Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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Ohren noch in Raimunds aufgeputschtem Geist klang das Argument überzeugend. Eben dies stand auf seiner gefurchten Stirn. Fieber bekämpfte man nicht mit Ratio, sondern mit Eis.

      „Hat euer Lichtgeschwader da oben rein zufällig eine Eisbombe für mich?“

      „Seinen vermeintlichen Gott bekam er niemals zu Gesicht!“

      „Das ist knallhart gefühllos!“, warf ich ihnen entrüstet vor.

      „Dann mach es besser, Lilia“, erwiderten die Sternelben pikiert.

      „Pah, geht euch etwa tatsächlich auch mal die Puste aus?“

      „Mäßige dich!“

      Ich hatte kein bisschen ein schlechtes Gewissen.

      Raimund wartete noch immer auf mehr.

      „Eine vernünftige Eingebung, bitte!“

      Was ich etliche Sekunden später absonderte, war weit entfernt von hitverdächtig: „Fast dein gesamtes Leben glaubst du an einen Gott, ohne ihn jemals gehört, geschweige denn gesehen zu haben, Raimund. Und ausgerechnet jetzt, wo du von mir exklusiv mehr Erkenntnisse über das Göttliche bekommst als jeder andere Priester, was sage ich, jeder andere Mensch auf diesem Planeten, läuft deine demütige Wissensaskese regelrecht Amok.“

      Damit traf ich voll ins Schwarze. Mein Priester machte mit reuiger Miene und erhobenen Händen das Peace-Symbol.

      „So, nun schreibst du brav eine Predigt über das Seelenleuchten in der Finsternis. Das passt zum Fest, zur Jahreszeit, zum Stadtmoloch und überhaupt. Noch Fragen?“

      „Aber …“

      „Was noch?“, stöhnte ich auf.

      „Warum existieren dann überhaupt unsere Religionen?“

      „Diese Frage musst du bitte an die versammelte Menschheit richten“, kam meine prompte Antwort aus dem Bauch heraus.

      „Ich gebe mich geschlagen, Einstein.“

      Für meinen Hinterkopf war Raimunds spannende Frage dagegen alles andere als abgehakt.

      Ausgebrannt sprang ich ohne Kirchenbesuch ins Auto. „Genug! Keine Ergüsse menschlicher oder göttlicher Gehirnwindungen mehr in meine bemitleidenswerten Ohren.“

      Sie gaben sich und mir für die Abkühlungsphase noch weitere neun Minuten.

      „Lilia.“

      „Nein!“

      „Wir bitten dich“, säuselten sie.

      „Also wirklich! Jetzt kommt ihr mir auf die Tour?“

      „Ein Kinderheim?“

      Ergeben steuerte ich den Wagen in die nächste Haltebucht für Linienbusse. „Also schön. Wie, wo, was, warum und so weiter, schießt los.“

      Keine zwei Minuten danach empörte ich mich: „So eine Sauerei! Wenn ich die alte Hexe zu fassen kriege, klaut das Geld für die Weihnachtsgeschenke der Heimkinder. Erst Hexe einbuchten oder erst Geschenke organisieren?

      „Lass Konrad die Übeltäterin schnappen, du hast Einiges gut bei ihm.“

      „Auch wieder wahr.“ Sofort griff ich zum Handy. „Hallo, Konny. Könntest du für mich eine Hexe fassen?“

      „Bist du betrunken?“

      „Sie ist Leiterin des Kinderheims Bärwald.“ Atemlos spulte ich die Fakten herunter, bis er einlenkte.

      „Wir rücken ihr auf den Buckel.“

      Offensichtlich besaß er doch ein klitzekleines bisschen Humor.

      Einen Kleintransporter, vollgepackt mit Geschenken, mal eben in die Nähe des Lankwitzer Kinderheims zu zaubern, kostete mich eine geballte Ladung an Energie. Augenblicklich bereute ich den starrsinnigen Aufbruch von Santa Christiana. Doch meine Sorge, der interne Akku könnte warnblinken, erwies sich als grundlos.

      Beim Entladen der vielen bunt verpackten Pakete mangelte es keineswegs an hilfreichen Händen. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde über das Wundermobil unter den kleinen Bewohnern ausgebreitet. Logisch, dass sie am liebsten auf der Stelle ihre Bescherung wollten. Darauf war ich vorbereitet. Zum Schluss kam ein mächtig großer Karton, beklebt mit funkelnden Sternen, zum Vorschein. Daraus verteilte ich lauter kleine Überraschungen, die die ungeduldigen Kinderseelen bis Heiligabend besänftigen würden.

      „Bist du ein Weihnachtsengel?“, erkundigte sich ein braungelockter Dreikäsehoch mit gewichtiger Miene, als er sein Päckchen bekam.

      „Und falls ja?“

      „Dann wünsche ich mir von dir statt Geschenke ganz liebe neue Eltern.“

      Am liebsten hätte ich den Bengel einfach unter den Arm geklemmt und mitgenommen. Doch genauer hinschauend, stand in den viel zu ernsten Augen all der anderen Kinder derselbe Wunsch geschrieben – in Großbuchstaben. Das tat schrecklich weh.

      „Die neue Heimleitung wird sich gut um sie kümmern, Lilia.“

      Lächelnd blickte ich reihum in ihre zarten Gesichter. „Alles wird gut.“ Zu mehr als dieser blöden Floskel sah ich mich außerstande. Dann winkte ich zum Abschied.

      Mit verdächtig feuchten Augen wieder hinter meinem Lenkrad hockend, vergaß ich den Motor zu starten. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Kleinen glücklich werden. All diese bösartigen Menschen, wo kommen die bloß her? Das Christentum appelliert doch pausenlos an das Gute im Menschen, von Kindesbeinen an.“

      „Du kennst die Antwort darauf, Lilia.“

      Innerlich ausgequetscht wie eine Zitrone, verschob ich unter heftigen Gähnattacken das Thema. Vor allem mochte ich keinesfalls daran denken, wieviele Kinderheime noch in dieser Stadt existierten. Egal in welches Fass die Lichtwesen meinen Kopf steckten, grundsätzlich fehlte der Boden. Energisch wischte ich mir über die Augen, bevor ich endgültig den Motor anwarf.

      Sechs Stunden geschlafen, welch ein Luxus. Beinahe wäre Katjas neues Schlachtmenü für den letzten Arbeitstag vor der Weihnachtspause verspätet in ihrem Postfach gelandet.

      „Was ist das für eine merkwürdige Geschichte mit Amelie?“, begehrte ich von den Sternelben während des Frühstücks zu erfahren.

      „Die Kommissarin hat an einem Beichtstuhl gelauscht.“

      „Unsere tugendhafte Amelie?“

      „Leider fehlen ihr die Beweise, um einer mordsmäßigen Heiratsschwindlerin das Handwerk legen zu können.“

      „Aber ihr habt Beweise?“

      „Eine heikle Aufgabe für die Spurensicherung. Nur ein falsch gesetzter Fuß, und aus.“

      „Ach so, das ist deren Spielwiese.“

      „Irrtum, Lilia. Denn Katja erhält von dir den Wohnungsgrundriss mit eingezeichneten Nummern. Eine Liste schlüsselt die dazugehörigen Beweisstücke auf.“

      Ich lachte rau. „Ihr klingt inzwischen wie die Rentner-Gang der Kripo.“

      Meist traf ich eine halbe Stunde vor meinen Kollegen im Kommissariat ein. Dann saßen Katja und ich in ihrem Chefbüro zusammen. Wir tranken Tee beziehungsweise tintenschwarzen Kaffee und besprachen dabei ihre Detailfragen zum Tagesmenü.

      Heute dagegen blieb ich mit dem Wagen im „Blitzeisberufsverkehrschaos“ stecken, wie es der Radiomoderator nannte.

      Gemeinsam mit Jan und Axel traf ich erst zehn Minuten nach dem regulären Beginn unseres Meetings ein. Doch es hatte noch gar nicht begonnen, als wir schnell unsere Plätze einnahmen.

      „John