Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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wollte sich doch nur beim Priester wichtigmachen, vielleicht steht sie auf den.“ Thomas, Oberschwafler vom Dienst und Experte für Handfestes, verpasste mal wieder als Einziger, dass ich Amelie bestätigend zunickte. Die Verständigung per Mimik unter Kollegen endete regelmäßig mit seinem Einwurf: „Kann mir mal einer sagen, was gebacken wird?“

      Doch siehe da, Axel machte ihn rund. „Mann, Thomas, halt die Luft an. Je schneller wir fertig werden, desto eher fängt der Urlaub an. Oder, Lilia?“

      Innerlich schmunzelnd dachte ich an seine freudig-erregte Vorstellung von Urlaub, nämlich komplexe Programmierarbeiten bei den Wirtschaftskollegen. Laut forderte ich: „Ihr müsst bewerkstelligen, dass kein noch so winziger Beweis vernichtet wird.“

      „Das bedeutet Zugriff auf die Tatverdächtige außerhalb ihrer Wohnung“, zog Katja die richtigen Schlüsse aus meinen Unterlagen. „Lil, kannst du die Frau aufspüren?“

      „Klar.“

      Katja erteilte Amelie zum ersten Mal das Kommando.

      Bildfetzen, wie aus einem unscharfen Clip, funkten meine grauen Zellen an. „Was ist das denn?“ Mich aus der Besprechung abkoppelnd, schien es, als säße ich vor einer Kinoleinwand. „Der Jungenstrich am Bahnhof Zoo?“ Jugendliche steigen ein und aus …

      „Lilia. Lilia?“

      Verwirrung, das Bild verzerrte, löste sich auf.

      „Lilia, wann soll es losgehen?“

      „Lilia, du musst zurück in deinen Geist, schnell! Die Heiratsschwindlerin in zwei Stunden“, kommandierten die Sternelben im Marschgesang.

      Hektisch rief ich: „In zwei Stunden. Stellt sofort ein weiteres Team auf. Absolute Funkstille für mich!“

      Die aufkeimenden Frustgesichter im Konferenzraum verblassten, je stärker sich mein Blick nach innen richtete.

      Der Junge, kleinwüchsig und dürr, beugt sich in ein geöffnetes Wagenfenster, feilscht um den Preis. Er steigt ein. „Ist das bereits Vergangenheit?“ Sofort fährt der SUV los und verlässt die City. Der Fahrer lenkt seinen Wagen in ein Neuköllner Wohngebiet und steuert dort eine Tiefgarage an. Oben drüber befinden sich Eigentumswohnungen aus den 80ern.

      Unterirdischer Filmriss für anderthalb Minuten.

      Die Zwei tauchen aus dem Fahrstuhl im Dachgeschoss auf. Es enthält lediglich eine einzige Wohnung.

      Mit gespielt lässiger Neugier betritt der Junge, sicher höchstens 15 Jahre alt, die fremde Wohnung. Der kräftig gebaute, etwa 50-jährige Freier holt aus seiner Küche zwei Gläser Bier. Das geübt präparierte Glas in seiner linken Hand reicht er dem Jungen. Gemeinsam setzen sie sich auf die rustikale Couch. Plötzlich hebt der Junge mit verwirrtem Blick seinen Kopf, der nur Sekunden später vornüber sackt. Sein Freier trägt ihn in das schallisolierte Hinterzimmer. Dort wirft er den Jungen auf das Bett, zerrt ihm sämtliche Kleider vom Leib und fesselt ihn an das Geländer des massiven Bettgestells.

      Jan, Thomas sowie der mittlerweile eingetroffene John saßen, geduldig wartend, mir gegenüber.

      „Lilia, ihr müsst in 25 Minuten dort sein, sonst ist es zu spät.“

      „Keine Zeit für Erklärungen. Wer kann Türen aufbrechen?“

      Thomas hob den Arm.

      Die Kollegen spurteten hinter mir her zu den Fahrzeugen.

      In allerletzter Minute hob ich diesen schmächtigen Körper, der sich sofort in purer Verzweiflung an mich klammerte, hoch. Der Servierwagen neben dem Bett, vollgepackt mit penibel sortierten Folterinstrumenten, zeigte erst geringe Blutspuren. Schiere Verzweiflung packte mich.

      „Lilia, verschließe deine Augen, du marterst sie.“

      „Entschuldigt bitte“, flüsterte ich und kümmerte mich um die Schnittwunden des Jungen.

      Jan kämpfte mit ihren Tränen, John starrte eine Wand an. Thomas führte das Schwein ab.

      Mit dem vor Schock zitternden Jungen betrat ich kurz darauf das Wohnzimmer. Krampfhaft versuchte ich zu witzeln: „Na dann, veranstalten wir mal Tütentango.“ Von der Couch aus dirigierte ich das Team durch die Wohnräume.

      „Was wird nun aus dem Jungen? Er soll nie wieder auf den Straßenstrich!“

      „Fahre den Jungen nach Bärwald.“

      „Ist er für das Heim nicht zu alt?“

      „Keine Sorge. Erzähle ihm unterwegs die Geschichte von dem gestohlenen Geld.“

      „Wieso?“ Wo war jetzt der Zusammenhang?

      Ihre kryptische Ansage: „Darin steckt seine einzige Chance, den neuen Schicksalsweg für sich zu erkennen.“

      Am frühen Abend versammelte sich nach und nach die komplette Mannschaft im Konferenzraum. Der Duft von Kerzen, Kuchen und Punsch hing schwer in der Luft.

      Auf meinem Platz stapelten sich Geschenke zu einem beachtlichen Haufen. Sehnsüchtig wartete ich auf Santa Christiana, aber das Team verdiente Vorfahrt. Für ihre Aufmerksamkeit klopfte ich resolut mit dem Teelöffel gegen meinen Becher. „Einige, die nichts Besseres vorhaben, feiern das Fest bei mir. Euch übrige“, verkündete ich auf die Pakete deutend, „beschert schon vorab der Weihnachtsengel“.

      „Hey, wenn ich das geahnt hätte, läge deine Einladung jetzt in der Tonne“, protestierte John zwinkernd.

      „Pech für dich, her mit den Geschenken“, lärmten die Kollegen fröhlich durcheinander und schmatzten mir großzügig Küsschen auf die Wangen.

      „Übermorgen ist Silvester!“ Kaum zu fassen, wie schnell mir die herrlich normal menschlichen Urlaubstage durch die Finger glitten. Allmählich verstärkte mein ausgeruhter Hinterkopf seine grüblerischen Aktivitäten. Etliche gewichtige Fragen tauten auf seiner Eisschicht an. Zum Beispiel, ob es den Menschen erheblich besser ginge, wenn sämtliche Dämonen erledigt wären. Nein, daran glaubte ich keinen Fingerbreit mehr. Und bestand das einzige Ziel der Elben im Dämonenkampf? Auch das würde keineswegs sämtliche Vorgänge erklären. Welches Ziel, quasi als persönlichen Leitstern, wollte ich mir für das kommende Jahr selbst stecken? „Austauschen müsste frau sich können.“ Warum trudelte erst jetzt der Einfall herein, dass ich dafür im Urlaub nach Schottland hätte düsen können? „Gelaufen, na toll.“ Als Nächstes fiel mir Leya ein. „Die verstreuten Elben kommunizieren doch bestimmt untereinander? Ob auch Halbelben das, genauso wie den Umgang mit Magie, während ihrer Ausbildung erlernen?“ Jede Frage poppte eine neue Frage auf, Fragenpopkorn, Fragensalat, Quizfrage. „Mensch, hör auf mit dem Mist!“, keifte mein Alter Ego. „Spreng deiner ewigen Fragerei mal die Abschussrampe weg.“ „Ja, ja. Was hältst du von folgendem Vorschlag? Erst frühstücken und danach im Feenhaus eine Runde brauchbarer Antworten einsammeln.“ „Wenn’s unbedingt sein muss.“

      Den Bauch erheblich zu vollgestopft für die weite Strecke, kam ich im Jogger-Outfit schliddernd bis zum Gartentor. Die Nachtfröste, kombiniert mit sonnigem Tauwetter am Tage, hatten den allerorts festgetretenen Schnee in spiegelglatte Eispanzer verwandelt. „Spikes müsste frau haben. Niemand in Sichtweite?“ Abwechselnd hielt ich die Schuhsohlen zwecks magischer Nachrüstung in die Luft. Blieb nur noch zu hoffen, dass auf den Waldwegen keine Schneeverwehungen lagen.

      Bald lief ich, die klare Luft tief inhalierend, mit Wonne durch die winterstille Landschaft. Hier und da wurde sie von einem rötlich-goldenen Sonnenstrahl beleuchtet.

      „Och nö, sie sind fort!“ Das Feenhaus lag verlassen da. Erschöpft machte ich mich im Garten breit und grinste vergnügt über Leyas skurriles Kontrastprogramm. Im Haus hatte ich ein Übermaß höchst ausgefallener Weihnachtsdekoration bestaunt. Etwa tönerne Gnome, denen gläserne Engel mit dem Nudelholz drohten. Oder rote Filzteufel,