Isabella Kniest

In Your Arms


Скачать книгу

drehte mich zu Michi. »Darf ich bitte kurz das Telefon benutzen? Ich müsste meine Eltern anrufen … mein Handy hat nämlich keinen Empfang.«

      »Sicher.« Er machte mir Platz. »Mit diesem Funk-Zeugs hat man einzige Probleme, stimmts?«

      Nickend trat ich hinter die Rezeption und hob den weißen Hörer des an die Achtzigerjahre erinnernden Telefons ab, welches etwas seitlich jedoch gut sichtbar neben einer Wasserlilie stand. »Ja, das sehe ich genauso. Ein Festnetzanschluss funktioniert beinahe immer. Handys dagegen geben bald einmal den Geist auf.«

      »Genau meine Rede! Aber am schlimmsten finde ich die Akkulaufzeit. Jedes Mal, wenn man schnell etwas nachschauen oder jemand anrufen will, ist der Saft aus.«

      Ein Kichern zurückhaltend drehte ich mich zum jungen Mann um. »Mir gehts ganz gleich! Oder die Software hängt sich auf und das Telefon startet neu.«

      »O Mann!« Er verdrehte die Augen. »Das ist der Horror!«

      Wir lachten beide laut auf.

      …

      Meine Güte, tat das gut. Nach solch einer langen Zeit ein gänzlich normales Gespräch führen, ohne unterbrochen oder gemaßregelt zu werden …

      Obgleich Arbeitskollegen sich ohnehin nicht sonderlich gerne mit mir unterhielten, waren kurze Gespräche in den letzten Monaten zu einer echten Seltenheit geworden. Dies lag an der Tatsache, aufgrund meiner Kaffeeeinladung von Tobias nun ebenfalls ignoriert zu werden.

      »Aber jetzt lasse ich dich einmal dein Gespräch führen.« Lächelnd drehte Michi sich zur Seite und begann Papiere wegzuordnen.

      »Es dauert nicht lang«, versprach ich und begann die Nummer zu wählen.

      »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.«

      Ich wollte etwas Weiteres erwidern, da hielt ein besorgt klingendes »Hallo« meiner Mutter mich davon ab.

      »Hey, Mama! Ich bin’s!«

      »Liza?!« Ihre Stimme überschlug sich regelrecht. »Geht’s dir gut?«

      Ein gewaltiges Schuldgefühl fing an, sich um meine Seele zu wickeln.

      Wie lange hatte sie sich meinetwegen gesorgt?

      »Es tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde … Aber es geht mir gut.«

      »Ist etwas passiert?« Gott sei Dank klang sie ein wenig gefestigter. »Bist du noch unterwegs?«

      »Nun … nein … Ich hatte einen kleinen Unfall, aber passiert ist mir nichts. Und was ich bisher gesehen habe, hat auch das Auto keinen Schaden genommen –«

      »Einen Unfall?! In Gottes willen! Was genau ist denn passiert? Wo bist du jetzt? Sollen wir dich abholen kommen?«

      Himmel!

      Durch meine törichte Erzählung war das exakte Gegenteil geschehen: Nicht beruhigt hatte ich sie, sondern ihren Kummer angefacht!

      Ich hätte erst gar nichts erwähnen sollen.

      »Ich bin in einem Hotel in Seedorf«, versuchte ich zu beschwichtigen. »Ihr könnt mich nicht abholen. Die Landstraße ist bis auf Weiteres gesperrt. Ich sitze also so lange hier fest, bis der Schneefall aufgehört und die umgestürzten Bäume weggeräumt worden sind.«

      Es entstand eine längere Pause, in welcher meine Mutter aller Wahrscheinlichkeit nach die Situation zu überdenken versuchte.

      »Sag mir bitte genau, was passiert ist.« Einerseits flehend, andererseits streng gab sie diese Anweisung kund.

      Ich räusperte mich, schluckte Scham- und Versagensgefühle hinunter. »Ich bin ins Schleudern geraten und im Schnee stecken geblieben … Dann habe ich drei Stunden lang gewartet. Zum Glück ist ein Schneepflug vorbeigekommen. Der Fahrer hat mir geholfen, den Wagen herauszuziehen.«

      Solch eine schlechte Autofahrerin wie mich gab es in Österreich mit Sicherheit kein zweites Mal …

      Meine Mutter atmete erleichtert aus. »Dann ist ja noch einmal alles gut ausgegangen.«

      Und ich fühlte mich beträchtlich erleichterter.

      »Ja. Mir gehts wirklich gut. Jetzt muss sich bloß das Wetter beruhigen, dann kann ich zu euch kommen.«

      »Mach dir da bitte keinen Kopf. Hauptsache, dir geht es gut.« Eine kurze Zeit der Stille folgte. »Ich hätte dich nicht drängen sollen, zu uns zu kommen. Wärst du nicht losgefahren, dann wäre das nicht passiert … Es tut mir furchtbar leid.«

      Mir wurde es reichlich anders zumute. »Red keinen Unsinn! Da hat niemand Schuld dran.«

      Wie kam sie auf die Idee, sich selbst die Schuld zu geben? Niemand konnte etwas dafür … Wenn überhaupt, dann war der Fehltritt einzig und allein bei mir zu suchen! Wäre ich zu Weihnachten vorbeigekommen, hätte ich mir dieses Fiasko und meinen Eltern unnötige Sorgen erspart.

      »Es gibt aber ein anderes Problem«, fuhr ich zögerlich fort. »Sollt es derart heftig weiter schneien, komme ich womöglich überhaupt nicht mehr zu euch durch.«

      »Wieso das?«

      »Ich muss Montag wieder arbeiten. Weiteren Urlaub beantragen, ist nicht möglich. Mein Chef hat mir nur für diese paar Tage frei geben können. Zurzeit ist viel zu tun.«

      Ich vernahm ein leises Seufzen. »Na ja, dann schauen wir, dass wir zu dir kommen.«

      »Das wäre toll.« Ich lächelte. »Zurzeit ist es leider ziemlich stressig.«

      »Seit du bei dieser Firma arbeitest, scheinst du keine freie Minute mehr zu haben … Wird das mit der Zeit nicht zu belastend für dich?«

      Jetzt fing sie wieder damit an.

      Seitdem ich ihr vom Arbeitsstress erzählt hatte, beharrte sie auf eine Kündigung.

      Selbstredend verstand ich ihre Besorgnis. Sie hatte recht, wenn sie meinte, ich müsse mich in einem Job wohlfühlen … Leider Gottes funktionierte die Welt nicht auf diese Weise.

      Aus diesem Grunde verschwieg ich ihr auch meine seelische Verfassung und vertröstete sie jedes Mal, wenn sie oder mein Vater mir einen Besuch abstatten wollten oder ich zu ihnen fahren sollte.

      Ich wollte sie nicht belasten. Zeitlebens hatten sie sich um mich gekümmert. Nun war ich erwachsen und musste mit meinen Schwierigkeiten selbst zurechtkommen.

      Wie hieß es noch gleich? Das Leben war hart …

      »Bitte, Mama … Du weißt, wie schwer es ist, seine Arbeit zu wechseln. Die Zeiten haben sich geändert. Ich muss froh sein, überhaupt einen Job zu haben.«

      »Das weiß ich, Schätzchen.« Sie hörte sich bekümmert an. »Ich mache mir nur Sorgen. Das verstehst du, oder?«

      …

      »Natürlich.«

      Aber exakt dies wollte ich verhindern!

      Himmel!

      Wollte mir wahrhaftig gar nichts mehr gelingen?

      »Lass dich nicht zu sehr einspannen. Achte auf dich. Es soll dir gut gehen. Wenn es dir dort nicht gefällt, dann kündige. Besser ein paar Monate arbeitslos zu sein, anstatt sich fertigzumachen.«

      Wenn dies so einfach gewesen wäre! Schließlich brauchte ich das Geld. Vor allem jetzt, wo dergestalt viele Zahlungen ins Haus geflattert waren und auf meinem Konto gähnende Leere herrschte. Außerdem war ich mir sicher: Wenn ich jetzt kündigte, würde ich weit länger als ein paar Monate arbeitslos sein …

      »Ich passe auf mich auf, versprochen.«

      »Das sagst du andauernd … und dann fühlst du dich trotzdem unwohl.«

      Sie kannte mich einfach zu gut.

      »Mir geht es wirklich gut … aber jetzt muss ich aufhören.«

      »Ja, ich verstehe.« Der leise vorwurfsvolle Protest in ihrer Stimme versetzte