Isabella Kniest

In Your Arms


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es Ihnen recht ist, können Sie die Zeit, in der Sie hier warten müssen, für mich arbeiten.«

      Perplex starrte ich in sein rundliches glattrasiertes Gesicht.

      Meinte er …?

      »Somit können Sie Verpflegung und Übernachtung abarbeiten und müssen weder Ihre Eltern noch sonst wen um Hilfe fragen.« Etwas Undeutbares blitzte in seinem Gesicht auf. »Wie ich das nämlich sehe, wollen Sie andere nicht sehr gerne um Hilfe bitten … Aber damit wäre allen geholfen, nicht?«

      Mit der Zeit wurde es unheimlich.

      Wie machte er das?

      War dies Zufall?

      Dieser Mann machte nicht den Eindruck, auf gut Glück zu raten oder sich kurzfristig irgendetwas zusammenzureimen und damit ab und an einmal richtig zu liegen.

      Plötzlich wurde es mir klar: Es musste eine Art Gabe sein. Er hatte das nötige Feingefühl, um zu erkennen, wann Menschen sich in Not befanden.

      …

      Grundsätzlich hatte ich solche Reaktionen und Fähigkeiten als eine Art Hollywood-Märchen abgetan – nette ältere Herren oder Damen, welche auf nahezu zauberhafte Weise das Leid fremder Menschen erkannten und ohne Gegenleistung Hilfe anboten …

      »Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Peinlich berührt richtete ich meine Brille. »Ich will niemandem Schwierigkeiten bereiten … und bedeutend weniger möchte ich wie ein Versager aussehen.«

      »Das tun Sie absolut nicht«, erwiderte er fröhlich. »Sie wirken sogar sehr stark … Sie können Ihr Innerstes ganz gut verstecken.« Verspielt zwinkerte er mir zu. »Meine Frau ist Ihnen da sehr ähnlich. Sie spielt auch ständig die Toughe, dabei benötigt sie eine starke Schulter zum Anlehnen viel öfter, als es ihr lieb ist.« Für einen Wimpernschlag huschte etwas Ähnliches wie Unsicherheit über seine herzlichen Züge. »Aber bitte sagen Sie es ihr nicht … sonst bekomme ich ernste Schwierigkeiten.«

      Ich musste schmunzeln.

      Es war einfach zu komisch.

      Da saß ich mit einem wildfremden Mann, der mehr über mich zu wissen schien als meine eigenen Eltern – und plauderte mit ihm über charakterliche Schwächen und leere Bankkonten.

      Dieser Tag würde wohl als der verrückteste in meine Lebensgeschichte eingehen.

      »Ich werde ihr nichts verraten«, versprach ich.

      Sein Lächeln wuchs an. »Ach ja.« Er griff nach Papier und Stift und legte diese vor mich hin. »Bitte schreiben Sie mir Namen, Anschrift, Geburtsdatum und Telefonnummer auf.«

      Ich fasste nach dem Kugelschreiber.

      »Nur für Notfälle.«

      »Ich verstehe … Wenn irgendjemand vom Amt vorbeischaut … oder ich Schwierigkeiten mache, oder?«

      Er bejahte. »Obwohl ich solche Vorsichtsmaßnahmen wirklich ungern treffe.« Ein unerwartet trauriger Unterton schwang in seiner Erklärung mit. »Ich habe leider einiges erlebt. Darum passe ich jetzt etwas besser auf.«

      Durch meine vermaledeite Nervosität brachte ich es wieder einmal nicht zuwege, meine Daten schön leserlich auf Papier zu bringen. Wie das eines Kindes, welches eben seine ersten Schreibversuche unternommen hatte, mutete mein fürchterliches Gekrakel an.

      »Das kann ich gut nachvollziehen.« Meine Finger steif und schmerzend gab ich ihm Papier und Stift zurück. »Die Gesellschaft ist leider nicht mehr das, was sie einmal war.«

      »Ja.« Sein kummervolles Gesicht versetzte mir einen Stich.

      War er, wie ich, tief verletzt worden?

      »Es ist furchtbar … andererseits –« Schlagartig brachte der Mann strahlende Hoffnung zum Ausdruck. »Beweisen Sie mir, dass es noch Ausnahmen gibt.«

      Eine unangenehme Wärme stieg mir in die Wangen. »Meinen Sie? … Ich bin mir da nicht so sicher.«

      Ich sollte anders sein?

      Ich bekam nichts auf die Reihe … Stets beschwerten die Leute sich, jammerten und schimpften. Über jede Kleinigkeit. Ich war sicherlich keine Ausnahme. Ich war nicht einmal die Regel. Ich war ein Niemand.

      Der Mann erhob sich. »Aber ich.« Er präsentierte mir ein breites Grinsen. »Das muss reichen.«

      Von seinem fröhlichen Ausdruck angesteckt, stand ich lächelnd auf.

      Er umrundete den Schreibtisch und hielt mir die Hand hin. »Übrigens. Mein Name ist Manfred Weiß … Aber am liebsten ist es mir, wenn wir uns Duzen.« Seine Lippen verzogen sich geringfügig. »Obwohl das nicht alle meine Angestellten tun.«

      »Gerne.« Ich ergriff seine Hand und schüttelte sie. »Ich heiße Liza.«

      »Wie Liza Minelli?«

      »Ja, genau.«

      Ich konnte es kaum fassen! Der erste fremde Mensch, der meinen Namen richtig aussprach!

      »Dann weiß ich Bescheid.« Er führte mich aus dem Büro. »Ich bringe dich zu Michi. Der wird dir deinen Zimmerschlüssel geben.«

      Frische Unsicherheit kletterte in mir empor. »Eine Bitte hätte ich noch.«

      »Ja?« Er musterte mich mit demselben neugierigen Blick wie vorhin. »Nur raus damit.«

      »Darf ich meine Eltern anrufen?« Ich knetete meine behandschuhten Hände. »Mein Handy hat keinen Empfang … und sie werden sich bestimmt Sorgen machen.«

      »Aber natürlich! Das Telefon bei der Rezeption steht zu deiner freien Verfügung.«

      Erleichterung ließ mich aufatmen. »Vielen Dank.« Ich überlegte. »Ach ja … ab wann soll ich morgen zum Dienst antreten?«

      »Am liebsten würde ich dich ausschlafen lassen. Da wir zurzeit aber eine Hochzeitsrunde mit dreißig Personen im Hause haben, bin ich dankbar für jede helfende Hand. Es wäre somit toll, wenn du zwischen sechs und halb sieben in der Küche sein würdest.«

      »Selbstverständlich. Gar kein Problem. Ich bin sowieso Frühaufsteher.«

      »Wenn das bloß alle meine Angestellten wären!« Herzliches Lachen drang aus seiner Kehle. »Na ja, vielleicht schauen sie sich bei dir etwas ab.«

      Ich machte eine wegwerfende Handgeste. »Ich denke, erst sollte ich mich beweisen … Man sollte den Tag bekanntlich nicht vor dem Abend loben.«

      Ganz besonders mich nicht …

      Kichernd führte Herr Weiß mich zum Empfang.

      »Michi! … Gib Liza die Schlüssel.«

      »Sehr gern.« Der junge Mann fasste nach einem auf der Mauer hinter ihm hängenden Schlüssel mit einem ovalen Anhänger, auf dem die Nummer 26 eingraviert worden war, und reichte ihn mir. »Hier bitte.« Er zeigte zur langen Holztreppe. »Ihr Zimmer befindet sich im ersten Stock. Haben Sie einen schönen Aufenthalt.«

      »Ihr könnt euch gerne Duzen«, informierte Manfred. »Liza wird uns für die nächsten Tage etwas zur Hand gehen. Jedenfalls solange das stürmische Wetter anhält und die Straße gesperrt ist.«

      »Oh.« Michis Augen weiteten sich geringfügig. »Dann kommen heute wohl keine Gäste mehr.«

      »Nein«, erwiderte Manfred beschwingt. »Ich glaube nicht.«

      »Dann wird das ein ruhiger Abend werden.«

      »Ja.« Der Hotelbesitzer nickte. »Da bin ich mir ziemlich sicher.«

      »Super!«

      Die beiden Männer warfen sich vertraut-wissende Blicke zu.

      Was hatte dies zu bedeuten?

      Ich atmete lautlos durch. »Nochmals vielen Dank für die Hilfe. Ich wüsste wirklich nicht, was ich sonst gemacht hätte.«

      Der dickliche Mann schenkte mir ein