Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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gepaart mit bleierner Müdigkeit lähmte jede Zufuhr positiver Restenergie. Erst als Elin sich mir zeigte, öffnete ich beschämt und mit puterrotem Kopf die Wagentür.

      Dicke Schneeflocken kündigten die Rückkehr des eisigen Winters an.

      Kapitel 9

      Die sogenannten Tagstunden servierten ein ebenso deftiges Programm. Im frostigen Morgengrauen startete ich mit Überlegungen, wie all jene am Weihnachtsfest zu beglücken wären, die mir im Laufe des Jahres in ihrer Not begegneten. Etwa die frustriert-verhuschte Designerin, die es einfach nicht fertig brachte, ihren alten Studentenjob aufzugeben. Statt Werbung für ihre todschicken Entwürfe zu machen, fristete sie als Garderobenfrau im Volkstheater ihr ärmliches Dasein. Kurz bevor der letzte Lebensfunke erlöschen wollte, zündete ich flammenden Mut in ihr. Oder der arbeitslose Verkäufer von Obdachlosen-Zeitungen, den ich in der S-Bahn traf. Ein talentierter Kopf voller Ideen, der sich mit Suff und Drogen selbst den Boden unter seinen Füßen weggedröhnt hatte. Mit festem Wohnsitz und geringem Startkapital beförderte ich ihn auf eine neue Zielgerade. Jeder noch so winzige Anschub bedeutete ein gerettetes Leben. Und jedes erneut geschenkte Leben versprach wiederum, dass ein weiterer Mensch mit wachen Augen und helfenden Händen durch die Stadt ging. Die Chancen, marodierenden Dämonen ihre Hölle unter den Füßen zu vereisen, mussten eben bloß genutzt werden. „Aber wieso kapiere ich die Zusammenhänge erst jetzt?“

      Die Sternelben kappten meine ausschweifenden Gedanken, indem sie noch vor dem Frühstück weitere Arbeit anmeldeten. „Raimund quält sich, besuche ihn bitte am Nachmittag.“

      „Was treibt ihn nun wieder um?“

      „Er sah abermals Licht in der Kirche und hat eine Erklärung verdient.“

      „Finden die Fragen meiner Mitmenschen denn nie ein Ende?“, maulte ich.

      „Frag dich selbst!“

      „Haha, überaus witzig.“

      Im Kommissariat saß Katja ebenfalls auf vor Neugierde glühenden Kohlen.

      „Du siehst ziemlich alt aus“, bemerkte sie in ihrer direkt-schmeichelhaften Art, als ich auf ihren Schreibtisch zusteuerte.

      „Danke, die Gnade herrlichen Schlafes wurde mir leider verwehrt.“

      Sofort besorgt, übte sie mütterliche Kritik: „Du treibst es mit deiner Maloche echt ziemlich auf die Spitze.“

      „Klar, der super Aussicht wegen“, hielt ich flapsig dagegen.

      „Du, sag mal, was ist denn jetzt mit Konny und der Weihnachtsfeier?“

      „Och, der ist inzwischen mein größter Fan.“

      „Lilia!“

      „Katja!“

      „Nun sag schon“, quengelte sie wie auf Schokoentzug.

      „Hab ich doch!“

      Sie machte auf Rumpelstilzchen, biss bei mir jedoch auf Granit. Schmollend blieb sie hinter ihrem Schreibtisch zurück.

      Am Ende unserer morgendlichen Teamrunde schwärmten die Kollegen in Zweiergrüppchen zu ihren Einsätzen oder zumindest entsprechenden Vorbereitungen aus.

      Der Gebrauch von Headsets war mir schlicht ein Gräuel. Aber Vierteilung war nun mal keine machbare Option, um überall gleichzeitig mitzumischen. Folglich mussten die Trupps bei überlanger Arbeitsliste, so wie heute, aus dem Konferenzraum heraus von mir dirigiert werden.

      Die Kommissare hingen bereits halb in ihren Urlaubsseilen. Freie Bahn für geistige Aussetzer.

      „Lilia, wir haben den Kerl festgesetzt.“

      „Und seine Komplizin?“

      „Häh?“

      „Ich hatte John doch gebrieft, dass sie zu zweit arbeiten.“

      Jan brüllte in mein Ohr: „John, du Vollidiot!“

      Axel und Katja bewältigten ihren Zugriff erst im dritten Anlauf. Der getürkte Dealer wollte auf sehr spezielle Art selbst mal den Racheengel spielen. Also verschenkte er reines, todbringendes Heroin an seine besonders zahlungssäumigen Kunden. Da der Mauerpark sein angestammtes Revier war, kannte er jedes Versteck, jede Fluchtachse. Und außerdem roch er Bullenpack bereits 100 Meter gegen den Wind.

      Mit Wucht hätte ich sie allesamt in den Allerwertesten treten mögen.

      Letztlich ging auch dieser Tag vorüber.

      Total genervt begab ich mich auf den Weg zur geistigen Baustelle im Pfarrhaus.

      Die mit jedem städtischen Staukilometer anwachsende Vorfreude auf frisch gebackenen Trostkuchen wurde herb enttäuscht. Raimunds wunderbare Backgöttin weilte im Urlaub und so öffnete er selbst die Haustür.

      „Na, Weihnachtspredigten fertig?“, begrüßte ich meinen Freund, der ungesund fahl im Gesicht wirkte. Ein leises Schnuppern an seiner Gefühlslage katapultierte mich auf Trockeneis.

      Tonlos antwortete der Priester: „Nicht mal angefangen.“

      Mit gebeugten Schultern klebte Raimund in den Abgründen einer Sinnkrise fest. Ich hakte mich bei ihm unter und bugsierte meinen Seelenpatienten ins Wohnzimmer an den runden Tisch.

      „Na komm, erzähl, gib dir einen Ruck.“ Nebenbei ersetzte ich heimlich den abgestandenen Tee in der Kanne, das ausgebrannte Teelicht im Stövchen und beugte mich zuletzt noch unter den Tisch. Eine Tüte gezauberter Schokoladenplätzchen kam aus dem Shopper zum Vorschein. „Hier, greif zu, hilft prima gegen Gedankentriefen.“

      „Ach Lilia, wo soll ich überhaupt beginnen?“

      „Bei dem unbekannten Verursacher des Lichts?“

      Seine Miene hellte sich geringfügig auf. „Weißt du denn die Antwort?“

      „Sicher kenne ich die Antwort. Wir beide sprachen neulich sogar darüber.“

      Erstaunt schaute er auf. „So, tatsächlich?“

      „Elben, lieber Raimund.“

      Mit vollem Mund brachte er nur ein gekeuchtes „Wos?“ hervor.

      „Einige wenige befinden sich auf der Erde.“

      „Großer Gott“, entschlüpfte es ihm, begleitet vom nächsten Gefühlsschwall.

      Aus Selbstschutz zog ich eine innere Wand dagegen hoch. „Nein, falsch“, korrigierte ich Raimund. „Das Licht ist göttlich, gut und weiblich, die Finsternis ist göttlich, böse und männlich. Ergibt in der Summe also Götter, wie du dich vielleicht erinnerst.“ Am Ende meiner Geduld angelangt, gab ich schnodderig hinzu: „Brate dir daraus, was du willst für deine Predigten.“

      „Lilia!“, pfiff es misstönend aus der Sphäre.

      „Ruhe da oben!“

      „Was tun sie hier?“, fragte Raimund jetzt ratlos.

      „Okay, weiter im Takt“, seufzte ich still und ergeben. „Dasselbe wie ich, sie nehmen in der Kirche ihre lebensnotwendige Lichtenergie auf.“

      Ungeduldig fuchtelte er mit den Armen. „Ja sicher, aber was tun sie?“

      „Sie kämpfen gegen Dämonen.“

      Zusammenhanglos stieß Raimund unvermittelt bitter aus: „Du darfst sie sehen!“

      „Aha, das ist also sein Casus Knacktus. Und ich kann seine Sehnsucht niemals lindern. Fremde Menschen mit einem neuen Leben beschenken, aber dann den eigenen Freund hängen lassen.“ Verstohlen wischte ich mir Verzweiflungstränen aus den brennenden Augen. „Liebster Freund, bitte glaube mir, spätestens bei den Dämonen ist ‚dürfen‘ die falsche