Laura Herges

Wer ist Clara?


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Moment später stellt er den Teller, zusammen mit einer Tasse Kakao einem Messer, Butter, Nutella und Marmelade vor mir auf den Tisch. „Danke“, sage ich lächelnd.

      Still sieht er mir zu, während ich mir zunächst Butter, und danach Marmelade auf die erste Scheibe Toast streiche.

      „Und du?“, frage ich zögernd, bevor ich den ersten Bissen nehme, „Hast du heute frei?“

      „Ja, ich hab Semesterferien. Ich studiere“, erwidert er.

      „Cool, was studierst du denn?“, frage ich.

      „Englisch und Germanistik – aber nicht auf Lehramt“, entgegnet er.

      „Hier in der Nähe?“

      „In Heidelberg. Da hab ich auch ein WG-Zimmer, wo ich während des Semesters wohne.“

      „Schön“, erwidere ich nickend.

      „Warst du schon mal in Heidelberg?“, fragt er.

      „Ich weiß nicht“, entgegne ich mit einem entschuldigenden Lächeln.

      „Oh, stimmt ja. Tut mir leid!“ Er erwidert mein Lächeln.

      Wir schweigen für einen Moment, dann frage ich: „Also du bist der Älteste von euch dreien?“

      Jakob nickt. „Ich bin zwanzig, Lukas siebzehn und Johanna sechzehn.“

      „Und, gehen die beiden auf die gleiche Schule?“, frage ich. Es ist belangloser Smalltalk, aber besser als Schweigen.

      „Ja, aufs Trifels-Gymnasium. Da habe ich auch mein Abi gemacht.“

      „Was bedeutet ‚Trifels‘?“

      Jakob lächelt. „Du kommst echt nicht von hier, oder? Das ist eine Burg hier in der Nähe – viele Dinge sind danach benannt, die Schule, Hotels, eine Apotheke und sogar unsere Zeitung.“

      Er greift in den Zeitungsständer, der neben der Eckbank steht, und fördert eine Zeitung zutage, die er mir in die Hand drückt. ‚Trifels Kurier‘ prangt in dicken Lettern auf der Titelseite, und darunter ein Artikel über ein Treffen mehrerer Bürgermeister aus der Region.

      „Das hier ist übrigens meine Tante Anna“, sagt Lukas und deutet auf die einzige Frau auf dem Foto. Sie ist groß und schlank und trägt ihr braun-blondes Haar glatt und lang. Tatsächlich kann ich in ihrem hübschen Gesicht eine gewisse Ähnlichkeit zu Jakob erkennen.

      „Sie ist die Bürgermeisterin von Völkersweiler“, sagt dieser in dem Moment.

      Völkersweiler. Jetzt fällt mir wieder das Ortsschild von gestern ein.

      „So heißt der Ort hier, oder?“, frage ich. Er nickt.

      Ich habe den Namen noch nie gehört, oder zumindest glaube ich das. Plötzlich ertönen von draußen die Kirchenglocken. Es ist zwölf Uhr.

      „Tut mir leid, dass ich so lange geschlafen habe. Das passt bestimmt gar nicht in deinen Tagesplan, dass du mit mir heute noch zum Arzt fahren musst…“ Ich spüre, dass ich rot werde.

      Jakob lacht. „Welcher Tagesplan? Schon vergessen, ich bin Student.“ Damit entlockt er auch mir ein Lachen.

      „Nein ehrlich“, meint er dann, „Das macht gar nichts. Ich hab zwar Hausarbeiten zu schreiben, aber die sind generell ziemlich tolerant mit dem Abgabedatum. Und ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass du nicht schon vor drei Stunden aufgewacht bist. So lange bin ich nämlich auch noch gar nicht wach…“

      Ich lächele und blicke wieder auf meinen Toast. Ich spüre seinen Blick auf mir, während ich die zweite Scheibe mit Nutella bestreiche.

      „Du isst keine Butter unter der Nutella“, kommentiert Jakob.

      „Nein, das ist eklig“, erwidere ich reflexartig.

      „Sehe ich genauso“, entgegnet er lächelnd. Ich erwidere das Lächeln.

      „Danke übrigens für die Zahnbürste und die Zahnpasta“, sage ich, bevor ich von meiner zweiten Scheibe Toast abbeiße.

      „Woher weißt du, dass ich das gemacht habe?“, fragt er.

      Ich zucke mit den Schultern. „Das war geraten.“ Er lächelt mir erneut zu.

      „Was machen deine Eltern eigentlich beruflich?“, frage ich, um weiteres Schweigen zu verhindern.

      „Mein Vater ist als Elektriker selbstständig und meine Mum ist Kassiererin. Nichts Besonderes also.“

      „Wie meinst du das?“ frage ich.

      Er seufzt. „Wenn du neu an die Uni kommst, ist das eine der ersten Fragen, die dir von deinen Kommilitonen gestellt wird. Und viele glauben, dass sie einen bestimmten Status haben, nur weil ihre Eltern viel Geld verdienen, als Professor oder Anwalt oder so. Hast du gewusst, dass weniger als 25 Prozent aller Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien überhaupt studieren?“

      Ich schüttele den Kopf.

      „Ist alles ziemlich oberflächlich an der Uni“, erwidert er, „Aber vielleicht kennst du das ja selbst.“

      „Ich wüsste gerne, ob ich studiere“, entgegne ich und wir müssen beide aufgrund der absurden Situation lachen.

      „Sicher meldet sich bald jemand. Wer weiß, vielleicht hat deine Familie schon eine Vermisstenmeldung bei der Polizei gemacht…“, meint er einen Moment später.

      „Ich hoffe es“, erwidere ich und esse den letzten Happen von meinem Toast.

      „Sollen wir uns dann langsam mal auf den Weg machen?“, fragt Jakob, nachdem ich auch meinen Kakao leer getrunken habe. Ich nicke.

      „Okay“, sagt er und erhebt sich. Ich tue es ihm gleich und nehme den Teller und die Tasse vom Tisch.

      „Wohin soll ich das tun?“, frage ich.

      „Stell es einfach in die Spülmaschine“, erwidert er und öffnet eine Klappe unter der Küchenzeile, hinter der sich die Spülmaschine verbirgt.

      „Und der Arzt ist hier im Ort?“, frage ich, während ich das Geschirr einräume.

      „Im Nachbardorf“, erwidert Jakob.

      Als ich die Spülmaschine geschlossen habe, bemerke ich, dass er mich ansieht. Sein Blick wandert von oben bis unten über meinen Körper. „Aber so kannst du nicht gehen…“, sagt er mit einem Lächeln. Ich spüre, wie ich wieder rot werde und wünschte, ich würde mehr als den kurzen, dünnen Schlafanzug tragen…

      „Komm, du kannst dir was von Johannas Sachen ausleihen“, meint er und läuft voraus.

      „Ich glaub nicht, dass sie das so gut findet“, erwidere ich, während wir durch den Flur laufen.

      „Wieso?“, fragt Jakob und beginnt, die Treppe in den ersten Stock nach oben zu steigen.

      „Na ja…“, entgegne ich, während ich ihm folge, „Ich hab gestern mitbekommen, wie sie Lukas angemotzt hat, weil er mir ihren Schlafanzug gegeben hat. Aber als ich dann in der Tür stand, war sie ziemlich nett zu mir…“

      Jakob lacht. „Das ist Johanna: immer erst motzen, bevor sie nachdenkt – sie ist halt in der Pubertät…“

      Ich folge ihm in das Zimmer seiner Schwester, es ist das erste im Flur, auf der linken Seite. Daneben, gegenüber vom Bad, ist ein weiteres Zimmer, in das ich bisher noch keinen Blick geworfen habe, und neben meinem Zimmer gibt es noch einen weiteren Raum, doch auch hier weiß ich noch nicht, was sich darin befindet.

      Ohne zu zögern betritt Jakob das Zimmer seiner Schwester. Ich folge ihm und erblicke schwarze, glänzende Vorhänge, eine lilafarbene Wand, eine weitere Wand, die übersät ist mit Fotos und Postern, unter der Johannas Bett mit lila-schwarz gestreifter Bettwäsche steht. Auf dem Boden liegt ein lilafarbener Teppich, und an den anderen Wänden stehen ein Schrank und ein Schreibtisch aus hellem Holz, die absolut nicht in dieses Zimmer passen – vermutlich Überbleibsel aus der Zeit, bevor Schwarz