine Störungen, sonst würde der Vulkan ausbrechen. Ein einziges Mal hatte er einen Wutanfall miterlebt. Er wünschte sich seither, dass es nie wieder dazu käme. Angefangen hatte der Tag damals wie heute, Victoria saß in ihrem Büro, die Jalousien zu allen Seiten zugezogen, Telefon auf Davids Apparat umgeleitet und das »Do not disturb«-Schild an der Tür. David ahnte Fürchterliches.

      *

      Um kurz nach halb neun war die Verhandlung bereits geschlossen. Magnus hatte schnell ein rundes Bild von der Angelegenheit bekommen, der Angeklagte war geständig gewesen, die Schöffen einer Meinung mit ihm. Was sollte er die Sache also in die Länge ziehen? Wenige Minuten nachdem er die schwarze Robe ausgezogen hatte, saß er in seinem Auto, tippte das Ziel in sein Navi ein und schrieb Victoria.

      🎓 Hey ... Bin jetzt auf dem Weg nach Düsseldorf. Das mit heute Nacht würde ich dir gern persönlich erklären. Bis später. 😚

      Zwei graue Häkchen.

      Auch als er, nicht ganz zwei Stunden später, das Bürohochhaus des Oberlandesgerichts in Düsseldorf schon wieder verließ, waren die Häkchen noch grau. Sie hatte seine Nachricht nicht gelesen. Betrübt sah er immer wieder auf das Display. Magnus war fast eine halbe Stunde zu früh dran gewesen, der Termin wurde vorgezogen und hatte nur kurz gedauert. Drei Unterschriften, kurzer Wortwechsel, fertig.

      Er hatte jetzt anderthalb Stunden zu überbrücken. Ihm graute es davor. Also überlegte er, was er mit der Zeit anstellen könnte. Warum Victoria eigentlich nicht im Büro überraschen? Und wenn es nur für ein kurzes »Hi!« reichen würde und er die restliche Zeit irgendwo auf sie warten müsste, er musste sie jetzt sehen.

      Aber, wo musste er hin? ECG, das war ihm im Gedächtnis geblieben. Er durfte zwar Victoria nicht googeln, aber die Firmenadresse war ja kein Geheimnis, also tippte er. ECG.

      »Meinten Sie ECG AG?«, war Googles Antwort. Hm. Wahrscheinlich.

      »ECG AG Adresse Düsseldorf«, korrigierte Magnus.

      »ECG AG Düsseldorf, Medienhafen. Entfernung zum jetzigen Standort Victoriaplatz: 2,8 km.«

      Laufen oder fahren? Laufen. Und währenddessen die Bank anrufen.

      Das Gespräch war ernüchternd. Die Bank setzte ihm die Pistole auf die Brust: Zahl oder stirb.

      Durch den Umzug hatte er die Mahnungen nicht erhalten, die Frist von 14 Tagen war fast verstrichen. Immerhin war die Dame am Telefon so freundlich, den Dauerauftrag an Ilona zu stoppen und ihm seine Fragen zu beantworten. Eine Umschuldung kam nicht in Frage, da er bereits das Immobiliendarlehen umgeschichtet hatte. In Summe schuldete er der Bank aktuell knapp 70.000 Euro. Der Magen drehte sich ihm um. Er rechnete zusammen, was er Ilona im Laufe der Zeit gezahlt hatte und was sie ihm eigentlich anteilig schuldig wäre. Mit dem spitzen Bleistift kalkuliert, blieben an ihm eigentlich nur 20.000 Euro hängen. Ein Klacks, bei seinem Gehalt. Aber die Bank rechnete anders. Magnus hatte, aus falscher Rücksichtnahme auf Ilonas Status als Bankerin, die Verträge allein unterschrieben, jetzt haftete er auch allein.

      Ein kurzer Anruf bei Tobias munterte ihn auf. Das Scheidungsverfahren war, nach einigem hin und her, an einen anderen Richter abgegeben worden. Die Antragsschrift auf die Ausgleichszahlung von Ilona an Magnus war gerade per Fax an ihren Anwalt rausgegangen. Es könnte dauern. Ja. Aber Tobias verabschiedete sich mit den Worten: »Alles wird gut. Allons-y«, und das tat er nur, wenn er sich absolut sicher war, zu gewinnen.

      Medienhafen. Magnus schmunzelte. Er war da. Und das Gebäude war nicht zu übersehen. ECG. Der alte Backsteinbau gefiel ihm, das Rot leuchtete in der Sonne, der blaue Himmel spiegelte sich in den Fensterscheiben, die parkähnliche Anlage lud zum Flanieren ein. Kein Wunder, dass Victoria gern hier arbeitete.

      Von weitem sah er den Mustang, sie war also da. Er blickte auf sein Handy. Graue Häkchen. Etwas mehr als eine Stunde zu früh. Einen Versuch war es wert.

      Durch das große Portal betrat er die Lobby, es war angenehm kühl im Innern des Gebäudes und er fühlte sich fast wie im Hotel. In kleinen Sitzgruppen tummelten sich Mitarbeiter, die Geräuschkulisse war dezent und er war bereits zweimal freundlich gegrüßt worden. In den Fluren der Amtsgerichte, die er kannte, wäre das nie und nimmer passiert. Hier roch es nach Kaffee, frischen Waffeln und Croissants. Dort nach jahrzehntealtem Bohnerwachs, modrigen Archivakten und dem Angstschweiß der Angeklagten. Zwei völlig verschiedene Welten.

      »Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?« Der Mitarbeiter, der laut Ausweis Dr. Markus Bruckmann – Head of Legal Consulting and Compliance – war, hatte den etwas ratlos dreinschauenden Magnus auf seinem Weg zum Empfang angesprochen.

      »Guten Tag. Ich bin Magnus Brandt und möchte gern zu Victoria Berg.«

      »Haben Sie einen Termin mit ihr?«

      »Privat. Ja. Ich bin nur etwas zu früh dran ...«

      »Ah, Moment. Dr. Magnus Brandt, klar. Moritz hat mir von Ihnen erzählt.«

      »Moritz von Eschberg? Ähm. Wieso ...?«

      »Moritz und ich sind seit Ewigkeiten befreundet und haben hier früher zusammen gearbeitet, Elisabeth war meine Assistentin. Lange Geschichte. Wir haben heute früh telefoniert und er hat mir von Ihrer Begegnung gestern erzählt. Ich bin quasi im Bilde.«

      »Und ich bin immer wieder erstaunt, wie klein die Welt doch ist.«

      »O ja. Das ist sie. Ich bin übrigens Markus, ich hoffe, es spricht nichts dagegen, wenn wir uns duzen?«

      »Nein, gern. Magnus«, schüttelte er seine Hand.

      »Fein. Ich frag gern mal Lisa, ob Victoria schon abkömmlich ist. Warte am besten da vorn in der Sitzgruppe, ich komme gleich zurück. Soll ich dir einen Kaffee bringen lassen?«

      »Danke, nicht nötig.«

      Aus der Entfernung sah Magnus, wie Markus mit der Dame am Empfang diskutierte. Seine Mimik und Gestik waren eindeutig, irgendetwas lief gerade schief. Ein paar Augenblicke später kam Markus zurück.

      »Sorry, ich komm an Lisa gerade nicht vorbei ...«

      »Wie meinst du das?«

      »Sie hat Anweisung von Victorias Assistenten, niemanden durchzustellen oder ohne Termin vorzulassen. Euer Date steht offenbar nicht im Kalender und Victoria hat nicht Bescheid gesagt.«

      Magnus kicherte. »Moment, Victoria hat einen eigenen Assistenten? Und der entscheidet, wer eine Audienz bekommt und wer nicht?«

      Markus blickte ihn skeptisch an. »Sie hat dir noch nicht viel über die Firma erzählt. Oder?«

      »Nein.« Magnus gefror das Grinsen im Gesicht und er verengte die Augen zu Schlitzen. »Und lass mich raten, du wirst mich jetzt nicht erhellen!?«

      »Hm. Schwierig. Pass auf, ähm, ich schau mal, was sich machen lässt. Bleib einfach hier sitzen, lass dir einen Kaffee bringen und entspann dich. Ans Handy wird Victoria wohl jetzt nicht gehen. Aber da augenblicklich kein Meeting ist, schau ich mal, ob ich sie aus ihrem Büro gelockt bekomme.«

      Markus verabschiedete sich. Magnus fröstelte. Was wurde hier gespielt? Victoria hatte ihre Arbeit die ganze Zeit heruntergespielt oder zumindest nicht konkretisiert, was genau sie machte. Aber das Aufheben um sein Erscheinen hier kam ihm äußerst seltsam vor. Er begann, sich zu fragen, was für einen Job sie wirklich machte.

      Um sich abzulenken, sah er auf sein Handy. Zwei blaue Häkchen. Sie hatte die Nachricht gelesen. Zufall? Oder hatte Markus sie bereits angetroffen und informiert? Für einen Moment ergriff ihn die Panik und er überlegte, ob er noch flüchten sollte. Wenn sie sauer war, wegen der Abfuhr in der Nacht zuvor, wäre sie sicherlich nicht erfreut, das am Arbeitsplatz auszudiskutieren.