Joachim Reinhold

Jennings, Erdprotektor


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SAS hat in letzter Sekunde zugeschlagen und uns herausgeholt. Inzwischen ist mein Gesicht bekannt, zweimal in wenigen Tagen der SAS in die Hände zu fallen, spricht nicht gerade für meinen guten Ruf. Egal, ich lebe. Alles andere wird sich regeln.

      Katee. Philipp. Die Erinnerungen stürzen brutal auf mich ein. Um mich herum herrscht Totenstille, und mein Unbehagen wächst, beginnt an meiner Seele zu kratzen. Meine Blase drückt.

      »Hey!«, brülle ich. »Ich muss auf die Toilette! Bitte! Ich mache Ihnen auch keine Schwierigkeiten. Versprochen!«

      Meine Worte verhallen im Nichts. Minuten verstreichen. Der Druck geht in stechenden Schmerz über. Sich im Schlamm von Stonehenge in die Hose zu machen ist das eine, hier, in dieser als klinisch zu bezeichnenden Zelle sträube ich mich, auf den Boden zu pinkeln. Ich keuche, kämpfe. Zwecklos. Beschämt, aber erleichtert höre ich, wie das Rinnsal auf den Boden plätschert.

      »Guten Morgen«, haucht eine sanfte Frauenstimme hinter mir.

      Wäre ich nicht gefesselt, würde ich augenblicklich im Boden versinken. Ich suche krampfhaft nach reinigenden Worten, leider will mir nichts Vernünftiges einfallen. Während meine Gedanken Purzelbäume schlagen, kriecht ein widerlich süßer Geruch nach Bienenhonig und Mandeln in meine Nasenflügel. So ekelerregend süß und betäubend, dass ich für einen Moment befürchte, in einer Gaskammer gelandet zu sein.

      Die Frau legt ihre Hand behutsam auf meine rechte Schulter. Ich drehe ihr den Kopf zu, viel mehr als ihren Schatten kann ich nicht erhaschen. Offenbar möchte sie nicht, dass ich sie näher in Augenschein nehme.

      Mir wird übel. Wie es ein Mensch in einer solchen Duftwolke aushalten kann, ist mir schleierhaft. Noch befremdender ist mir die Vorstellung, dass man von diesem Pesthauch einen Ständer kriegen kann. Aber genau das passiert! Mein kleiner Kumpel schwillt an und wird steinhart. Doch es kommt noch schlimmer: Ich beginne zu phantasieren, kralle mich an die metallenen Stuhllehnen, schreie vor Ekstase, bettele um Erlösung. Ohne dass ich es verhindern kann, spannt sich mein Beckenboden an und beginnt rhythmisch zu zucken. In meiner Vorstellung bohre ich mich wie ein Speer in die Frau hinein. Im Gegenzug sticht eine dicke Nadel langsam in meine Halsvene. Eiskalte Flüssigkeit schießt durch meine Adern, beendet den Gestank und auch meine Erektion.

      Mein Herz beruhigt sich langsam, ich schnappe nach Luft.

      »Entschuldige. Es war nicht meine Absicht, dich unnötig zu quälen. Du verträgst meine Pheromone nicht. Wie es aussieht, hat man dir das AntiNy nicht gespritzt?«

      Die Sache mit dem AntiNy überhöre ich, lediglich das Wort Pheromone bleibt in meinem Bewusstsein hängen. Gut, dass ich gefesselt bin. Am Ende wäre ich aufgesprungen und hätte mich an meiner Besucherin vergriffen. Ich lasse den Kopf hängen.

      »Ich heiße Ny'Chelle.«

      Ihre Stimme hat den Tonfall einer lieben Freundin. Ny'Chelle streicht mir behutsam über die Wange, gibt mir einen Hauch von menschlicher Wärme. Eine Sekunde später fahre ich zusammen. Ny'Chelle greift mir von hinten in den Schritt und kratzt mit ihrem Fingernagel über die Eichel.

      »Hey, was soll das?«, rufe ich mit zusammengepressten Lippen. Ich höre, wie Ny'Chelle ihren Finger genüsslich ableckt.

      »Dein Samen schmeckt blutig. Wann hattest du deinen letzten Erguss?«

      »Das geht Sie einen verdammten Scheißdreck an! Hände weg von meinem Schwanz!«

      Ny'Chelle lacht glockenhell. »Männer! Hättet ihr häufigeren Sex und würdet ihr weniger Milch trinken, hättet ihr auch weniger Probleme mit eurer Prostata.«

      »Wen interessiert das?«

      Ausgebrannt habe ich keine Lust auf eine andrologische Beratung. Meine Peinigerin scheint das ähnlich zu sehen und tritt in mein Sichtfeld. Ihr Anblick ist atemberaubend und nicht von dieser Welt. Sie ist hochgewachsen und trägt einen knallengen, hautfarbenen Einteiler. Außer ihren Händen und Füßen spart er zwei weitere Körperteile aus: Ihren Kopf mit hüftlangen, weißblonden Haaren sowie ihre weiß gefederten Engelsflügel.

      Mir fällt ein Stein vom Herzen. Entweder rase ich im Krankenwagen einer ungewissen komatösen Zukunft entgegen oder ich bin tot und trotz meiner Sünden im Himmel gelandet. Statt Petrus hat mich Erzengel Ny'Chelle in Empfang genommen und mir zur Begrüßung einen phantastischen Orgasmus beschert. Was für ein Start ins ewige Leben! Ny'Chelle blickt mich aus rotgoldenen Augen und einem von Make-up unpervertierten Gesicht an. Ich schmachte für den Moment, an dem sie mich losbinden und ich mich in ihre Arme schmiegen würde. Da bekommt meine neue Flamme einen Lachanfall und entblößt ein grässliches Raubtiergebiss mit langen, spitzen Reißzähnen. Die Göttin hat sich verabschiedet und den Satan hervorgekehrt.

      »Programm starten!«, befiehlt sie und fixiert mich wie die Schlange das Kaninchen. »Wir gehen wie folgt vor: Du beantwortest meine Fragen, und dafür garantiere ich dir einen schmerzlosen Tod. Einverstanden?«

      Ein heftiger Stich fährt mir durchs Herz. Habe ich entgegen aller Wahrscheinlichkeiten am Ende überlebt? Falls ja, wie passt Ny'Chelle ins Bild? Sie ist kein Mensch. Bestenfalls ein Produkt meiner in Stonehenge zerbrochenen Psyche. Nein, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Ich bin tot, das Jenseits ist anders, als es uns die Pfaffen weismachen wollen, oder ich bin in einem Albtraum gefangen. Ich entscheide mich, das Beste aus meiner Situation zu machen und wähle den Weg des geringsten Widerstandes: Kopfkino. Film ab!

      »Einverstanden«, sage ich und empfinde plötzlich Freude an meiner ungewöhnlichen Rolle. »Was möchten Sie wissen?«

      »Wir haben zwei Fragen an dich: Erstens, wie bist du hier hergekommen, und zweitens, wie lautet das Passwort?«

      Ich muss laut lachen, der Traum ist mehr als merkwürdig. »Ich habe keine Ahnung, sorry.«

      Ny'Chelle wird ungeduldig, fühlt sich offensichtlich von mir veräppelt. Ihr Antlitz verfinstert sich, und ich versuche, den verständnisvollen Helden zu mimen.

      »Also gut, ich hätte nicht lachen dürfen. Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht verärgern. Ehrlich! Ich habe keine Ahnung, wie ich auf diesen Stuhl gekommen bin.«

      Eine Sonne explodiert in meinem Kopf. Mein lauter, markdurchbohrender Schrei geht in einem kläglichen Wimmern unter. Ny'Chelle hat ohne Vorwarnung meinen kleinen rechten Finger gepackt, nach hinten gebogen und mit einem dumpfen Knirschen gebrochen. Nebel wallt vor meinen Augen. Jenseits und Kopfkino adé, ich lebe und bin bei vollem Bewusstsein!

      »Du hast noch neun Finger, zweiunddreißig von Karies befallene Zähne und zwei Augen«, flüstert Ny'Chelle und bläst mir ihren heißen Atem ins Ohr. »Bitte zwinge mich nicht bis vierundvierzig zu zählen.« Ich spüre, wie sie meinen Ringfinger umschließt.

      »Bitte! Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

      Das Knacken meiner Knochen geht in einem weiteren Schrei unter. Gegen Ny'Chelles Praktiken sind Ironfists Methoden ein freundliches Tätscheln gewesen.

      »Mach dir keine falschen Hoffnungen, auf diesem Stuhl hat bisher jeder Mensch ausgepackt. Da deine Beseitigung beschlossene Sache ist, appelliere ich an deine Vernunft: Wozu lange leiden?«

      Ihre eiskalte Logik jagt mir eine Heidenangst ein. Ich werfe mich in meine Fesseln, sacke kraftlos in den Sitz zurück. Wo um alles in der Welt bin ich?

      »Bitte, ich möchte ja kooperieren! Aber ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«

      Knack.

      Ein weiterer Schrei und mein Mittelfinger ist Geschichte.

      »Ich war mit meinen Freunden in Stonehenge«, stottere ich. »Mit Katee und Philipp. Chucky hielt eine Rede. Dann kamen die Schlächter.«

      Ny'Chelle umklammert meinen Zeigefinger, zögert. »Weiter.«

      »Die Terroristen stellten ein Ultimatum.«

      »Davon wissen wir. Das Ultimatum lief ab, ohne dass den Forderungen nachgegeben wurde. Bitte langweile mich nicht.« Der leichte Druck um meinen Zeigefinger sagt mir, dass ich mich beeilen muss.

      »Okay, okay, das wissen Sie. Katee wurde