Bastian Litsek

Der Amok-Insasse: Die Psychothriller Parodie


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geht es weiter!

      7 Stunden 59 Minuten und 12 … 13 … 14 Sekunden später

      „Du wirst es dir ansehen“, sagte die Stimme aus dem Dunkeln.

      Phill saß in seinem Bürostuhl im Keller und starrte bis gerade eben noch auf seinen Laptop-Bildschirm.

      Er war vertieft in idiotische Nachrichtenartikeln mit Schlagzeilen wie: „Frau geht aufs Klo, was dann passiert, werdet ihr nicht glauben“ oder „Mann mit Kind auf Spielplatz erwischt“. Klickte man auf die dummen Dinger, ging es um eine Frau beim Stuhlgang oder einen Vater, der sein Kind auf der Schaukel anschubste. Jegliche Form von ernstem Journalismus im Internet war längst ausgestorben und zu Sensationslockfallen verrottet. Ein Video ohne Brüste im Vorschaubild brauchte schon den Segen mehrerer Götter und des Weihnachtsmanns, um Klicks zu erhalten.

      Plötzlich war sie hinter ihm.

      Diese Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien. Sie säuselte und flüsterte. Zu leise, damit verständlich war, was sie wollte, und zu laut, um sie zu ignorieren.

       Und Phill wusste, wenn er sich jetzt umdrehte, würde ihn irgendetwas angreifen.

      Ein kalter Schweißtropfen rann ihm den Nacken hinunter und erinnerte ihn daran, ja, es war mal wieder Zeit zu duschen.

      Die Temperatur im Raum schien eisig kalt und der Geruch leicht modrig. Es war fast so, als würden Bücher, die lange im Keller lagerten, einen merkwürdigen Geruch annehmen. Phill fragte sich: Warum habe ich diesen dicken Pullover angezogen, wenn ich ihn eh nur voll schwitze?

      Mit einem Satz drehte er sich herum, sprang aus dem Stuhl und schlug dem auf ihn zurennenden Angreifer direkt ins Gesicht.

      „AUA“, schrie sein Sohn Klax und ging hart zu Boden.

      „Oh Analgulasch …“, fluchte Phill und kniete sich zu seinem Sohn nieder, „das war ein Reflex. Tut mir furchtbar leid, Klax.“

      „Du hast gesagt, man soll nicht Scheiße sagen.“

      „Außer wenn ich dir direkt in die Fresse schlage, dann ist das erlaubt. Außerdem war es ein Synonym.“

      „Okay“, murmelte Klax und hielt sich die Nase. Blut begann daraus zu fließen und tropfte auf den Schlafanzug seines Sohnes.

      „Ach komm, blute hier doch nicht alles voll“, sagte Phill und versuchte, das Blut mit einem gebrauchten Taschentuch aufzuwischen, „ich hab echt schon genug andere Sorgen.“

      „Tut mir leid, Papa“, sagte Klax nasal.

      „Na, da kannst du ja nichts dafür. Auch wenn du dich nicht so hättest anschleichen sollen.“

      „Anschleichen?“, fragte er, „ich hab laut gerufen und bin auf dich zugerannt. Soll ich vielleicht noch auf einen Topf einschlagen?“

      „Guter Punkt“, sagte Phill. „Tut mir leid, ich bin leicht zu erschrecken. Na, was wolltest du mir denn zeigen?“

      „Habs vergessen. Muss es holen.“

      Sein Sohn trottete schlaksig davon. Phill ließ den Kopf hängen, immer noch in den Knien, und stand auf. Plötzlich erschien seine dicke osteuropäische Frau Olga im Türrahmen. Einst eine bildhübsche Frau, wie man sie sonst nur erträumen konnte, doch nach zwei Kindern, Jahren der Ehe und das Leben mit einem Mann, der für weniger zu gebrauchen war als ein Römertopf, hatte sie sich zu einer dicken und frustrierten Frau gemausert, deren Verdruss und Enttäuschung sich in ihrem Körperbild manifestiert hatten.

       „Ich habe gesehen, Kind hat blutende Nase“, sagte sie in einwandfreiem Duden-Deutsch.

      „War ein Unfall.“

      „Unfall, ja? Letztens hast du unsere Tochter beim Ballett abgesetzt und bist davongefahren.“

      „Ich dachte, man macht das so, wenn die Kinder ihren Hobbys nachgehen? Hinfahren, abholen und dafür bezahlen oder … äh … sie fördern oder wie das heißt.“

      „Svetlana tanzt seit zwei Jahren nicht mehr. Sie spielt Basketball. Sie ist vier Kilometer weg von ihrer Ballettschule durch den Schnee gelaufen, um zur Halle zu kommen.“

      „Schnee?“

      „Wir haben Winter.“

      „Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“

      „Und das mit deiner sonst so perfekten Auffassungsgabe. Ich gehe jetzt wieder. Wenn Kind später noch blutet, es bekommt Transfusion von Papa. Kapisch?“

      Phill schluckte. Er wünschte, sie würde es nicht ernst meinen, doch dazu kannte er sie zu gut. Sie hatte ihn quasi mit sich zwangsverheiratet. Bevor er Nein sagen konnte, hatte sie schon zwei Kinder von ihm zur Welt gebracht, war mit ihm nach Deutschland zurückgekehrt und zusammengezogen. Er war sich bis heute nicht im Klaren, was er von dieser Beziehung erwartete, jemals wollte oder wieso er dieses eine Mal in seinem Leben nicht einfach in die andere Richtung gerannt war. Und dabei hatte es so viele Gelegenheiten gegeben. Sogar der Pfarrer hatte gefragt, ob er sich sicher war, „das“ heiraten zu wollen. Doch dann wieder der Borschtsch, den Olga kochte, war ziemlich gut und sie selbst ein exzellenter Partner an Brettspielabenden. Wenn wieder Pärchenabend war, sägten sie alle gnadenlos ab, unter anderem, weil viele der deutschen Pärchen nicht über eine Verdauung verfügten, welche mit Olgas Borschtsch und den rauen Mengen billigen Kräuterschnaps umgehen konnte, die dann flossen.

      Klax kam wieder ins Zimmer. In seinen Händen hielt er ein Raumschiff aus Star Trek – Next Generation.

      „Was hast du denn da Schönes?“, fragte Phill und beugte sich zu seinem Sohn herunter.

      „Frag doch nicht so blöd, Papa. Du hast es mir gekauft und mit mir die Serie über Netflix geschaut. Und das, obwohl ich erst in der dritten Klasse bin und die Serie so brutal ist.“

      Phill sog energisch Luft ein. Nicht einer seiner stolzesten Momente als Vater. Doch es war entweder Star Trek – The Next Generation oder direkt Breaking Bad.

      „Das ist das Raumschiff der Borg“, erklärte Klax, „Captain Picard ist auch an Bord. Und Geordi und Mama und bald auch du, Papa. Denn Widerstand ist zwecklos“, sagte er mit kindlicher Stimme, „und egal, wie sehr wir uns lieb haben, die Borg verfolgen uns bis ans Ende des Universums, um uns Drähte in den Körper zu stecken und uns Batterien in den Hintern zu schieben. Bis wir alle tot sind.“

      „Sehr äh … sag mal, schaust du die Serie noch immer?“

      „Aber klar doch. Star Trek ist meine Lieblingsserie, schon immer gewesen.“

      Der Kleine war echt pfiffig. Irgendwann würde er merken, dass es einen im Nachhinein in den Hintern beißen konnte, der Cleverste zu sein.

      Phill dachte, er wäre clever gewesen, schnell zu der alten Patientin zu kommen. Das Baby, das der Frau gehörte, welche die älteste Mutter der Welt sein musste, hatte auch überlebt. Stellte sich raus, es hatte den Fehler gemacht, eines der Kaffee-Sahne-Bonbons zu essen, das die Olle ihm andrehen wollte. Amra hatte das Bonbon aus dem Rachen des Babys gezogen und die Alte in den Krankenwagen verfrachtet. Wäre Phill auf dem Weg ins Krankenhaus nicht über das große Schlagloch gefahren, hätte ihr Amra auch nicht die Infusionsnadel zwischen die Augen gerammt und die Dame hätte überlebt. Aber Schwamm drüber, spätestens in einem Jahr wäre die eh kalt gewesen. Das Baby würde sich über den Platz in der Wohnung freuen, selbst wenn es noch nicht so gut verdiente. Gerade in Berlin einen WG-Bewohner zu finden, war auch nicht das Schwerste der Welt.

      „Und was willst du mit deinem Raumschiff machen?“, fragte Phill und stupste seinen Sohn gegen die blutverkrustete Nase.

      „Aua“, schrie Klax und schlug die Hand seines Vaters weg.

      „Oh Mist entschuldige.“

      „Mama sagt immer, in einer Welt, in der du Rettungssanitäter bist, hofft sie auf einen schnellen Tod, wenn sie mal dringend einen Arzt braucht.“

      „Sagt