Isabella Kniest

In Your Arms


Скачать книгу

Fahrzeug zum Stehen gebracht. Die Fahrertür öffnete sich und ein graubärtiger Mann gekleidet mit einer dicken braunen Winterjacke, orangefarbenen Hosen und einer roten Haube auf dem Kopf stieg aus.

      »Was machen Sie denn hier?« Den Ton in seiner Stimme vermochte ich nicht recht einzuschätzen. Klang er vorwurfsvoll oder doch ein wenig besorgt?

      »Ich war auf den Weg zu meinen Eltern«, versuchte ich zu erklären und zeigte in die Richtung, in welche ich weiterfahren wollte. »Vier Dörfer weiter … bin dann aber ins Schleudern geraten und hier steckengeblieben … Wäre es möglich … könnten Sie mich mitnehmen?«

      Ich wunderte mich, wie schnell und flüssig ich mein Ansinnen über die Lippen gebracht hatte. In der Vergangenheit war mir dies nie gelungen.

      »Das würde ich sofort machen«, antwortete er sachlich. »Aber leider ist die Straße gesperrt worden.«

      »Was?« Mir wurde es flau im Magen. »… Aber wieso das?«

      »Umgestürzte Bäume.« Er blickte in die Richtung, aus der ich gekommen war. »Und auf der anderen Seite siehts nicht besser aus … ich habe gerade erst die Nachricht erhalten.« Er tippte auf das in seiner Brusttasche herauslugende Funkgerät. »Und in den nächsten Tagen wird sich an diesem Zustand mit Sicherheit nichts großartig ändern.«

      Leichte Panik züngelte hoch in mir. »Und wie kommen wir von dieser Straße runter?«

      Etwa überhaupt nicht?

      Musste ich die nächsten zwei, drei Tage hier ausharren und warten? Das konnte einfach nicht sein, oder?

      Er nickte nach rechts in den Wald. »Ein paar Kilometer weiter geht eine Straße in ein abgelegenes Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Dort wollte ich warten, bis sich das Wetter etwas beruhigt hat.«

      Seine Worte brachten mir bloß geringe Erleichterung.

      Ich knetete die Hände.

      Würde er mich mitnehmen? Oder müsste ich zu Fuß dorthin gehen?

      …

      »Würden Sie mich … könnten Sie mich mitnehmen?« Nervosität veranlasste mich, meine Nase zu kratzen. »… Ich weiß nicht, was ich tun soll. Mein Wagen steckt fest –«

      Ein breites sich in sein Gesicht schleichendes Lächeln ließ mich verstummen. »Ich kann sogar noch etwas Besseres … Ich ziehe Ihren Wagen heraus. Dann können Sie mir bis ins Dorf nachfahren.«

      Ich fühlte mich um tausend Felsbrocken erleichtert. »Ja wirklich? Das würden Sie tun?«

      Er nickte. »Na sicher! Überhaupt kein Problem. Das geht ganz schnell.«

      Und er behielt recht.

      Keine zehn Minuten benötigte er, um meinen Wagen aus dem Schneehaufen herauszuziehen.

      »Folgen Sie mir«, rief er mir zu, während er in den Schneepflug einstieg. »Es ist nicht weit.«

      Mit klopfendem Herzen hielt ich das Lenkrad verkrampft in den Händen, eine konstante Geschwindigkeit von dreißig Kilometern pro Stunde beibehaltend. Eine Armee an Schneeflocken wehte gegen meine Frontscheibe, erweckte den Anschein, sämtliche Fahrzeuge an einer Weiterfahrt hindern zu wollen.

      Ich fühlte mich erschöpft, und die Angst, nochmals die Kontrolle über mein Fahrzeug zu verlieren, nagte an meinen Nerven.

      Reiß dich zusammen, Liza! … Du hast alles richtig gemacht. Der Mann scheint ebenfalls nett zu sein. Und dein Auto fährt. Alles ist gut ausgegangen.

      Ja, alles war gut ausgegangen. Meine Zweifel waren komplett umsonst gewesen. Somit wurde es höchste Zeit, dass meine nervliche Anspannung sich legte …

      Meine Gedanken schweiften ab.

      Wann hatte es eigentlich zuletzt solchermaßen heftig geschneit?

      Das musste mindestens fünf Jahre zurückliegen.

      …

      Wie schön es als Kind gewesen war, im tiefen Schnee zu spielen … mit kalten Beinen und nassen Haaren in die wohlig warme, gut duftende Stube zu treten … Ein heißer Kakao … Buchteln mit Vanillesoße … Kekse … fröhliche Weihnachtsdekoration …

      Weiße Weihnachten … Das hatte es lange nicht mehr gegeben.

      Würde ich es noch einmal erleben dürfen?

      Die von dem alten Herrn erwähnte auftauchende Straßengabelung beförderte mich aus der Vergangenheit zurück ins Hier und Jetzt.

      Während wir links abbogen, erblickte ich ein beinahe zur Gänze zugeschneites Straßenschild. Lediglich die ersten zwei Lettern waren zu erkennen: »Se« und auf einer kleineren Zusatztafel darunter »10 km«.

      …

      Wenn ich mich nicht gänzlich irrte, bedeutete dies, für weitere zwanzig Minuten die Konzentration beizubehalten.

      Dichtes, von der Schneelast sich allmählich gefährlich nach unten beugendes Nadelgehölz säumte die unbekannte, in Dunkelheit liegende Landstraße.

      Wie mochte das Dorf heißen?

      Ich konnte mich partout nicht daran erinnern, je ein Schild mit diesen Anfangsbuchstaben gesehen zu haben – weder ein paar Dörfer davor noch danach. Und die Einfahrt zu dieser Nebenstraße war mir genauso wenig aufgefallen.

      Nach weiteren endlosen Minuten des Kopfzermarterns ließ ich es dabei bewenden und schaltete das Radio an.

      »Driving Home for Christmas«, drang aus meinen Radioboxen.

      Ich musste schmunzeln.

      Mein Lieblingslied.

      Die Melodie, der Text – die dadurch entfesselten Gefühle … es erinnerte mich ebenfalls an meine Kindheit. An diese wundervolle Zeit ohne Zweifel, Ängste und Sorgen. Andererseits erweckte es Leere. Und Einsamkeit – wie ich dies im Winter, aber speziell zur Weihnachtszeit, oft empfand. Ein Gefühl, entstanden aus dem Wunsch endlich einem Mann zu begegnen, der sich nicht von mir abwandte. Ein Mann, der mich auf dieselbe Weise liebte, wie ich ihn. Ein Mann, dem ich vertrauen durfte …

      Nun allerdings, seitdem dieses winzige Licht der Hoffnung namens Tobias ebenso erloschen war wie all die Vorherigen, riss dieser dumme Traum mir ein noch tieferes Loch ins Herz, als dies in der Vergangenheit je der Fall gewesen war.

      Ja, es war mein größter Wunsch.

      Seit jeher.

      Einen Partner zu finden, der zu mir gehörte. Jemand, der mich auf dem restlichen Weg meines Lebens begleitete. Jemand, den ich auf dem restlichen Weg seines Lebens begleiten durfte …

      Gähnend drehte ich die Lautstärke höher.

      Ein Mann … der Mann. Derjenige, welcher. Der Eine, zu dem ich gehörte. Derjenige, für welchen ich mein Leben geben würde … der Mann, an den ich mich anlehnen durfte … und umgekehrt. Jemand, für den es sich zu kämpfen lohnte. Ein Mann, der sich gleichermaßen um mich sorgte, wie ich mich um ihn.

      Das leicht ausbrechende Heck meines Wagens vernichtete sämtliche Gedankenspiele und trieb mir den Schweiß aus den Poren.

      Konzentrier dich!

      Wenn ich nicht besser aufpasste, würde ich ein zweites Mal in einem Graben landen.

      Fürchterlicherweise dauerte es keine fünf Minuten, bis diese unbarmherzige Sehnsucht erneut über mich niederstürzte. Und in weiterer Folge begann mein Verstand zu arbeiten.

      Weshalb gelang es mir nicht, jemandem zu begegnen, welcher dasselbe für mich empfand, wie ich für ihn? Sah ich wahrlich derart kindlich-naiv aus, sodass kein einziger Mann auf dieser Welt Interesse an mir zeigen wollte?

      Bestimmt lag es an meiner geringen Oberweite gepaart mit meiner Brille, meiner Make-up-Verweigerung und meinem introvertierten Charakter –