Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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ich all die Ereignisse seit dem entscheidenden Besuch in Joschs Antiquariat niemals mit ihnen teilen. Sie würden mich in bester Absicht umstandslos in die Klapse einliefern. Unglücklich fügte ich mich den Tatsachen.

      „Lilia, der Priester wartet.“ Die Sternelben spendeten keinen Trost.

      „Seid ihr enttäuscht, hattet ihr mehr von mir erwartet?“

      „Wir hofften, du würdest dich Elin zuwenden.“

      „Ich …“ Elin war kein Mensch, ihr Wesen wirkte sehr fremd und einschüchternd. „… will mich bemühen“, rang ich mich durch.

      Zufrieden zog sich das Licht zurück.

      Ja, zugegeben, ich glaubte ihnen damals jeden Unsinn, den sie mir auftischten. Obendrein forderte ein Teil meines Unterbewusstseins hartnäckig bedingungsloses Vertrauen gegenüber den Sternelben ein. Dabei reagierte ich normalerweise auf jede Art von einseitigen Nettigkeiten allergisch. Dumm nur, dass mein tief verankertes Misstrauen den entscheidenden Zeitpunkt für ultimativen Einspruch vergeigt hatte.

      Der melodische Gong an der Tür des Pfarrhauses gefiel mir.

      Pater Raimund öffnete. „Schön, dass Sie gekommen sind, der Tee ist gerade frisch aufgegossen.“

      Wir gingen in ein gemütlich eingerichtetes Zimmer, halb Wohnzimmer und halb Büro, in dessen Mittelpunkt ein großer, runder Esstisch stand.

      „Solange, wie Sie es in der Kirche aushalten, müssten Sie sich jedes Mal eine dicke Erkältung holen“, meinte er halb scherzhaft.

      „Komisch, mir ist nicht einmal kühl geworden.“ Das behielt ich aber schön für mich. Die Unruhe des Priesters war überdeutlich spürbar und so nickte ich ihm auffordernd zu.

      „Heute Morgen erhielt ich einen Anruf unserer Buchhalterin. Sie unterrichtete mich über eine anonym eingegangene Spende für unsere neue Heizungsanlage. Sie wissen nicht rein zufällig etwas darüber?“

      Ich lächelte spitzbübisch. „Das sind ja wunderbare Neuigkeiten.“

      Die ausweichende Antwort interpretierte er kurzerhand als Eingeständnis. „Mir ist eine riesengroße Last von den Schultern genommen – durch einen Engel, wie mir scheint.“

      Ah, jetzt kamen wir zum spannenderen Teil unseres Gesprächs. Ich genoss einen großen Schluck Tee und wartete entspannt, wie Pater Raimund die Kurve zum Licht nehmen würde.

      Just in dem Moment platzte seine Haushälterin herein. „Aber Herr Pfarrer“, tadelte die mollige Endfünfzigerin, „wo ich frischen Kuchen gebacken habe. Und Sie bieten der jungen Dame nichts an.“ Wobei sie mir ein verschmitztes Lächeln zuwarf. Sie hob ihr schweres Tablett, beladen mit Kirschkuchen und Sahne, auf den Tisch. „Nun langen Sie mal kräftig zu.“

      Eine Minute später waren wir wieder allein.

      Während ich heißhungrig das erste Stück mit extra viel Sahne verschlang, spielte der Priester mit seiner Kuchengabel. Er rang mit sich und dem passenden Satzanfang. Noch nie hatte ich die Gefühle eines anderen Menschen so klar und überdeutlich wahrgenommen, als wären es meine eigenen.

      „Mir ist nie zuvor die Wintersonne im Altarraum aufgefallen“, eröffnete er die Partie.

      Geschickter Schachzug.

      Die Sternelben kommentierten: „Er ist um die Kirche herumgegangen, um die Quelle des Lichts zu finden.“

      „Mir auch nicht“, gab ich scheinheilig zurück.

      Der Pater setzte nach: „Und ich glaube, ehrlich gesagt, nicht an real existierende Engel.“ „Aber Sie sehen wie einer aus“, prangte in fetten Buchstaben auf seiner Stirn.

      „Womit soll ich ihm antworten?“, fragte ich die unsichtbaren Dritten im Raum.

      „Versuche dich zunächst allein an der Antwort, Lilia.“

      „Das scheint mir ein echtes Problem unserer Moderne zu sein. Wir sind vollkommen auf Technik fixiert und unsere Seelen verkümmern darüber.“

      Höchst irritiert blickte mir Pater Raimund direkt in die Augen. Das, was er hätte aussprechen wollen, blieb ungesagt, sein Mund klappte regelrecht zu. Erschüttert schlug er die Augen nieder und stand auf.

      Leise sprach ich ihn an: „Bitte, Pater, das Lernen ist doch Teil unseres Lebens. Oder?“

      Hart stieß er hervor: „Glauben Sie an Gott, Lilia?“

      „Nicht an Ihren Gott, nein, aber irgendwie an das Göttliche.“

      Der Priester ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. „Genau vor dieser Antwort habe ich mich gefürchtet.“

      Mitleidig schaute ich zu ihm hinüber. „Pater Raimund, Sie sind doch keineswegs auf den Kopf gefallen. Schauen Sie, fünf große Weltreligionen binden den Glauben der meisten Menschen auf unserer Erde. Aber an was genau glauben sie eigentlich? Die jeweiligen Wurzeln betrachtet, betet jeder Gläubige das universelle Wissen über die Existenz von Gut und Böse an. Nur eben unterschiedlich verpackt.“

      Verstehen erfasste seinen Geist, deshalb fuhr ich fort: „Ich halte mich an die Wurzel, viel mehr unterscheidet uns beide nicht.“

      Er lachte gequält auf. „Nun ja. Ich wette, Sie erhalten von Ihrer Wurzel jene Antworten, die mir von meinem Gott verwehrt werden.“

      Beinahe hätte ich ihn laut gefragt, was er denn würde wissen wollen.

      Die Sternsängerinnen stoppten mich im letzten Moment: „Genug, Lilia, ihr solltet das Thema bei anderer Gelegenheit weiter besprechen.“

      Auf den abrupt vollführten Themenwechsel ließ sich Pater Raimund bereitwillig ein. Also plauderten wir über die historisch äußerst wertvolle, leider hoffnungslos defekte Orgel mit ihrem einzigartigen Klang.

      „Darf ich?“

      „Bedenke dabei bitte, dass du die Kirche oft für dich allein benötigst“, mahnten sie.

      „Da lässt sich bestimmt eine Lösung finden! Vielleicht könnten die Orgelbauer zu festgelegten Uhrzeiten in der Kirche arbeiten.“

      Langsam sollte ich den Heimweg antreten, wenn ich noch in die Bank wollte. Wir verabschiedeten einander und ich versprach, bei nächster Gelegenheit wieder vorbei zu schauen.

      Wer von uns beiden hatte an diesem Tag mehr Stoff zum Nachdenken bekommen?

      Bevor ich mich daheim in die Badewanne sinken ließ, schaute ich in den Spiegel. „Warum hatte der Priester heute derart geschockt auf meine Augen reagiert?“ Mich näher zum Spiegel beugend, bemerkte ich die Veränderung. „Wann ist das denn passiert?“ Meine blauen Augen wirkten alt. Nicht trüb wie bei alten Menschen, vielmehr wie durchdrungen von tiefen Erinnerungen und Lehren der Weisheit. Der Kontrast zu meinem jungen Gesicht konnte kaum größer ausfallen. Kein Mensch besaß einen solchen Blick. „Elin, ja, ähnlich den Augen der Elbe.“ Die Sternelben hatten Recht, ich sollte mit ihr reden. Möglicherweise fanden wir doch einige Gemeinsamkeiten. Aber für heute war mein Limit erreicht. „Schluss, aus, Schaumbad.“

      Ein opulentes Frühstück erwartete mich am nächsten Morgen bereits auf dem Küchentisch: Croissant, Zimtquark mit frischem Obst, Crêpe, Orangensaft und eine Kanne starker schwarzer Tee. Nach dem Bad am gestrigen Abend war ich so erschöpft gewesen, dass das Abendessen schlicht in Vergessenheit geriet. Heißhungrig verspeiste ich nun die Mahlzeit bis zum letzten Krümel.

      Bei einer weiteren Tasse Tee überlegte ich, wo Elin wohl steckte.

      Prompt erschien ihr Kopf in der Tür zum Wintergarten. „Ich habe mich um deine Pflanzen gekümmert.“

      „Aber die können seit meinem gestrigen Gießen doch unmöglich schon ausgetrocknet sein.“

      Ihr ganzes elbisches