J.D. David

Mondschein


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gebracht hatte, und noch immer schien sich der rote Fuchs in seinen Augen zu spiegeln. Als er auf den Boden aufschlug war er bereits tot. Der wilde Sturm der Urben kam jäh zum Erliegen. Niemand führte sie mehr an, niemand befehligte, Panik und Unruhe machte sich breit und nichts blieb übrig von dem Sturm, der gegen das Zentrum des Feindes entfesselt worden war. In dem Moment, in dem sich der Pfeil durch das Auge Ikran Khans gebohrt hatte, war die Schlacht bereits verloren gewesen.

      Arthur schaute sich um. Ebenso wie er selbst hatten die Meisten der schwarzen Pfeile keine Pfeile mehr, die sie dem Feind hätten entgegenschicken können. Er warf seinen Bogen weg und zog sein Ritterschwert, das Zeichen seines Ranges und seiner Ehre. Das Schwert war etwas größer als die meisten anderen Ritterschwerter und Arthur konnte es deshalb mit zwei Händen führen. Wie er zogen auch seine Gefolgsleute ihre Schwerter. Arthur erkannte das Chaos, dass sich in den Reihen der Urben ausbreitete. Diesen Moment mussten sie nutzen. Jetzt mussten sie den Feind zurückdrängen und so die Zange zwischen Infanterie und Kavallerie zudrücken. Arthur stürmte nach vorne und mit ihm die fünfzig Männer aus dem weit entfernten Freital. Gemeinsam mit dem rethanischen Ritter rückten auch die tandorischen Soldaten weiter vor und drängten so die Urben Stück für Stück zurück. Reiter wurden aus ihren Sätteln gehoben, am Boden liegende Urben wurden entwaffnet oder getötet und die restlichen Steppenkrieger hatten keine Chance mehr, in eine Formation zu gelangen. Als der Vormarsch der Infanterie immer zwingender wurde, begannen die ersten Urben ihre Waffen niederzulegen. Ohne Anführer und Hoffnung auf den Sieg blieb ihnen nur ihr Leben, und viele Männer entschieden sich dafür, zumindest um dieses zu bitten.

      Celan hatte erwartet, dass die Urben ihre ganze Kraft gegen sie lenkten, um den Angriff der tandorischen Kavallerie abzuwehren, aber darin hatte er sich offensichtlich getäuscht. Stattdessen hatten die Urben noch energischer als zuvor die Infanterielinien angegriffen. Das war schlecht. Sehr schlecht. Würden die Linien halten? Was wenn nicht? Der Herzog von Tandor wusste, dass es jetzt auf seine Infanterie und darunter auch auf den Ritter Arthur von Freital ankommen würde. Dann erreichten seine Reiter die feindlichen Linien. Schnell wurden die tandorischen Reiter in Zweikämpfe mit der Nachhut der Urben verwickelt. Celan war noch immer von seinen getreuen Gefolgsleuten und Leibwächtern umgeben und konnte so zusehen, wie sich die Schlacht entwickelte. Er sah wie ein Urbe von der Axt seines Leibwächters getroffen aus dem Sattel gehoben wurde. Er sah, wie sich Forgats Schwert in dem Leib eines schon am Boden laufenden Urben bohrte. Er sah, wie sein Banner noch immer stolz im Wind wehte und die Kavallerie weiter Richtung der tandorischen Infanterie ritt. Aber er sah auch, wie die Mitte offensichtlich immer schwächer wurde. Gerade befürchtete Celan, dass das Zentrum brechen würde, als auf einmal Unruhe zwischen den Urben ausbrach. Was war passiert? Celan trieb sein Pferd weiter an und konnte dann die Szene erkennen, die sich im vorderen Teil der Schlacht abgespielt hatte. Ikran Khan, sein lange verhasster Feind, war von einem Pfeil getroffen worden. Der Herzog von Tandor sah Arthur mit seinem Bogen hinter den Reihen stehen, und das erzeugte Wut in ihm. Dieser Tag hatte sein Sieg werden sollen. Er hatte als der Krieger in die Geschichte eingehen sollen, der den gefürchteten Urben Anführer Ikran Khan getötet hatte. Und dieser verdammte Arthur von Freital hatte ihm diese Ehre genommen.

      Die Schlacht war entschieden, dessen war sich Celan sicher und er sah, wie viele der Urben ihre Waffen streckten. Er schaute über das Schlachtfeld. Hier gab es nichts mehr zu tun. Wuterfüllt wendete er sein Pferd und ritt von dem Schlachtfeld weg.

      „Nehmt die Urben, die sich ergeben, in Gefangenschaft und bringt sie mit nach Taarl.“, befahl er Forgat, bevor er sich endgültig vom Schlachtfeld zurückzog. Dieser Freital, dieser verdammte Lümmel, der sich Ritter nannte. Hatte er vor diesem Tag eine Abneigung gegen Arthur gehabt, war es nun blanker Hass, den Celan von Tandor verspürte.

      Kapitel 5

      Lora lag noch immer wach in ihrem Bett. Neben sich hörte sie das leise Atmen von Finn, das durch das regelmäßige Schnarchen von Geron unterstrichen wurde. Nur langsam konnte sie begreifen, was am heutigen Tag alles passiert war. Ihre Verfolgungsjagd mit Finn, die Rettung durch Geron, die Taverne, der Hof, die Audienz, der Ball, das war alles so viel gewesen und alles wie aus einer anderen Welt. Und morgen würden sie nach Andtweil reisen. Seit sie nach dem Tod ihrer Mutter nach Tjemin gegangen waren, hatte Lora die Stadt nicht mehr verlassen. Sie musste noch mal an den Ball und die Audienz davor denken. Bis dahin war Finn eben Finn gewesen, aber als sie ihn in seinen edlen Klamotten auf dem Thron in der Mitte des großen Saales gesehen hatte, sah sie auch den König in ihm. Jegliche kindliche Züge waren gewichen, stattdessen hatte Finn ernst und majestätisch geschaut. Auch wie sich all die hohen Herrschaften gegenüber ihm verhielten, so respektvoll und distanziert. Finn war wirklich ein beeindruckender Junge.

      Lora setzte sich auf und schaute sich in dem Zimmer um. Jeden Moment fürchtete sie sich aufzuwachen und zu merken, das alles nur ein Traum war. Sie würde wieder in irgendeinem Lagerhaus aufwachen, irgendwo in Tjemin, irgendwo in der Armut. Aber sie glaubte daran. Sie glaubte, dass dies hier kein Traum war. Und das hieß, dass sie am nächsten Tag ihre Heimat endgültig verlassen musste. Sie wollte sich noch einmal verabschieden. Einmal noch wollte sie durch die Straßen gehen, zwischen den Häusern des Hafens. Sie wollte sich noch mal verabschieden, von dieser Stadt, die ihr so lange Schutz und Heimat geboten hatte.

      So leise wie möglich stieg sie aus dem Bett und stand auf. Schnell hatte sie ihre Kleidung angezogen und war bereit. Sie setzte sich noch ihren Hut auf und legte den Mantel um die Schultern, bevor sie das Zimmer verlassen wollte. Aus der Burg würde sie schon unbemerkt kommen, dessen war sich Lora sicher. Die Rückkehr würde wahrscheinlich schwieriger werden, aber diese Gedanken wischte sie schnell zur Seite. Sie hatte die Tür des Zimmers fast erreicht, als sie kurz innehielt. Sie schaute zu Finn. Der Junge wusste, wie man sich an Hof verhielt, das war klar. Aber hatte er nicht gesagt, dass er auch das Leben der einfachen Leute besser kennen lernen wollte? Hatte er nicht gesagt, dass er um ein guter König zu werden das Leben derer kennen lernen musste, die er eines Tages beherrschen sollte?

      Lora drehte um und schlich zu Finns Bett. Das Schnarchen von Geron war noch immer so laut, dass sie keinerlei Bedenken hatte, dass der Ritter aufwachen könnte. Vorsichtig setzte sie sich neben Finn aufs Bett und stieß in sanft an.

      „Hey, Finn, aufwachen!“, sagte sie während Finn langsam aus dem Schlaf aufwachte. Nach kurzer Phase der Orientierungslosigkeit erkannte Finn Lora.

      „Lora, was willst du denn noch so spät in der Nacht. Wieso schläfst du nicht?“, fragte er seine neue Reisegefährtin.

      „Ich konnte nicht schlafen. Das alles hier, das beschäftigt mich einfach noch. Ich meine, alles hat sich heute für mich geändert, alles. Und morgen werden wir schon weiterreisen. Ich wollte mich heute Abend noch mal von Tjemin verabschieden. Ich dachte, dass du, weil du ja gesagt hast, du willst die einfache Bevölkerung... also ich meine.“, stammelte Lora den letzten Satz.

      Finn lächelte. „Ob ich mitkommen will?“, fragte er immer noch flüsternd.

      „Ja genau.“

      „Du weißt schon, dass das Geron nie erlauben würde?“

      „Ja.“, antwortete Lora kurz und knapp.

      „Und du willst immer noch daraus. Immerhin hast du versprochen, auf Geron zu hören, nicht wahr?“

      „Ja.“, sagte Lora, mittlerweile fest entschlossen.

      „Gut, dann los.“, sagte Finn und stand auf. Er streifte sich noch schnell seine Gewänder über und wollte dann mit Lora losgehen, als sein Blick auf seinen Waffengurt fiel. Vielleicht war es diesmal gar nicht so schlecht auf seinen Herrn zu hören. Er nahm den Gürtel mit dem Kurzschwert und band ihn sich um.

      „So, jetzt sind wir fertig!“, sagte er und folgte Lora aus dem Zimmer. Nur das Geräusch von Gerons Schnarchen verblieb im Raum.

      Der Weg aus der Burg stellte sich leichter dar, als Lora zunächst gedacht hatte. Nur anfangs war es etwas schwierig gewesen, aber nachdem sie aus dem inneren Ring durch einen Bediensteteneingang herausgekommen waren, war der Rest ein Leichtes gewesen. Durch die großen Gärten hindurch waren sie zur Außenmauer gelaufen, die sie ungesehen überquert hatten. Ein Haus, das direkt an der Mauer gebaut war,