J.D. David

Sternenglanz


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Man konnte die Lichter Härengars sehen. Ob er die Stadt noch einmal sehen würde? An der Spitze einer Invasionsarmee?

      „Wisst ihr, wann ich zuletzt diesen Weg genommen habe?“, fragte Sinja, als alle hinausgetreten waren. Neben Arthur, Luna, und Yatane waren in der Tat fünf junge Männer, die Sinja in Härengar gefunden hatte. Sie alle waren dem Kaiserreich in vollkommenen Hass verbunden und hatten Luna sofort die Treue geschworen, als sie erkannt hatten, wer sie war. Arthur war noch immer etwas skeptisch, aber die potenzielle Hilfe übertraf das Risiko. Viel lieber hätte er Männer aus Freital an ihrer Seite. Aber diese waren leider im Kampf für Valorien gefallen.

      „Nein, sag.“, forderte Luna Sinja auf, die Geschichte zu erzählen.

      „Vor fast zwei Jahren habe ich über diesen Weg Königin Hega, General Taskor, und Prinzessin Sonya aus der Stadt geleitet. Zusammen mit meinem Vater, Florenzo, und Gilmar, einem liebenswerten, aber etwas verrückten Zeitgenossen. Ach, und dem jungen Soldaten. Benno. Wir waren schon eine bunte Truppe. Jetzt leben nur noch die Königin, der General, Florenzo, und ich.“ Den letzten Satz sprach sie leiser, traurig.

      Luna ging zu ihr und klopfte ihr auf die Schulter. „Wir werden dafür sorgen, dass das Kaiserreich für alle seine Taten bestraft wird. Wir werden all die Gefallenen rächen. Und wenn das alles vorbei ist, wird eine Zeit des Friedens anbrechen.“

      Sinja lächelte angestrengt, schüttelte aber ungläubig den Kopf. „Es wäre so schön daran zu glauben, Majestät. Aber das tue ich noch nicht. Dies ist eine Zeit des Feuers und des Sturms. Aber mit dem Sturm kann man ein Feuer nicht löschen. Man entfacht es nur immer weiter. Ich glaube an Euch, Majestät. Aber mir fehlt der Glauben, dass es Hoffnung für meine Heimat gibt.“

      Luna nickte, schluckte, wusste aber auch nichts mehr zu antworten. Schließlich trat sie noch einmal näher zu Sinja und umarmte die junge Frau. „Danke!“, sagte sie noch einmal. Dann drehte sie sich zu Arthur. „Arthur, wir sollten los.“

      „Ja, Majestät, das sollten wir.“, sagte der Ritter und hob dann den Rucksack mit Proviant hoch, den ihnen Sinja mitgegeben hatte. „Yatane, wirst du die Vorhut bilden.“

      „Natürlich. Aber ich werde euch nicht aus den Augen lassen.“, sagte sie. Währenddessen löste sich Luna wieder von Sinja und nickte ihr noch einmal dankend zu. Dann drehte sie sich weg und lief in die Nacht.

      „Danke, Sinja!“, sagte auch Arthur. Dann folgte er ihr in Richtung Norden. Nach Wulfricshafen. Und dann nach Valorien. Hoffentlich.

      Kapitel 10

      Die Straßen von Tengemünde waren noch trostloser als alles, was Berlan in Kargat bisher gesehen hatte. Rechts und links entlang der Straße saßen Menschen in löchrige Decken gehüllt. Trotz des eisigen Wetters. Ein feiner Regen wurde vom Wind aus Richtung Meer durch die Straßen geblasen. Er schlug einem ins Gesicht und nässte einen langsam aber beständig durch. Diese Menschen mussten nun jedes Wetter ertragen. Ihre Häuser waren zerstört, das hatte Berlan gehört. Sie sahen oft abgemagert aus. Die wenigen Vorräte gingen an die kaiserlichen Soldaten. Oder jene Kargatianer, die mit ihnen kollaborieren wollten. An einigen Stellen hatte Berlan auch festgestellt, dass Menschen nicht mehr atmeten. Doch niemand kümmerte sich um die Toten. Sie lagen einfach an der Straße als Zeugnis dessen, was jene erwartete, die sich nicht dem Kaiser fügten. War es das, was sie Eroberer als ihren kaiserlichen Frieden bezeichneten?

      „Wir gehen erst mal in Richtung Hafen und schauen uns dort um.“, sagte Berlan leise zu Sivert. Der Junge nickte, konnte aber nichts erwidern. Dass es hier so schlimm sein würde, hatte ihn überrascht. Also gingen sie zusammen weiter durch die Straßen, den Hügel hinab in Richtung des kleinen Hafens, in dem der Fluss in das Meer floss.

      „Wieso ist es hier so viel schlimmer?“, fragte Sivert schließlich.

      „Die Kaiserlichen haben das Land unter ihren Offizieren aufgeteilt. Sie herrschen gemeinsam mit gefügigen Adeligen und haben anscheinend viel Spielraum. Der Statthalter, dieser Erste der Armee, scheint andere Probleme zu haben, als sich um jede Stadt zu kümmern. Also entscheiden sie, was sie den Menschen geben. Hier scheint es nicht viel zu sein.“, mutmaßte Berlan. Von Ansgar in Fendheim hatte er nicht nur das Versprechen auf Männer erhalten, sondern auch viele nützliche Informationen. Zum Gefüge der kaiserlichen Armee, die Art ihrer Herrschaft, aber auch die Namen von Adeligen, die sich schnell mit den neuen Herren arrangiert hatten.

      „Hoffentlich halten sie den Winter durch.“, sagte Sivert leise. Berlan nickte und stimmte ihm mit einem brummen zu. Dann erreichten sie den Kai und schauten sich um. Es lagen nur wenige Schiffe im kleinen Hafen, drei größere Handelsschiffe, ein kaiserliches Kriegsschiff, und einige kleinere Fischerboote.

      „Was suchen wir?“, fragte Sivert und schaute sich um.

      „Irgendwas…“, murmelte Berlan leise und schaute sich ebenfalls um. „Ärger ist immer ein guter Ansatzpunkt.“, sagte er und deutete auf eine kleinere Menschengruppe, die sich am nördlichen Rand des Hafens gebildet hatte. „Lass uns das mal anschauen.“, sagte er entschlossen und ging dann in schnellen Schritten auf die Masse zu.

      „…schärt euch weg. Ihr bekommt mein Schiff nicht, ihr Halsabschneider. Wenn euch das nicht passt, können wir das ja gerne vor Herr Erwald erläutern.“, hörte Berlan schließlich die laute Stimme einer Frau, als er sich durch die Menge drängelte.

      Er drückte zwei protestierende Männer weg, und hatte dann freien Blick auf die Geschehnisse. Fünf kaiserliche Soldaten hatten eine Frau in einem Halbkreis umstellt, die vor der Planke eines der Handelsschiffe stand, das am Kai vertäut war. Sie hatte die Arme verschränkt und wirkte merklich aufgebracht. Ihre dunkelblonden Haare waren zu einem Zopf geflochten und hochgesteckt, doch einige Strähnen hatten sich gelöst und klebten ihr ob des Regens im Gesicht, das leicht errötet war. Doch ihre Augen… aus ihren Augen sprach reiner Hass und Verachtung.

      „Das war keine Frage, Bürgerin.“, erwiderte der Vorderste der Soldaten steif. Seine Stimme klang jung, er war sicher noch keine dreißig Jahre alt. „Dein Schiff wird im Namen des Kaisers benötigt, um seine Flotte zu verstärken. Übergebe es mit der Mannschaft, oder werde im Namen des Kaiserreiches wegen Hochverrat angeklagt.“

      „Hochverrat?“, schrie die Frau zurück. „Von dir Bübchen? Du hast gerade noch bei deiner Mutter an der Brust gelegen, und glaubst mir jetzt in meiner Stadt etwas erzählen zu können. Der Herr von Tengemünde ist glaube ich immer noch Erwald Gensmann, obwohl eure schönen Flaggen über den Türmen wehen. Fragt ihn ruhig. Er wird euch das gleiche sagen. Unter keinen Umständen werdet ihr mein Schiff auch noch bekommen. Denn im Vergleich zu euch versuche ich noch Nahrung in diese Stadt zu holen, bevor all seine Bürger verhungert sind.“

      Berlan lächelte wegen der Reaktion der Frau. Sie ließ sich auch jeden Fall nicht einschüchtern, das war sicher. Es brauchte Schneid, sich fünf Soldaten so offen entgegenzustellen.

      „Aber…“, stammelte der Offizier, konnte aber nicht so schnell etwas entgegnen, wie er wieder unterbrochen wurde.

      „Aber. Aber. Es gibt kein aber. Verschwindet von meinem Schiff. Ich muss nämlich arbeiten. Also verzieht euch, und kommt wieder, wenn euch Haare am Sack gewachsen sind.“, giftete die Frau weiter. Und drehte sich dann um, um wieder auf das Schiff zu gehen. Doch genau in diesem Moment schien der Offizier wieder etwas Mut gefasst zu haben. Er streckte den Rücken durch.

      „Soldat.“, sagte er und wandte sich an den Mann neben sich. „Im Namen des Kaisers, nehmt diese Frau fest. Wir bringen sie in die Garnison, wo sie gerichtet werden soll.“

      Die Frau verharrte und schaute sich um. Sie blickte den Offizier finster an. „Das wagt ihr nicht. All diese Menschen wissen, wer ich bin. Der Name Kresswein hat in Tengemünde schon länger eine Bedeutung als eure schöne Sonne. Denn meine Familie hat sich immer um die Bürger hier gekümmert. Also lasst es, wenn ihr hier lebend davonkommen wollt.“

      Als hätte sie ihm etwas befohlen, verharrte der Soldat sofort nach einem Schritt und blickte unsicher zum Offizier. „Vierter?“

      „Soldat, du hast einen Befehl!“, gab der