Larissa Schwarz

Zauberhaft - Victoria


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eine Physiotherapeutin und einen Psychologen für deine Mitarbeiter? Wo muss ich unterschreiben?« Er lachte. Victoria war erleichtert. Der Spaß hätte genauso gut nach hinten losgehen können. »Aber du hast recht, momentan könnte ich das Eine nicht genießen und bräuchte bei dem Anderen auf jeden Fall mehr als die mir noch verbleibenden 15 Minuten.« Für einen Moment hielt er inne. »Nicht, dass du mich für einen Psychopathen hältst, das bei weitem nicht. Gestern Abend sind nur Vergangenheit und Gegenwart wie bei einem Gewitter frontal aufeinandergeprallt und ich stand an der Okklusionsfront. Mittendrin.«

      »Magnus, du musst dich weder weiter entschuldigen noch erklären. Mich haben die letzten drei Tage auch aus der Bahn geworfen.« Sie strich über seine Wange und blickte ihn traurig an. »Eigentlich wollte ich dich überraschen und am Wochenende entführen. Ohne Rücksicht auf Verluste, nur du und ich, Kurztrip irgendwohin. Nur – und das wird jetzt eine Bruchlandung auf dem Boden der Tatsachen: es gibt ein Problem mit Dubai. Ich werde schon heute Abend um 21.25 Uhr fliegen und wahrscheinlich trotzdem erst am 01.08. zurückkommen. Die Behörden haben Stress gemacht wegen einer Firmenübernahme im letzten Monat und aus Sicherheitsgründen können die Dokumente dazu nicht per Mail verschickt werden. Außerdem kann ich das wegen der Sprachbarriere besser vor Ort klären.«

      Magnus murmelte etwas, das sich wie »Fuck« anhörte und biss sich auf die Zunge.

      »So was passiert sehr selten. Eigentlich nie. Ich kenne meine Termine für gewöhnlich Wochen und Monate im Voraus ... Wenn ich es geahnt hätte, hätte ich dir das früher gesagt. Die Info kam zehn Minuten, bevor du hier warst.«

      »Schon okay ... Das ist dein Job ...« Wieder vergrub er sein Gesicht zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter, in der Hoffnung, dass sie nicht bemerken würde, dass ihm gerade zwei Tränen aus den Augen rannen. Magnus presste sie fest an sich und wiegte sie in seinem Arm und auch Victoria hielt ihn fest, grub ihre Finger auf seinem Rücken ein und weinte.

      Als sie sich voneinander lösten und ansahen mussten sie lachen. Die Anspannung war von ihnen abgefallen, für den Moment zumindest.

      »Musst du dann nicht auch bald los, packen?«, fragte Magnus sie, mit Blick auf die Uhr.

      »Das klingt jetzt so dekadent, wie es ist: Meine Haushälterin packt gerade schon den Koffer und ein Kurier wird ihn gleich abholen und am Flughafen einchecken. Was ich dann nicht dabeihabe, muss ich entweder nachkaufen oder entbehren. Und für die Arbeit brauche ich nur mein Handy, das Tablet und meinen Kopf. Nichts weiter.«

      Magnus atmete tief ein. Der Spread zwischen ihrem und seinem Lebensstil wurde immer größer. Einerseits behagte ihm das überhaupt nicht, andererseits war sie so normal, so nett, so bezaubernd und süß. Liebenswert eben.

      Victoria stand an ihrem Schreibtisch, Magnus noch immer vor dem Gemälde an der Wand über der Sitzgruppe.

      »Ich ruf jetzt den Fahrer, wenn das für dich in Ordnung ist?«, fragte sie und griff zum Hörer.

      »Ja. Aber nur, wenn es keine Umstände macht«, antwortete er gedankenversunken.

      »Hallo Reik, schickst du mir bitte jemanden hoch, der Herrn Dr. Brandt abholt und ihn zum OLG fährt? ... Prima. Danke.«

      Als sie aufgelegt hatte, schlich sie zu Magnus herüber und schloss ihn von hinten in die Arme. »Was fasziniert dich so an dem Bild?«, fragte sie ihn leise.

      »Alles. Es ist wunderschön, majestätisch. Dynamisch, imposant. Es strahlt eine immense Kraft aus.« Er drehte sich zu ihr um. »Wie du. Es erinnert mich an dich.«

      Um halb drei saß Magnus wieder in seinem Amtszimmer, doch die Ereignisse der Mittagsstunden ließen ihn nicht los. Wie in Trance hatte er den Rückweg bestritten, nachdem der Fahrer der Limousine ihm die Tür aufgehalten hatte und ihn aussteigen ließ. Ihm kam plötzlich alles so klein vor, grau und leblos, im Vergleich zu dieser schillernden und dynamischen Welt, in die er eingetaucht war. Irene Scharnweber riss ihn aus den Gedanken, in die er sich gerade verstrickte.

      »Herr Dr. Brandt, hier sind die Akten für morgen. Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie um 15 Uhr die Sitzung mit den Richtern haben?«

      »Ja, danke«, murmelte er und unterschrieb den Beschluss. »Frau Scharnweber, warten Sie bitte einen Moment ...«

      Magnus war aufgestanden und bot ihr den Platz gegenüber an. »Wir hatten bisher kaum Zeit, uns zu unterhalten. Nicht, dass Sie meinen, ich hätte kein Interesse daran. Es sind nur irgendwie tausend Dinge auf mich eingeprasselt in den letzten drei Tagen und da ging einiges unter. Es tut mir leid.«

      »Das ist nett, dass Sie das sagen. Wissen Sie, Ihr Vorgänger Herr Hoffmann und ich haben fast fünfzehn Jahre lang zusammen gearbeitet. Als er vor drei Monaten in den Ruhestand gegangen ist, habe ich es mit der Angst bekommen. Mit 55 noch mal einen Neuanfang unter einem so jungen Chef, habe ich mir gedacht ...« Sie stockte.

      Magnus sah sie aufmunternd an und half ihr: »Der dann auch noch so abweisend und chaotisch daherkommt, ein bisschen planlos durch Eschberg stolpert und nicht gerade den Eindruck macht, als würde er das alles hier sonderlich ernst nehmen ...«

      Sie blickte ihn konsterniert an. »Na ja, ganz so hart würde ich das nicht formulieren, aber Ihnen eilt ein gewisser Ruf voraus ...«

      »So? Lassen Sie mich raten ... Ich sehe Eschberg nur als Sprungbrett zu höheren Weihen und will mich hier gar nicht lange aufhalten und erst recht nicht mit den Menschen befassen!?«

      »Ja, so etwas erzählt man sich, wenn ich das so offen sagen darf.«

      »Dürfen Sie. Ich bitte Sie sogar darum. Ich will nicht, dass so etwas unausgesprochen im Raum steht. Erst recht nicht zwischen Ihnen und mir. Und ich mag Zweifel an meiner Person nicht. Was jetzt aber kein Angriff auf Sie sein soll.«

      »Wenn Sie das so sagen.«

      »Das meine ich auch so.« Magnus zwinkerte ihr zu. Sie lächelte.

      »Haben Sie schon was gegessen? Ich sehe Sie immer nur mit Kaffee oder dieser Cola und dauernd liegen Aspirin auf Ihrem Schreibtisch.« Irene Scharnweber klang ernstlich besorgt. Da war sie, die mütterliche Seite, die Magnus an ihr vermutet hatte.

      »Ja, gerade in Düsseldorf. Aber nett, dass Sie fragen. Ich war übrigens am Montag bei Mutti. Die Currywurst war wirklich gut.« Er lächelte sie an.

      Verschämt blickte Frau Scharnweber nach unten. »Ich habe Sie gesehen, mit Frau Dr. Berg. Ich bin zufällig dort vorbeigekommen, als ich zum ›Wollkorb‹ gelaufen bin.«

      »Kein Grund den Kopf zu senken. Weder für die zufällige Beobachtung, noch für das Stricken.« Beide kicherten.

      »Die Frau Dr. Berg ist eine Nette. Und so hübsch ...«, fuhr sie erleichtert fort.

      »Kennen Sie sie?« Magnus wurde neugierig.

      »Nur flüchtig. Ihr Vater, Dr. Engwald, und ich begegnen uns manchmal mit den Hunden im Wald. Er hat zwei wunderschöne Weimaraner. Wenn er mal verreist ist, geht Frau Dr. Berg mit den Hunden aus. Manchmal auch der Gärtner oder die Haushälterin. Aber Justus und Jonas kennen meine Luisa und die drei tollen und toben gern miteinander. So bin ich hin und wieder mit ihr ins Gespräch gekommen.«

      »Ah.« Magnus lehnte sich zurück. War es unfair, Frau Scharnweber plaudern zu lassen? Nein. Und das Verbot, Victoria zu googeln war passé. Er hörte aufmerksam zu.

      »Sie mögen sie, nicht wahr?«, schlussfolgerte sie, lief rot an und zog die Nase kraus.

      »Ja, sehr gern sogar. Aber ich will Sie nicht über sie aushorchen.«

      »Ach, wo denken Sie hin? So gut kenne ich die Familie ja auch gar nicht. Nur das, was man eben so weiß ....« Sie blickte Magnus an, der zuckte mit den Schultern. »Also, Dr. Engwald und die Mutter von Victoria, ich sag jetzt mal Victoria, das mit dem Frau Dr. Berg ist mir zu lang, also, die Eltern von Victoria waren nie verheiratet. Die Firma war damals noch viel kleiner als heute, aber man kannte die beiden eben. Dr. Engwald war immer schon sehr engagiert im Lions Club und es war kein Geheimnis, dass er und Frau Berg ein Kind erwarteten. Als es dann so weit war, war die Mutter über Nacht spurlos verschwunden